„Das war der Wunsch meines Lebens,  dass Mutter und Tochter zusammen ausstellen“

Gespräch mit der Malerin Rodica von Keyserling

Die Künstlerin vor ihrem Lieblingsbild in der Ausstellung, einem „Meditationsbild“, das eine verrostete Metallschüssel mit besonderer Chromatik darstellt. „Das ist eine Farbenorgie! Man kann den Kosmos drin sehen. Es hat was von Milchstraßen. Es war traumhaft, sich in diese ganze Welt hineinzufühlen, in das Runde, in dieses Offene, das Ausgebrochene.“

Haus in Siebenbürgen, Öl auf Leinwand, gemalt 2016 während ihrer ersten Rumänienreise nach der Wende

Gräfin Rodica von Keyserling, eine in Bukarest gebürtige deutschstämmige Malerin, Meisterin der illusionistischen Trompe-l’oeil-Malerei, die Schülerin des Meisters Sabin Bălașa war und gegenwärtig in Kassel, Deutschland, wohnt und wirkt, hat dieses Jahr ihre allererste gemeinsame Ausstellung mit ihrer Tochter, der Bildhauerin Sorina von Keyserling, in der Bukarester Galerie „Galateca“ unter dem Titel „Keyserling und Keyserling“ organisiert (die ADZ berichtete). Kurator war Thomas Emmerling, deutscher Kunsthändler und Geschäftsführer des Kunsthauses 7B in Michelsberg/Cisnădioara, Kreis Hermannstadt/Sibiu. Bei der Ausstellungseröffnung hat sie sich mit ADZ-Redakteurin Cristiana Scărlătescu über ihr Werk und die künstlerische Beziehung zu ihrer Tochter unterhalten.

Frau Gräfin, sind Sie etwa mit dem Geologen Alexander Graf von Keyserling und seinem Enkel, dem Philosophen Hermann Alexander von Keyserling, verwandt?


Der deutsch-baltische Philosoph Hermann Alexander Graf von Keyserling war der Vater meines Schwiegervaters. Ich bin nämlich in der nächsten Generation mit Leonhard von Keyserling verheiratet gewesen, der Vater meiner beiden Kinder.

Sie haben Malunterricht mit dem Meister Sabin Bălașa gehabt. Wie haben Sie als Schülerin des deutschen Gymnasiums (heute: Deutsches „Goethe“ Kolleg) in Bukarest von den Malkursen des Meisters erfahren? 

Sabin Bălașa habe ich mit 16 während der Ferien am Schwarzen Meer kennengelernt. Er hat zu mir gesagt: „Ich habe dich gesehen, du bist begabt, wir haben in der Volkshochschule eine tolle Stelle. Kommst du dann einfach dazu? Da kannst du zeichnen.“ Da war ich noch in der Schule, weit vom Abi entfernt. Im nächsten Schuljahr habe ich viel geschwänzt und habe im Kulturhaus Bukarest an meinen Bildern gemalt. Da hat es mich so richtig erwischt. Dann habe ich mich auch entschlossen, welchen Weg ich gehen werde. 

1967 waren Sie Mitglied der bekannten Künstlergruppe von Poiana Mărului. 

Ja, das war unsere tolle Gruppe, die Sabin eigentlich zusammengeführt hat, aber er hat sich danach zurückgezogen. Ganz liebe Freunde. Horia Bernea, Teodor Moraru, Teodor Rusu, Șerban Epure, Șerban Gabrea, Ion Filotti, die alle. Wir haben zusammengehalten wie Pech und Schwefel. Wir haben uns ständig besucht, wir haben uns ständig miteinander ausgetauscht. Und sie sind fast alle gestorben. Das ist bitter. Ich war die Jüngste und sie waren schon alle im Studium. Aber trotzdem haben sie mich wirklich gleichbehandelt und ich fühlte, dass ich hingehörte. Mein Vater fand das ein bisschen komisch und hat mich behütet. Aber als ich endlich 20 wurde, habe ich mich entschieden, hinzugehen und habe einen ganzen Sommer im Dorf Poiana Mărului (Kreis Kronstadt) verbracht. Die Bilder habe ich Gott sei Dank zu Hause, jedes einzelne. Dort haben wir Landschaften gemalt. Da haben wir uns die Leinwand aufgestellt und haben darauf los gemalt, bis das Bild fertig war. Ich habe in meiner Art gemalt, so wie ich konnte. Aber es war eine Kraft und eine Freude drin, und eine schöne Koloratur. Das waren meine Anfänge. Heute arbeite ich in Schichten, die ich zuerst trocknen lasse, bevor ich Details und Akzente setze. Es ist halt eine etwas andere Art von Malerei. 

Hat der Stil von Sabin Bălașa Ihren Malstil und Ihr Werk geprägt?  

Ich sage mal nein. Als ich eine ganz junge Anfängerin war, hat mir Sabin geraten, meine eigene Leinwand vorzubereiten und da-rauf zu malen, alles was mir gefiel und wie ich konnte. „Sei du selber!“, sagte er mit revolutionären Gesten.

Wie kam es dazu, dass Sie ins deutschsprachige Ausland ausgereist und umgesiedelt sind? 

Ich habe nach dem Abitur fünfmal…fünfmal! die Aufnahmeprüfung am Kunstinstitut „Nicolae Grigorescu“ abgelegt. Fünfmal haben sie mich abgewiesen, da meine Familie, nach den Regeln der Kommunisten, eine „ungesunde Herkunft“ hatte. Da hat es mir gereicht. Ich wollte nur weg und bin abgehauen. Auf einer Reise nach Wien bin ich geflüchtet. Es war schlimm, aber ich wollte frei sein. Ich wollte studieren und mit anderen Künstlern zusammen sein. Meinem Enthusiasmus und meiner Entschlossenheit, Künstlerin und Malerin zu werden, stand Sabin Bălașa Pate. Das war so stark in mir. Ich konnte Gott sei Dank fließend Deutsch, denn ich bin Deutsche, habe eine deutsche Schule besucht, deutsches Abitur bestanden.
In Wien bin ich tatsächlich im Jahr 1968, im Herbst, von der Akademie für angewandte Kunst aufgenommen worden. Dort habe ich Keramik studiert und Leonhard von Keyserling  kennengelernt. Er war Student beim berühmten österreichischen Bildhauer Fritz Wotruba. Wir haben uns verliebt und irgendwann hat er Wien nicht mehr ertragen, er sagte, Wien ersticke ihn. So habe ich meine heiß begehrte Studienstelle aufgegeben und bin mit meinem Mann, der der Vater meiner Kinder wurde, nach Deutschland gezogen. Im Alter von 31 Jahren ist er dann in den Selbsttod gegangen. Ich war mit zwei kleinen Kindern allein geblieben. Das war ein so hartes Schicksal! Meine Eltern waren in Rumänien und ich hatte keine Möglichkeiten. Es war furchtbar, aber ich habe immer gemalt. Von 1968 bis 1978 kamen für mich zehn Jahre, in denen ich meine Zeichnungen nur in Not gemacht habe. Auch mit meinen kleinen Kindern habe ich gemalt und sie haben mitgemalt. Sie sind damit aufgewachsen. Meine Tochter Sorina ist eine erfolgreiche Bildhauerin, wie ihr Vater. Das ist  ihr echt in die Wiege gelegt worden, als Tochter zweier Künstler. Mein Sohn Helmut hat eine ganz andere Laufbahn eingeschlagen, er hat Biotechnologie studiert und von ihm habe ich drei Enkelkinder. 

Wieso haben Sie sich in Kassel erneut für ein Kunststudium, diesmal im Bereich Grafik und Malerei, entschieden?

Als meine Kinderchen im Kindergarten waren, war ich mit meiner Technik unzufrieden, ich fand sie eher dilettantisch. Bald darauf habe ich einen Restaurator von der städtischen Kunstsammlung in Kassel kennengelernt, der hat meinen Willen und meine Begeisterung gesehen und mich durch alle Museen geführt, um mir zu zeigen, wie die alten Meister gemalt haben. Ich habe mir deren Pinselstriche, Pinselführung angeguckt, die Malerei unter der Malerei, die an den Rändern sichtbar war. So habe ich ganz neu angefangen, richtig intensiv zu malen und ich bin losgeschossen wie eine Rakete. Endlich! Ich habe mich dann nochmal auf der Kunstakademie beworben. Und siehe da, alle Türen standen offen! (lacht) Und dann war meine Ausbildung sozusagen abgeschlossen. Spät, aber nicht zu spät. Manchmal braucht man es halt.  

Welchen alten Meister der Kunst hatten Sie sich damals zum Vorbild genommen?

Albrecht Dürer war mein Vorbild. Ich versuche in meinen Werken in der Richtung und Art von Dürer die Sachen, das Wunderbare wiederzugeben. Dieses Nicht-Sagbare und doch Fühlbare. Das hat mich fasziniert. Und ich glaube, es ist mir zum Teil wirklich gelungen.

Welche Beziehung haben Sie zu Ihrer Tochter, Sorina von Keyserling, aus einer künstlerischen Perspektive?  Spielen Sie die Rolle einer Mentorin für sie? Oder vielleicht beeinflusst ihr euch gegenseitig? 

Mein zweiter Mann und ich haben sie natürlich sehr bekräftigt. Wir haben gedacht, so ein Talent, wie Sorina es hat, muss gefördert werden. Es ist einfach ein Sünde, wenn man es nicht tut.

Wir haben ihr finanziell geholfen. Ansonsten sie hat eine starke Persönlichkeit, ihre eigene Welt, ihre eigene Art. Und trotzdem ist etwas aus meinem Schaffen in sie übergegangen. Aber ich habe sie einfach gewähren lassen. Sie hat mich bestimmt! (lacht) Ich male weiter, sie malt weiter und sie schickt mir auch heute noch Fotos. „Mama, wie findest du das?“, „Toll, mach weiter!“  Also, ich schicke ihr auch mal, immer wieder Bilder. Wir sind schon zusammen und ich glaube, wir arbeiten in der gleichen Art, nur mit anderen Mitteln. Das ist das Schöne daran. 

Jetzt bin ich so froh, dass wir diese Ausstellung zusammen veranstaltet haben. Es ist sowieso eine Freude für mich, dass ich nach Rumänien mit Taschen voller Bilder zurückkomme. Ich habe viele Bilder aus meiner 50-jährigen Tätigkeit zu zeigen. Dass ich den Weg nach Bukarest zusammen mit meiner Tochter und durch die Kunst zurückfand, ist echt wunderbar! Das hat von Anfang an etwas Besonderes, dass Mutter und Tochter als Künstlerinnen zusammen ausstellen. Ich habe mir das so gewünscht. Das war der Wunsch meines Lebens. Ich bin jetzt 77 Jahre alt.  Ich bin nicht mehr jung. Aber ich habe mir gedacht, vielleicht ist es mir vergönnt, einmal mit meiner Tochter auszustellen.

Was bereiten Sie den Kunstliebhabern in der Zukunft vor?  

Oh!  Eine ganze Welt. Ich habe so viele Bilder im Kopf, die ich noch nicht gemalt habe. Ich wünsche mir immer ganz viel Zeit zu haben, sie noch zu malen. Je mehr man malt, desto mehr öffnen sich einem Welten. Und ich bin dabei, sie zu betreten. Eine nach der anderen.

Vielen Dank für das Gespräch!