Der Fotograf isst immer kalt

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Kochen für die ADZ – das hatte ich mir so schön ausgemalt: Wir sammeln im Kollegenkreis ein paar Lieblingsrezepte, jeder schnippelt, brutzelt oder backt mal zuhause und schon entsteht das Kochbuch fast ganz von alleine. Alles nur eine Frage der Zeit. Zeit zum Kochen hatten wir ja genug in der Corona-Krise. Trotzdem geschieht das Kochen für die lange vorgeplante Seite bei mir oft auf den letzten Drücker. Fertig, zack, den Tisch gedeckt, mein Göttergatte wartet schon mit gezücktem Besteck. „Schatzili, wir müssen das Essen schnell noch knipsen“, flöte ich zuckersüß.

Schnell noch... Ich suche die Halogen-Scheinwerfer heraus, montiere die schweren Batterien. Steige auf den Stuhl und breite die Arme mit den Lichtern aus wie ein überdimensionaler Hungerengel. Essen fotografiert man mit zwei Lichtquellen, damit es plastischer wirkt, belehrte mich mein Göttergatte. Kein Mensch sieht das auf einer klopapierähnlichen Zeitungsseite, aber der Profi lässt sich nicht lumpen. Vorher Handy, Zeitungsstapel und Notizblock vom Tisch gefegt und einen dekorativen Tischtuch-Ersatz in einem grundsätzlich tischtuchlosen Haushalt gesucht.

Wenn ich Glück habe, essen wir das Kochbuchgericht an einem Regentag. Dann sind die Lichtverhältnisse auf dem Balkon so günstig, dass ich meinen Teller auch alleine knipsen kann. Während ich also bei Wind und Wetter aufs Geländer klettere, um keinen Schatten zu werfen, beginnt mein Mann drinnen wie wild zu schaufeln. Wie alle Männer hat er beim Militärdienst gelernt, dass man nach Staubsaugerprinzip schlingen muss, sonst stehlen einem die Kameraden das Würstchen vom Kraut. So eine Lektion vergisst man(n) nie ! Während ich also für die Zeitung knipse, löffelt er schon um sein Leben. Bin ich endlich fertig und meine Portion eiskalt, gähnt gegenüber schon ein leerer Teller.

Der Fotograf isst immer kalt. Und allein. Nur wenn es Suppe gibt, ist unsere familiäre Tischharmonie gerettet. Dann wird die kalte Plörre nach der Fotositzung einfach in den heißen Topf zurückgekippt. Hach – Suppe! Ein Albtraum für jeden Möchtegern-Kochbuchfotografen. Nichts ist undankbarer als Fotoobjekt. Suppe sieht immer aus wie schon mal gegessen... Da helfen auch die  Scheinwerfer nicht.

Profis kennen fürs Fotografieren von Essen allerlei Tricks: Haarspray aufsprühen, damit es appetitlich glänzt! Brrr, ist kalt essen nicht schon Strafe genug? Andere Kollegen sind opferbereiter für unser idealistisches Projekt: Ide Schwinghammer schickt mir ein spektakuläres Foto ihres Desserts, schwungvoll kalligrafisch verziert. Schokosoße? Nein, Balsamico, gesteht sie. Tolle Idee, denn Schokosoße habe ich auch nie zuhause. Seither also auch bei mir: Beherzt verziere ich Vanilleeis und Rosenmarmelade mit Balsamicoessig!

Was tut man nicht alles für ein Kochbuchfoto? Weil mein Göttergatte die Weizenkörner, die für das Rezept gedacht waren, an den Hahn verfüttert hatte, improvisierte ich mit Buchweizen. Als Bild einwandfrei – doch kulinarisch war das Ergebnis so scheußlich, dass es weder dem Hahn noch der Katze noch den Hunden schmeckte und mein Mann sich mit der Ausrede zum Kühlschrank stahl, heute mal nicht vegetarisch essen zu wollen.

Es ist ein Gerücht, dass Kochbuchautoren ständig schlemmen. Sie vernichten vielmehr Requisiten. Dies erinnert mich an den Witz, in dem die Ehefrau ihrem Gatten aus der Zeitung vorliest: „Wusstest du, dass die meisten Unfälle in der Küche passieren?“ Und er schlagfertig kontert: „Ja, und ich muss sie immer essen.“

Ich auch! Noch dazu kalt.