„Der gegenwärtige Zirkus hat uns um Jahre zurückgeworfen – politisch, wirtschaftlich, moralisch“

ADZ-Gespräch mit Dr. Paul-Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR)

Dr. Paul-Jürgen Porr
Foto: Vlad Popa

Im Jahre seines hundertjährigen Jubiläums scheint sich Rumänien abermals auf einen „heißen“ Sommer einstellen zu müssen – sowohl politisch als auch sozial, aller Wahrscheinlichkeit nach sogar wirtschaftlich. Statt ambitionierte Zukunftspläne zugunsten des Landes zu schmieden und/oder konkrete Großprojekte in Angriff zu nehmen, zieht die politische Mehrheit Dauerattacken auf grundlegende Institutionen des Staates sowie plump nationalistisch-populistische Veranstaltungen vor. Über die erste, bereits verstrichene Hälfte des Jubiläumsjahres, die Einbindung der ethnischen Minderheiten des Landes in die Feierlichkeiten, über Minderheitenschutz und -politik sowie die wiederholten Attacken auf die politische Vertretung der deutschen Minderheit sprach ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica mit dem amtierenden Vorsitzenden des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR), Dr. Paul-Jürgen Porr.

Bezüglich der Hundertjahrfeier der „Großen Vereinigung von 1918“ hat UDMR-Chef Kelemen Hunor bereits letzten Herbst klargestellt, dass es für die ungarische Minderheit am Tag des Anschlusses ehemaliger Gebiete der österreichisch-ungarischen Monarchie an Rumänien „nichts zu feiern gibt“. Wie steht es in diesem Kontext mit der deutschen Minderheit – hat diese etwas zu feiern oder zieht sie es vor, den diversen Feierlichkeiten ebenfalls fernzubleiben?

Was die Ungarn betrifft, so ist ihre Haltung verständlich, da Ungarn durch den Frieden von Trianon zwei Drittel seines Territoriums verloren hat. Das können auch heute noch gewisse nationalistische Kreise in Ungarn und auch in Siebenbürgen nicht verschmerzen.
Die Deutschen aus Rumänien haben damit nichts gemeinsam. Im Gegenteil, als am 8. Januar 1919 die Vertreter der Siebenbürger Sachsen in Mediasch zusammenkamen, wurde beschlossen, dem Königreich Rumänien beizutreten. Das hatte zwei Gründe: Die nationalistische Politik im Königreich Ungarn und die Versprechungen Rumäniens, die dann aber leider nicht oder kaum eingehalten wurden.
Wir feiern folglich mit der rumänischen Mehrheit mit, das DFDR hat diesbezüglich auch einige wichtige Veranstaltungen in Planung oder bereits organisiert, wie z. B. eine wissenschaftliche Tagung zu diesem Thema in Temeswar vor einigen Wochen.

Bei welchen Events wird die deutsche Minderheit anlässlich der diesjährigen Festlichkeiten noch vertreten sein?

Es werden noch andere Symposien folgen – etwa in Hermannstadt/Sibiu, Klausenburg/Cluj . So etwa wird an einer Fotoausstellung gearbeitet, die die Geschichte der Deutschen in Rumänien in diesen letzten hundert Jahren widerspiegeln soll.

Was macht aus Ihrer Sicht den Erfolg einer politischen Minderheitenvertretung aus? Wie vergangenheitsverbunden soll man, wie zukunftsorientiert muss man sein? Wie sieht der richtige „Mix“ aus, um sowohl das kulturelle Erbe seiner ethnischen Minderheit zu schützen, als auch deren Zukunft gewährleisten zu können?

Eine Minderheitenvertretung muss durch ihr Statut die Interessen der betreffenden Minderheit wahrnehmen und verteidigen. Das tun auch wir selbstverständlich: politisch, kulturell, sozial. Absolut prioritär ist der Erhalt des muttersprachlichen Unterrichts. Sicher sind auch der Erhalt von Folklore, der Kirchenburgen usw. wichtig.
Wir nehmen aber auch die Interessen unserer nichtdeutschen Mitbürger wahr. Der beste Beweis ist das Engagement des Forums in der Lokalpolitik: Wir stellen etliche Bürgermeister, Kommunal- und Kreisräte. Das herausragendste Beispiel ist sicher Hermannstadt, wo wir seit dem Jahr 2000 den Bürgermeister stellen und nun bereits zum vierten Mal die Mehrheit im Stadtrat haben.
Aber auch in der Landespolitik sind wir präsent: Man denke an die Bemühungen von Ovidiu Ganț zum EU-Beitritt Rumäniens oder an die Tatsache, dass der Landespräsident aus unseren Reihen stammt.
Wir sind also vergangenheitsverbunden und versuchen unsere Traditionen zu bewahren, wir sind aber auch zukunftsorientiert. Der Workshop „Forum 2030“ ist ein relativ junger Beweis dafür. Wir versuchen aber auch, über unseren Tellerrand hinauszublicken und nicht bloß ein Interessenverband der deutschen Minderheit zu sein.

Minderheitenschutz und -politik erweisen sich in einem Land, in dem die Minderheitenprobleme jahrzehntelang durch ein totalitäres Regime unterdrückt wurden, auch 28 Jahre nach der Wende als komplex und kompliziert, zumal etliche der alten, in den vergangenen beiden Jahrhunderten entstandenen und durch ethnische und kulturelle Vielfalt bedingten Konflikte keineswegs endgültig beigelegt zu sein scheinen. Sehen Sie angesichts der derzeitigen illiberalen und populistischen Tendenzen hierzulande die Gefahr der Wiederbelebung nationalistischer Strömungen gegeben?

Betreffend die Jahre im Kommunismus glaube ich nicht, dass es eine spezielle Unterdrückung der Minderheiten gegeben hat, abgesehen von der Verschleppung in die UdSSR im Januar 1945. Es ging nachher allen gleich schlecht, ungeachtet der Ethnie. Die politische Vertretung im sogenannten „Rat der Werktätigen deutscher Nationalität“ war ein Ausdruck von Pseudodemokratie, wie auch das gesamte damalige rumänische Parlament.
Nach 1989 konnten wir das DFDR gründen, es gibt die Fraktion der Minderheiten in der rumänischen Abgeordnetenkammer, leider gibt es jedoch trotz mehrerer konkreter Vorschläge immer noch kein Minderheitenschutzgesetz. Wir hatten auch im Kommunismus unsere deutschen Schulen, haben sie auch heute, wir haben an einigen Universitäten sogar Hochschulunterricht in deutscher Sprache.
Nationalistische Töne gab es immer wieder, im Prinzip gegen die Ungarn (PUNR, PRM), gegen die Roma, auch gegen die Juden. Wir waren laut Umfragen die bei den Rumänen beliebteste Minderheit. Seit Klaus Johannis‘ Präsidentschaftswahlkampf 2014 aber werden wir als Nachfolgeorganisation der Nazis verleumdet, die sich sogar jüdisches Eigentum unter den Nagel gerissen hätte. Das ist jedoch kein Effekt einer populistischen oder nationalistischen Strömung wie in anderen Ländern – wir sind buchstäblich kollaterales Opfer einer Verleumdungskampagne gegen den Staatspräsidenten. „Nazistul de la Cotroceni“/Der Nazi auf Schloss Cotroceni ist diesbezüglich ein bezeichnender Titel eines Zeitungsartikels!

Worauf stellen Sie und das DFDR sich angesichts dieser Erfahrungen nun für 2019 und die anstehende Präsidentschaftswahl ein, sollte Amtsinhaber Klaus Johannis antreten wollen?

Es handelt sich letzten Endes nicht bloß um Verbalattacken. Verschiedene regierungsfreundliche Print- und TV-Medien haben eine derartige Hetzattacke mit eklatanten Lügen und Verleumdungen gröbster Art losgetreten, die bei der Mehrheitsbevölkerung Hass gegen die Deutschen schüren soll, wie es Anfang der 1950er Jahre nicht hätte schlimmer sein können. Wir haben dagegen protestiert und tun es weiter, haben die Medienaufsicht (CNA) und die Antidiskriminierungsbehörde (CNCD) davon schriftlich in Kenntnis gesetzt und führen Prozesse gegen die Betreffenden. Unser Abgeordneter Ovidiu Gan] hat inklusive im Parlament eine öffentliche Distanzierung der Regierung von diesen Äußerungen verlangt, allerdings vergeblich.
Sollte Klaus Johannis 2019 wieder antreten – und ich hoffe das sehr, zum Wohle Rumäniens –, so wird das Ganze meines Erachtens wieder von vorne losgehen, wahrscheinlich noch verstärkt.

Der Politikwissenschaftler Cristian Pîrvulescu wertet den gegenwärtigen sozialen Frieden zwischen Mehrheit und Minderheiten, vornehmlich der ungarischen, als „prekär“, da er das Ergebnis einer „konsensuellen Demokratie“ ist und auf „keiner verfassungsrechtlichen Grundlage wie etwa in Belgien oder den Niederlanden basiert“. Teilen Sie seine Meinung? Und gibt es Rechts- oder gar Verfassungsänderungen, die das DFDR zwecks Minderheitenschutz und Gewährleistung des sozialen Friedens begrüßen würde?

Ich schätze Herrn Pîrvulescu, bin aber nur bedingt seiner Meinung. Zwischen Rumänen und Ungarn gibt es keine realen Konflikte, diese wurden nur von Extremisten beiderseits inszeniert (z. B. März 1990 in Neumarkt/Târgu Mureș) und, falls nötig, aufgebauscht. Das geschieht sehr pervers auch durch die gegenwärtige Regierung in Budapest. Der Ungarnverband (UDMR) macht da eine Schaukelpolitik, zwischen Interesse am Regieren (egal, in welcher Konstellation) und den Extremisten, die eine territorielle Autonomie für das Szeklerland wollen.
Die aktuelle Verfassung des Landes verbietet eine solche Tendenz. Eine Verfassungsänderung wäre für Rumänien sehr wünschenswert, aber nicht betreffend eine solche Autonomie oder die traditionelle Familie, sondern betreffend tatsächlich wichtiger Angelegenheiten wie etwa die Gründung von Regionen, die nach dem Subsidiaritätsprinzip funktionieren. Ich erwähnte schon die Notwendigkeit eines Minderheitenschutzgesetzes. Wenn diese Angelegenheit sogar in der Verfassung verankert würde – umso besser.

Und last but not least: Die erste Hälfe des „Jubiläumsjahres“ ist fast um – es gab bisher eine Vielzahl zumeist plumper Veranstaltungen, Vorzeigeprojekte, etwa im Bereich der Transportinfrastruktur, wurden jedoch nicht in Angriff genommen. Begeht Rumänien sein Jubiläum Ihrer Meinung nach gebührend? Und sind die Minderheiten des Landes eigentlich zur Genüge in die Festlichkeiten eingebunden worden, um dessen ethnische Vielfalt wirklichkeitsgetreu zu widerspiegeln?

Es gab bisher in diesem Halbjahr praktisch nur politischen Zirkus, der peinlicher nicht hätte sein können. Man muss sich dafür wirklich schämen, obwohl die, die sich eigentlich dafür schämen sollten, gar nicht daran denken. Wir wurden durch diese „Politik“ um Jahre zurückgeworfen – politisch, wirtschaftlich, moralisch. Was das Image des Landes betrifft, will ich dieses gar nicht mehr erwähnen. Es werden praktisch keine nennenswerten Investitionen getätigt, es wird auf Pump gelebt, was auch die kommenden Generationen noch spüren werden. So kann man die rumänischen Autobahnen mit dem männlichen Geschlechtsorgan vergleichen: Man freut sich über jeden Zentimeter, mit dem sie wachsen...
In diesem Kontext spielt das Jubiläumsjahr fast keine Rolle mehr. Und damit eben auch das Mitwirken der Minderheiten nicht. Leider!

Sehr geehrter Herr Dr. Porr, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.