Der Geigenbauer von Regen

Aus der Sommerküche von Dumitru Moldovan erobern Instrumente die ganze Welt

Wo andere Minze und Thymian trocknen, hängen bei Familie Moldovan Geigenblätter im Wohnzimmerfenster

Violinen und Gitarren statt Hemden und Hosen

Aus dieser kleinen Sommerküche erobern Meister Dumitrus Instrumente die Welt

Es war eine Kobza, die uns nach Regen/Reghin führte. Eine Sonderanfertigung nach einem seltenen, alten Modell, die der Lehrer Marius Dascalescu aus Falticeni für ein Musikprojekt mit seinen Schülern bestellt hat. Das Auto hoppelt ungemütlich über den Schotterweg neben den Bahngleisen, bis wir endlich in die Strada Muncitorilor – die Arbeiterstrasse – einbiegen. Die Gegend macht dem Namen alle Ehre. Kleine, einfache Häuschen, umgeben von improvisierten Nebengebäuden aus Blech oder Brettern säumen den schmalen Weg. Doch hinter den rostigen Zäunen blüht und wuchert es üppig und so manche Einfahrt ziert ein romantischer, weinbewachsener Laubengang. 

 

Am Haus Nummer 118 angekommen, sehen wir uns um. Hier soll das Atelier eines Instrumentenbauers sein? Das kleine Anwesen wirkt wie ein Mini-Bauernhof mit Sommerküche. Gemüsebeete, zwei Hundehütten, ein Drahtgehege mit Legehennen und lieblich tschilpenden Perlhühnern. Ein tapsiges Katzenkind erklimmt die hohen Stufen des Eingangs und schlüpft unbemerkt ins Haus. Die Hausfrau setzt es kurz darauf wieder ins Blumenbeet hinaus.

Eine Kobza mit ungewöhnlichen Dimensionen

Kreischende Motorsägen zerschneiden die schwüle, gewitterschwangere Abendluft, als Dumitru Moldovan die Kontruktionspläne auf den Tisch breitet. Obwohl es beileibe nicht seine erste Kobza ist, war das Zupfinstrument mit den ungewöhnlichen Dimensionen eine gewaltige Herausforderung, gesteht er. Fast zwei Monate hat er daran getüftelt. Vor allem das Biegen und Trocknen der Holzbrettchen für den Resonanzkörper war „al dracului” („des Teufels”), wie er bekennt. Dann zupft der Meister kräftig an einer Saite. Aus dem dicken, hölzernen Bauch des edel lackierten Ungetüms löst sich ein satter, vibrierender Ton.

Die Kobza stammt ursprünglich aus der Ukraine. Vor allem im Mittelalter erfreute sie sich großer Beliebtheit an osteuropäischen Höfen, wo man sie zur Begleitung von Gesang und Tanz einsetzte. Bekannt ist das Instrument jedoch schon seit dem sechsten Jahrhundert. Heute erwerben vor allem Volksmusikgruppen Kobzen bei Meister Moldovan, doch in einer wesentlich kleineren, einheitlichen Dimension. Die verrückteste Bestellung, die er jemals hatte, stammt aus Kambodscha, erzählt der Meister geheimnisvoll und verschwindet schmunzelnd ins Wohnzimmer, in sein Instrumentenlager. Dann kehrt er zurück mit einer seltsamen Chimäre: asymmetrischer Resonanzkörper, die linke Hälfte in Form einer Kobza, die rechte repräsentiert ein Violoncello! Wofür es verwendet wird, weiss er nicht. Mundpropaganda über fünf Ecken brachte ihm den seltsamen Auftrag. Die Kommunikation mit dem englisch sprechenden Kunden wickelt die studierende Tochter ab. Doch derart kuriose Sonderfertigungen sind natürlich selten. Meist baut der ehemalige Mitarbeiter der bekannten Regener Instrumentenbaufirma „Hora” Geigen, Violoncelli, Gitarren, Kontrabässe, Mandolinen, Alphörner und Kobzen, die er gelegentlich sogar ins Ausland liefert. Oder er repariert alte, defekte Instrumente - zum Beispiel die Kopie einer Stradivari aus dem Jahr 1756 für einen Kunden aus Ploie{ti. Sogar seine pensionierte Ehefrau hat Meister Dumitru schon angelernt, obwohl sie gar nicht aus der Branche stammt.

Als Kind die erste Geige gebastelt

Wie kommt man auf die ungewöhnliche Idee, ausgerechnet Instrumentenbauer zu werden? Dumitru Moldovan holt weit aus, führt uns zurück in seine Kindheit in einem Dorf im Landkreis Mure{. In der vierten Klasse besuchte er im Rahmen eines Schulausflugs die Instrumentenfabrik in Regen. Von da an war es um den Jungen geschehen – er wollte unbedingt Geigenbauer werden! Zuhause suchte er im Hof seiner Eltern sofort nach geeigneten Brettchen, Säge und Leim und bastelte nach eigenen Zeichnungen eine kleine Violine. „Ich konnte sogar ein wenig darauf spielen”, lacht der Meister und gesteht, dass er sein Premierenstück zur Erinnerung bis heute auf dem Dachboden aufbewahrt. 1968 konnte er endlich die Ausbildung in einer Schule in Târgu Mure{ antreten, und von da an begleiteten ihn Musikinstrumente durch sein ganzes Leben. Zur Untermauerung zieht er den Vorhang im Vorzimmer zur Seite: Wo andere Holunder und Minze trocknen, hängen hier fein säuberlich aneinandergereiht die Vorder- und Rückblätter von Geigenkörpern! Dann führt er uns ins Wohnzimmer, wo hoch auf dem Schrank ein riesiger Kontrabass thront. Im Inneren des Kastens baumeln statt Hemden und Hosen Violinen und Gitarren von der Stange. Dumitru Moldovan hievt den Kontrabass von seinem luftigen Platz und zeigt stolz eine Intarsienarbeit an der Rückseite. In das dunkle Braun des Resonanzkörpers hat er liebevoll eine miniaturisierte Silhouette des Instrumentes in hellgelbem Holz eingearbeitet.

Gruselkabinett im Wohnzimmer

Doch das Wohnzimmer hat noch mehr Erstaunliches zu bieten. Vom Maul eines präparierten Hirschkopfes an der Wand baumelt ein  meterlanges Alphorn. Der Meister nimmt es ab und bläst ein paar Töne hinein. Dann hängt er das Horn so schwungvoll zurück, dass der Hirsch mit dem Unterkiefer wackelt, als wolle er die Schnur durchbeissen. Dies ist das zweite Steckenpferd des leidenschaftlichen Bastlers! Er jagt, präpariert Tiere und entwirft Möbelstücke aus Tierfüßen und Hirschgeweih. Auf einer Kommode bewundern – sanft wir zwischen Spitzendeckchen und Häkelkissen gebettet - einen ausgestopften Frischling. Über dem Esstisch hängt ein Hirschhornleuchter mit elektrischen Kerzen und der Fernsehstuhl hat echte Rehfüsschen – allerdings ragen sie als Dekoration aus der Armlehne senkrecht nach oben! Neben dem Hirschen mit dem Alphorn hängt ein zweiter, der dank eines künstlichen Kiefergelenks ebenfalls mit den Zähnen klappern kann.

Eine Sommerküche als Atelier

Wir verlassen das makabere Gruselkabinett und folgen dem Meister über den Hof zu seiner Werkstatt, die sich in der ehemaligen Sommerküche befindet. Hier demonstriert er, wie Geigen- und Gitarrenwände ihre gebogene Form erhalten. Mit Regenwasser befeuchtet, werden sie zwischen erhitzten Metallzwingen gekrümmt und in einem Spezialofen getrocknet. Erst wenn das Holz weniger als 60 Prozent Feuchtigkeit enthält, behält es die gebogene Form dauerhaft bei. Regenwasser entweicht dabei schneller aus der Zellulose als normales Wasser, das sich deswegen als ungeeignet erweist. Auch Ammoniak kann man verwenden, mit dem Nachteil, dass es die Zellen des Holzes zerfrisst, weswegen Meister Dumitru darauf lieber verzichtet. Die Männer verwickeln sich in eine Diskussion, ob das Geheimnis der Stadivaris vielleicht darin bestanden haben mag, Urin zum Befeuchten der Geigenwände zu verwenden. „Die richtige Flüssigkeit hat großen Einfluss auf das Endresultat”, untermauert der Geigenbauer die These. Ausgeschlossen sei es daher nicht, zumal Urin Ammoniak enthält. Aber auch die Art des Holzes und der Zeitpunkt des Schnittes sind wichtig für den richtigen Klang. Fichte, Tanne oder exotisches Massaranduba aus Indien verarbeitet er zu Resonanzkörpern, Saitenhaltern oder Spannknöpfen. Geschnitten wird es zu einer Zeit, in der das Holz am wenigsten Saft enthält. Holzkirchenbauer aus der Maramuresch schwören da auf die erste Vollmondnacht im Dezember, wo sich der Baumsaft fast völlig aus dem Stamm in die Wurzeln zurückzieht. Zwei bis drei Jahre muss man das Holz anschließend lagern, bevor man es verarbeiten kann, doziert der Geigenbauer.

Viel Arbeit, Technik und Gefühl

Die Fertigung einer kleinen Kobza dauert etwa 24 Tage, wobei alle Komponenten von Hand gefertigt werden. Für etwa 800 Lei kann man das Instrument bei Dumitru Moldovan erstehen, Geigen und Gitarren sind mit 200 und 100 Lei billiger. Nach Deutschland, Spanien und Italien hat er schon geliefert, wobei die Aufträge eher zufällig zustande kamen, etwa durch Präsentationen bei folkloristischen Veranstaltungen und Märkten in Hermannstadt/Sibiu oder in der Bukovina. Ungarische Volksmusikgruppen interessieren sich gelegentlich für eine Kobza, der Verkaufsschlager aus dem „Atelier Moldovan” sind jedoch seine Lieblingsinstrumente: Violinen. „Es ist gar nicht leicht, einem Instrument den richtigen Klang zu verleihen”, verrät der leidenschaftliche Geigenbauer, der sich vor allem auf sein Tongefühl verlässt, aber auch Meßinstrumente benutzt. Neben gewissen Dimensionen kommt es auch darauf an, wo sich ein Loch befindet, wie tief die Rillen der Hölzchen sind, welche die Saiten tragen, oder ob der Holzwurm im Resonanzkasten sitzt. Selbst die Frage des Anbringens eines Trageriemens will rechtzeitig überlegt sein, weil der Resonanzkörper schon beim Bau entsprechend vorbereiten werden muss. Nachträgliche Bohrungen verändern den Klang!

Als die Sonne untergeht, wird die riesige, mit Schaumstoff umwickelte Kobza wie ein Kindlein auf dem Rücksitz des Autos festgeschnallt. Die Zeit des Abschieds ist gekommen, vor uns „dreien” liegt noch ein weiter Weg. In den Augenwinkeln des Meisters glaube ich, ein wehmütiges Glitzern zu erkennen. Er trennt sich wohl schwer von seinen Kindern, die aus dem kleinen Atelier in Regen das Land und manchmal sogar die Welt erobern...