Der „Goldene Hirsch“ auf dem Marktplatz

Kronstädter Gaststätten-Inhaber verlieren über eine Million Euro

In diesen Tagen ist der Kronstädter Marktplatz kaum wiederzuerkennen. Foto: die Verfasserin

„Für diejenigen, die den Kronstädter Marktplatz nicht mehr erkennen: Links auf dem Bild befindet sich die Schwarze Kirche und rechts kann man die Spitze des Alten Rathausturmes sehen“, schreibt ein Kronstädter auf Facebook. Das Bild, das er am Vormittag des 18. August gepostet hat, zeigt den Marktplatz/Piaţa Sfatului, der in eine Baustelle verwandelt wurde. Alles ist abgedeckt und abgesperrt. Eifrig wurde an der Konstruktion der 800 Quadratmeter großen und 18 Meter hohen High-Tech-Bühne mit 400 Quadratmetern LED-Bildschirmen (das entspricht etwa 1000 TV-Bildschirmen) gearbeitet, Zuschauertribünen wurden aufgestellt. „Entsetzlich“, lautet ein Kommentar unter dem Bild. „Und das ausgerechnet in der Tourismus-Hochsaison“, schreibt ein anderer Facebook-User. 

Auch wenn viele Kronstädter mit dem Lärm in der Innenstadt und der Baustelle sowie mit dem verbauten Marktplatz mitten im Herzen der Stadt nicht einverstanden sind – Ende August wird das vielleicht bekannteste musikalische Event der Stadt organisiert. Die 19. Ausgabe des internationalen Musikfestivals „Goldener Hirsch“ (Cerbul de Aur) hat gestern, am 22. August, begonnen und dauert noch bis Sonntag, den 25. August. 2018 wurde nach einer achtjährigen Unterbrechung die Jubiläumsausgabe des Schlagerfestivals veranstaltet. Letztes Jahr wurden 50 Jahre gefeiert, seitdem der „Goldene Hirsch“ im März 1968 zum ersten Mal in der Stadt unter der Zinne vergeben wurde. Damals war der Austragungsort noch der große Saal des Theaters.

Es wird gehofft, dass die von TVR organisierte Veranstaltung ein Erfolg wird. Man erwartet über 5000 Zuschauer pro Abend. 12 Konkurrentinnen und Konkurrenten aus verschiedenen Ländern werden vor dem Publikum auftreten. Bei den Sonderkonzerten sind die internationalen Stars Emeli Sandé und Ronan Keating erwartet. Die Preise für eine Eintrittskarte beginnen bei 70 Lei. Am Samstagabend findet die Preisgala statt, am Sonntag endet das Festival mit einem rumänischen Folklore-Abend. Das Festival wird live und exklusiv von TVR 1 jeden Abend ab 20.30 Uhr übertragen. Der „Goldene Hirsch“ gilt als größtes Kulturevent in Kronstadt/Braşov. Ein halbes Jahrhundert lang war es immer wieder der Auftakt für erstaunliche Karrieren, etwa von Roy Black, Julio Iglesias oder Christina Aguilera.
„Ein anderer Ort für den Goldenen Hirsch“

Die Bauarbeiten an Bühne und Zuschauertribüne starteten schon am 9. August. Und diejenigen, die überhaupt nicht davon begeistert sind, sind natürlich die Inhaber der 14 Terrassen und Gaststätten auf dem Marktplatz. Die Baustelle bringt für sie einen Verlust von etwa einer Million Euro, meinen diese. „Das rumänische Staatsfernsehen dankt allen Kronstädtern und den Geschäftsleuten, die Gaststätten auf dem Marktplatz besitzen, für ihre Unterstützung beim Organisieren des Internationalen Festivals ‘Goldener Hirsch’, einer Veranstaltung, die auf lokaler und internationaler Ebene sehr wichtig ist“, lautet die Pressemitteilung von TVR. Trotzdem gibt es Stimmen, die dagegen sind, dass das Festival im Herzen der Stadt veranstaltet wird. „Im Vergleich zu anderen europäischen Städten ist Kronstadt relativ klein. Es gibt wenig Orte, an denen sich die Touristen aufhalten können. Vor Beginn der Bauarbeiten war der Marktplatz voll von Besuchern – sie kamen um sich zu erholen oder einen Kaffee zu trinken. Nach Eröffnung der Baustelle steht ihnen kein Ort zur Verfügung, wo sie dieses tun können. Ich bin oft in Wien und dort habe ich nie erlebt, dass man zum Beispiel den Stephansplatz sperrt, um dort ein Event zu organisieren. Meiner Meinung nach müsste man einen anderen Platz für den ‘Goldenen Hirsch’ finden.
Ich frage mich, ob die Organisatoren jemals an wirtschaftliche Effizienz gedacht haben. Das Festival wird ja mit öffentlichen Geldern organisiert“, meint einer der Gaststätten-Inhaber.

Nur ein paar Tische hinausstellen

Der Marktplatz bleibt bis zum 31. August eine Baustelle, aber im Unterschied zum Vorjahr werden die Terrassen auf dem Platz nicht komplett geschlossen. Jede Gaststätte kann jetzt vier bis sechs Tische hinausstellen, weil die Flächen, die von der Baustelle nicht betroffen sind, statt vier Meter jetzt sechs Meter messen. Ebenso haben die Händler die Genehmigung erhalten, an den Festivalabenden Getränke zu verkaufen. Letztes Jahr mussten an den Festivalabenden alle Restaurants um 18 Uhr schließen. Doch auch wenn dieses Jahr Tische und Stühle herausgestellt sind, ist es nicht gerade angenehm, neben einer Bühne mit viel Lärm zu Mittag oder Abend zu essen. „Es ist nicht nur für uns unangenehm, sondern auch für Touristen, die den Marktplatz besichtigen wollen und in den Tagen vor und nach dem Festival auf eine Baustelle stoßen. Hoffentlich werden die Organisatoren im nächsten Jahr einen anderen Veranstaltungsort finden“, meint ein anderer Gaststätteninhaber.
Doch nicht nur die Geschäftsleute sind unzufrieden. Viele Kronstädter sind der Meinung, die alten Gebäude in der Innenstadt könnten vom Lärm beeinträchtigt werden. 

Der Marktplatz bleibt die schönste Kulisse

Trotz der Kritik sind die meisten Kronstädter auf das Festival stolz. Laut einer Statistik, die Bürgermeister George Scripcaru letztes Jahr vorgestellt hat, wünschen sich die meisten Kronstädter, dass das Schlagerfestival der „Goldene Hirsch“ erneut jedes Jahr stattfinden soll. „Wir haben eine Umfrage gemacht und über 90 Prozent der Bürger wünschen sich dieses Festival. Es wäre eine gute Sache für Rumänien. Auch aus dem Ausland haben wir ein positives Feedback erhalten“, meinte Scripcaru in einer Fernsehsendung.

Viele sind der Meinung, das Festival könnte auf den Marktplatz als Austragungsort verzichten und auf die Ţiriac-Arena oder auf das Gelände des ehemaligen Munizipalstadions ausweichen. Doch TVR war mit diesen Vorschlägen nie einverstanden. Die Show wäre viel zu stark an die Kronstädter Innenstadt mit ihren mittelalterlichen Fassaden gebunden. Das Staatsfernsehen stellte für die Kronstädter Festivalveranstaltung sogar die Bedingung, dass der Marktplatz zur Verfügung stehen muss, wenn möglich auch noch kostenlos, als Eigenbeitrag der Stadt an den Austragungskosten.

„Einige wollen, dass wir über-haupt nichts in der Stadt organisieren. Wenn man eine derartige Veranstaltung organisiert, gibt es immer Nebenwirkungen. Auch das Untold-Festival in Klausenburg bringt unliebsame Auswirkungen mit sich, doch es trägt enorm zum Image der Stadt bei“, meint Bürgermeister George Scripcaru. 
Vorläufig muss man also den Rummel am Marktplatz mit seinen vielen Nebenwirkungen tolerieren. Der Austragungsort ist zur Tradition geworden: Der Marktplatz mit dem alten Rathaus und mit der Schwarzen Kirche im Hintergrund ist die schönste romantische Kulisse für den „Goldenen Hirsch“.