„Der Hass ist die gefährlichste Waffe des Terrorismus“

Konferenz zu den Ursachen der Islamophobie an der Klausenburger Babeş-Bolyai-Universität

Prof. Tasin Gemil, Direktor des Klausenburger Instituts für Turkologie und Zentralasiatische Studien, warnte vor der Gefahr islamophober Strömungen in Europa

Nach Ansicht von Prof. Călin Felezeu, Dekan der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Babeş-Bolyai-Universität, ist auch der Staat für die Integration von Muslimen in Europa zuständig.

„Mega-Moschee“, Flüchtlingskrise, Überfremdungsangst: Viel und vor allem laut wurde zuletzt in Gesellschaft und Medien über Ängste vor dem Islam debattiert. Dabei ging es jedoch weniger um eine echte Auseinandersetzung mit den aktuellen Krisen oder um deren Lösung. Stattdessen stand meist die vermeintliche Bedrohung der eigenen Identität durch eine andere Religion im Mittelpunkt – sei es durch Neubauten von Moscheen oder durch Einwanderung. Dem wollte nun unter anderem die „Vereinigung für politische Bildung“, ein Zusammenschluss von Studierenden der Babeş-Bolyai-Universität in Klausenburg/Cluj-Napoca, etwas entgegensetzen. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Turkologie und Zentralasiatische Studien sowie der Fakultät für Erziehungswissenschaften organisierte sie eine öffentliche Podiumsdiskussion. Das Ziel: Verweise auf historische und politische Fakten sollten den neu entstehenden Ängsten und Vorurteilen den Wind aus den Segeln nehmen. Diese könnten nämlich auf lange Sicht weitaus verheerender sein als der heutige islamistische Terror, argumentierte Prof. Tasin Gemil, Direktor des Klausenburger Instituts für Turkologie und Zentralasiatische Studien, mit drastischen Worten gleich zu Beginn.

Momentan seien weltweit etwa 1,4 Milliarden Menschen muslimischen Glaubens, doch nur etwa 100.000 von ihnen kämpften als sogenannte Dschihadisten. Insgesamt, so Gemil, seien etwa 10 Prozent aller Muslime als „inaktive Reserve“ dem militanten Islamismus gegenüber positiv eingestellt, während sich die überwältigende Mehrheit der Gläubigen bewusst gegen den Terrorismus wende oder keine Sympathien für ihn hege. „Wir müssen uns schnellstens an diese neunzig Prozent wenden, damit diese nicht in den Extremismus abgleiten.“ Ein gegenwärtiges Ziel von Extremisten sei nämlich, diese größtenteils schweigende Mehrheit an sich zu binden. Hierfür würden sie sich eine wachsende antiislamische Grundhaltung in den nichtmuslimischen Gesellschaften zunutze machen: Terrorakte seien demnach nur ein Glied in der Kette – ein daraus entstehender Islamhass könnte sämtliche Muslime stigmatisieren. Ihre daraus erwachsende Abwehrreaktion sei geeignet, sie in die Arme des religiösen Extremismus zu treiben. „Daher sind die Islamophobie und ihr Mobilisierungspotenzial langfristig so gefährlich“, so der Historiker.

„Falsche Imame“ würden bereits jetzt ohne jegliche Aufsicht ihre Hassbotschaften unter jungen Muslimen in Mittel- und Westeuropa verbreiten. Dem spiele die dezentrale Organisation des Islam und seine fehlende geistige Hierarchie wie etwa im Katholizismus in die Hände: Niemand wisse, was in den Moscheen und Gebetshäusern gepredigt und unterrichtet werde, sowohl in Rumänien als auch in anderen europäischen Ländern. „Ohne Minarett, teils in Privaträumen, Geschäften oder Unterkünften werden Moscheen eingerichtet. Allein in Bukarest wurden seit 1990 bis heute rund 40 Gebetshäuser eingerichtet, doch niemand weiß, wo genau und auf wessen Initiative.“ Ein staatlich koordinierter Neubau einer Moschee hätte dagegen – in einer angemessenen Dimension – die Möglichkeit geboten, die vorhandenen muslimischen Gemeinschaften aus dem verborgenen Hinterhof an das Tageslicht zu bringen.

Neben dieser schwachen Organisationsstruktur sorge auch die verzerrte Eigen- und Fremdwahrnehmung für das komplizierte Verhältnis zwischen nichtmuslimischen Gesellschaften und dem Islam. So seien für Konflikte in der Gegenwart unglückliche historische Parallelen wie etwa der „Kreuzzug gegen den Terror“ gezogen worden – eine unpassende Parallele zu den gewaltsamen Glaubenskriegen des Mittelalters. Dieses unangebrachte Deutungsmuster sei insbesondere in der islamischen Welt mit Ablehnung registriert worden. Hinzu komme eine gewisse Frustration unter jungen Muslimen in West- und Mitteleuropa, welche sich islamistische Kräfte in Staaten wie Syrien, dem Irak oder Afghanistan zunutze machen würden: „Junge Islamisten begehen schreckliche Terrorakte und sind bereit, sich dafür zu opfern. Dazu wurden sie aber von den wahren Schuldigen verleitet – religiöse Manipulanten aus dem Ausland wollen die westlichen Gesellschaften auf diesem Wege destabilisieren“, ist sich Gemil sicher.

Nicht deren christliche Religion, sondern insbesondere ihr öffentliches Leben sei das größte Feindbild – U-Bahnen, Redaktionen oder Konzertsäle hätten bislang im Zentrum islamistischer Anschläge in westlichen Staaten gestanden, nicht jedoch Kirchen oder Klöster. Diese Angriffe sollen einen Konflikt zwischen beiden Welten befördern. Gemil, von 1990 bis 1996 Repräsentant der türkisch-tatarischen Minderheit im Parlament, betont jedoch: Bislang seien Auseinandersetzungen zwischen christlichen und muslimischen Ländern weniger zerstörerisch als Konflikte innerhalb beider Kulturkreise. Insbesondere Südosteuropa sei für ihr gewaltvolles Aufeinandertreffen eigentlich gar nicht prädestiniert: So habe etwa das jahrhundertelange Zusammenleben von christlich-orthodox und islamisch geprägten Kulturen für gegenseitiges Verständnis und Beeinflussung gesorgt. Die osmanische Oberherrschaft sei an keiner Expansion des muslimischen Glaubens interessiert gewesen und habe die kirchlichen Strukturen im Großen und Ganzen respektiert – anders als beispielsweise das katholische Habsburgerreich: Seinen Expansionsdrang habe es stets auch mit der religiösen Rivalität mit den muslimischen Osmanen begründet. „Es gibt also keine historisch gewachsene Islamophobie in Südosteuropa. Diese Ängste und Feindbilder entstanden erst unter dem Einfluss westlicher Gesellschaften.“

Dem schloss sich auch Prof. Călin Felezeu, Dekan der Fakultät für Psychologie und Erziehungswissenschaften an der Klausenburger Babeş-Bolyai-Universität, an: Das Osmanische Reich habe sich – abgesehen von Tributzahlungen – nicht in die religiösen Belange der christlichen Untertanen eingemischt. Bis zum Beginn der 19. Jahrhunderts habe der Islam in Südosteuropa daher nicht als Feindbild gegolten, sondern er habe zur Entwicklung der Region beigetragen und die Bevölkerungsstrukturen geprägt. Diese Sichtweise habe sich erst mit dem Einzug nationaler Idealvorstellungen geändert. Somit gelte er bis heute sowohl in Ost- als auch in Westeuropa gleichermaßen als „fremd“. Weltweit, so Felezeu, verstärken und profitieren bereits islamisch-fundamentalistische Nichtregierungsorganisationen von dieser empfundenen Fremdheit.

Zahlungskräftige Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar würden mit ihrer Hilfe versuchen, ihre rigide Auslegung des Islam in andere Staaten zu exportieren. Damit träfen sie in Westeuropa bei einer teilweise enttäuschten jungen Generation auf offene Ohren. Dort habe sich in der mittlerweile dritten Generation zwar ein großer Teil der Nachkommen muslimischer Einwanderer in die Mehrheitsgesellschaft integriert, doch andererseits hätten sich viele Muslime auch zurückgezogen und isoliert. Der Grund: „Der Staat hat sich anfangs nicht sehr um eine langfristige Integration bemüht – viele Einwanderer galten als Arbeitskräfte, die sich nur für einige Zeit im Gastland aufhalten würden.“ Vielerorts seien somit Parallelgesellschaften entstanden, und in Moscheen und Gebetshäusern stießen aggressive Imame bei jungen Enttäuschten auf Interesse. Die Sozialstruktur der nun nach Europa Fliehenden sei jedoch grundlegend anders als jene der früheren „Gastarbeiter“ und ihrer Nachfahren, unterstreicht Felezeu: 2015 kämen teils gut ausgebildete Menschen nach Europa. Mit Hilfe neuer Medien seien ihnen zudem die Werte westlicher Gesellschaften besser vertraut als den Einwanderern der 60er-Jahre – entsprechend seien nun ihre Ansprüche an Ausbildung und Beruf. Hieraus könne durchaus eine Konkurrenz zu den bereits in Mittel- und Westeuropa lebenden Muslimen entstehen.

Beide Redner sind sich einig: Probleme bei der Integration von Muslimen in Europa sowie die aktuelle Flüchtlingskrise müssen schnellstmöglich und zeitgleich gelöst werden. So müsse in Europa darauf geachtet werden, wer in Europa im Namen des Islam predige – Strukturen und Organisation seien notwendig, um die Religion insgesamt sichtbarer zu machen. Auch der Staat müsse hierauf ein wachsames Auge haben. In Rumänien bestehe keine Gefahr eines islamistischen Anschlags – dafür stehe das Land momentan nicht genug im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Allerdings müssten sich auch hierzulande die Behörden um eine Koordination der religiösen Aktivitäten bemühen.
In den Krisenländern müssten die Großmächte schnellstens versuchen, stabile Regierungen auf die Beine zu stellen. „Man hat gesehen, was etwa in Libyen nach Ghaddafi passiert ist“, konstatiert Gemil. „Der Westen hat zwar eingegriffen, doch das Land versinkt im Chaos.“ Bestehende Regierungen müssten sich für Reformen öffnen: Die herrschenden Eliten sähen sich einer jungen Generation gegenüber, die zunehmend ihre Rechte einfordere. Es müsse in Bildung investiert und die Bevölkerung mit demokratischen Prinzipien vertraut gemacht werden. Und was kann in Europa unternommen werden, um dem Islamismus etwas entgegenzusetzen? Auch nach den jüngsten Anschlägen seien antiislamische Proteste nicht angebracht, schließt Gemil ab: „Hass und Islamophobie sind die gefährlichsten Waffen des Terrorismus.“

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Die Situation in den Bürgerkriegsländern des Nahen Ostens – ein Überblick

Bereits 1916 wurden die Weichen für eine schwierige Zukunft des Nahen Ostens gestellt: Großbritannien und Frankreich teilten sich am Reißbrett ihre Einflussgebiete auf. Das heutige Syrien und der Libanon gerieten unter französischen Einfluss, während sich das Gebiet des heutigen Irak unter britischer Vorherrschaft wiederfand. Die neuen Grenzen durchschneiden bis heute die historischen Siedlungsgebiete verschiedener Ethnien, Clans und Stämme – dementsprechend gering ist die Loyalität vieler Einwohner zu ihren Staaten ausgeprägt. Während langjähriger autokratischer Herrschaften kam es kaum zur Entwicklung demokratischer Elemente wie Parlament, Parteien oder Gewaltenteilung.

In Syrien war daher die Bewegung des „Arabischen Frühlings“ ab März 2011 von vornherein zum Scheitern verurteilt: Präsident Bashar al-Assad, der im Jahre 2000 die Nachfolge seines Vaters Hafiz antrat, wurde von keiner organisierten Bewegung für Demokratie herausgefordert, sondern zum großen Teil von Massenprotesten mit dem Minimalziel, die Regierung zu stürzen. Zudem verfolgen die verschiedenen Ethnien unterschiedliche Ziele: Die Kurden im Norden des Landes streben nach mehr Autonomie, was von der angrenzenden Türkei mit Argwohn beäugt wird. Diese unterstützt wiederum die Turkmenen in ihrem Kampf gegen die Assad-Regierung und hofft, ihren geopolitischen Einfluss auf Syrien und die arabische Welt ausweiten zu können. In ihrer Gegnerschaft zum syrischen Regime ließ das NATO-Land Türkei einen weiteren Konfliktpartner und Gegner Assads lange Zeit gewähren: den „Islamischen Staat“ (IS). Dieser propagiert eine äußerst rigide Auslegung des Islam und strebt nach der Errichtung eines neuen Staates, eines islamischen „Kalifats“ nach historischem Vorbild. In Assad sieht er einen „Ungläubigen“, da dessen Familie den Alewiten angehört, einer islamisch-schiitischen Konfession. Rückendeckung erhält der Präsident daher vom Iran, einer aufstrebenden schiitischen Regionalmacht. Militärische Hilfe erhält er seit mehr als einem Monat zudem aus Russland, welches seinen Einflussbereich in der rohstoffreichen Region ebenfalls abstecken möchte. Auch nach fast fünf Jahren Bürgerkrieg herrscht eine Pattsituation, und einzig der „Islamische Staat“ konnte auf Kosten der vormals gemäßigten Opposition seine Machtgebiete ausweiten.

Auch im Nachbarland Irak ist der IS aktiv. Dort entstand er bis 2013 als Abspaltung der „Al-Quaida im Irak“ und beherrscht heute etwa ein Viertel des Landes. Er machte sich ein Machtvakuum und Enttäuschungen in der arabisch-sunnitischen Minderheit zunutze. Bis zum Sturz des langjährigen Machthabers Saddam Hussein 2003 stellten die Sunniten die herrschende Elite, doch seitdem nehmen die ebenfalls arabischen Schiiten die Hauptpositionen in der Verwaltung ein. Diese Enttäuschung treibt viele Sunniten in die offenen Arme des IS. Unterdessen strebt die kurdische Bevölkerung im Norden des Landes nach größerer Autonomie – ebenfalls zum Missfallen der Türkei, die ähnliche Tendenzen unter den Kurden im Inland befürchtet. Der schwache irakische Zentralstaat hat seit 2014 bedeutende Rückschläge hinnehmen müssen, während der IS seine Gebiete im Irak und in Syrien ausweiten konnte und dort mit der Errichtung eines Staatsgebildes begann.

Chaos, Bürgerkrieg und Vertreibung sind in beiden Ländern seit 2011 Realität. Allein von 21 Millionen Syrern sind innerhalb des Landes über sieben Millionen Menschen auf der Flucht, und vier Millionen Flüchtlinge befinden sich mittlerweile im Ausland. Die Unterkünfte im Libanon und der Türkei haben ihre Kapazitätsgrenze überschritten, was zu einem Anwachsen des Flüchtlingsstroms nach Europa führte. Etwa zwei Millionen Iraker suchen unterdessen Schutz in den relativ sicheren Kurdengebieten im Norden des Landes, darunter Christen und Yesiden, eine Religionsgruppe ohne Verbindung zum Islam oder zum Christentum. Auch für irakische Flüchtlinge bilden die überfüllten Auffanglager in der Türkei kaum noch eine Alternative, weshalb sie sich zunehmend für eine Flucht nach Europa entscheiden. (ph)