Der Kampf um die Demokratie ist nie verloren

Moldauische Präsidentin bekommt Temeswar-Preis für europäische Werte

Ein starkes Auftreten der ersten Präsidentin der Republik Moldau: Maia Sandu spricht in ihrer Dankesrede von der Bedrohung der europäischen Werte durch den Krieg, der an den Grenzen ihres Landes tobt.

Die Präsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, bekommt die Medaille, die den Temeswar-Preis für europäische Werte begleitet, von Bürgermeister Dominic Fritz. | Fotos: Zoltán Pázmány

Der große Saal des 2023 wiedereröffneten Timiș-Kinos ist am Samstag, den 13. Januar, voll. Politiker, Diplomaten, Vertreter von Glaubensgemeinschaften, Geschäftsleute, Kulturschaffende und Mitarbeiter von Behörden sind gekommen, um Maia Sandu, der Präsidentin der Republik Moldau, zu begegnen. Nachdem das Staatsoberhaupt einen Tag vorher ein Treffen mit der Gemeinschaft der Bessarabier in Temeswar/Timișoara gehabt und auch die Constantin-Brâncuși-Ausstellung im Nationalen Kunstmuseum besucht hat, kommt sie nun zur Zeremonie, im Rahmen derer ihr der Preis „Temeswar für europäische Werte” verliehen wird – als erste internationale Persönlichkeit, die diesen Preis der Stadt Temeswar bekommt. 

Drei Minuten vor elf Uhr kündigt die Stimme aus den Lautsprechern die Ankunft der moldauischen Präsidentin an. Alle Blicke drehen sich Richtung Eingang. Präsidentin Maia Sandu kommt in Begleitung von Bürgermeister Dominic Fritz. Sie läuft sicher auf ihren hohen, schwarzen Stilettos, die perfekt zum dunkelblauen Anzug passen. Ein elegantes und zugleich starkes Auftreten, das von einem fast unmerklichen Lächeln begleitet wird. Maia Sandu prägt eine „Bescheidenheit, die in einer von Arroganz dominierten politischen Welt ins Auge sticht“, wird der deutsche Temeswarer Bürgermeister nur wenige Minuten später in seiner Laudatio sagen. 

Der Preis „Temeswar für europäische Werte“ wurde im vergangenen Jahr ins Leben gerufen und einstimmig vom Stadtrat genehmigt. Eine Jury, gebildet aus herausragenden rumänischen Persönlichkeiten, legte die erste Preisträgerin fest. Zum Entscheidungsgremium gehörten der Temeswarer Dirigent Cristian Măcelaru, der Schriftsteller Mircea Cărtărescu, die Richterin Iulia Motoc vom Internationalen Strafgerichtshof, die Botschafterin Rumäniens bei der UNESCO, Simona Miculescu, die Regisseurin Anca Miruna Lăzărescu, die Schrifstellerin Adriana Babeți und der Bürgermeister Dominic Fritz als Vertreter der Temeswarer Kommunalverwaltung. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis soll zeigen, dass auch Städte in Osteuropa eine  „europäische Berufung“ haben, so Bürgermeister Fritz, der darauf hofft, dass sich der Temeswarer Preis auf europäischer und internationaler Ebene bewährt. Zugleich soll der Preis „Temeswar für europäische Werte“ als Erbe des europäischen Kulturhauptstadtjahres 2023 bleiben. „Dieser Preis ist eine Erklärung, dass Europa für uns nicht nur ein geografischer Ort oder eine politisch-administrative Einheit ist, sondern ein integraler Bestandteil unserer Identität, Geschichte und Zukunft – einer Zukunft, die wir gemeinsam gestalten“, sagt Dominic Fritz.

Die Feierlichkeiten, moderiert von Lavinius Petreanu, wird live im rumänischen und im moldauischen öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen. In einem kurzen Film wird die Preisträgerin vorgestellt. Geboren 1971 in Risipeni, studierte sie zwischen 1989 und 1994 Betriebswirtschaftslehre an der Akademie der Wirtschaftswissenschaften in Chișinău. Im Anschluss studierte sie auch Internationale Beziehungen an der Akademie für öffentliche Verwaltung und schloss 2010 ein Masterstudium im Fach „Öffentliche Verwaltung“ an der Harvard Kennedy School der Harvard University in den USA ab. Nach zwei Jahren als Beraterin des Geschäftsführers der Weltbank in Washington D.C. kehrte sie in die Republik Moldau zurück, um von 2012 bis 2015 als Bildungsministerin dort tätig zu sein. Sie schaffte es, das Bildungssystem zu reformieren, indem sie gegen die Korruption in den Schulen und gegen den Betrug bei den Prüfungen vorging. 2015 gründete sie ihre eigene Partei, Partidul Acțiune și Solidaritate (Aktions- und Solidaritätspartei), und stellte sich den Wahlen um die Präsidentschaft der Republik Moldau. Sie verlor 2016 gegen den pro-russischen Vorsitzenden der Sozialistischen Partei Igor Dodon, doch das hielt sie nicht davon ab, sich den Präsidentschaftswahlen vier Jahre später wieder zu stellen. Damals mit Erfolg: Am 15. November 2020 gewann sie mit fast 58 Prozent der Stimmen die Präsidentschaftswahlen in der Republik Moldau und wurde zur ersten Frau, die dieses Amt bekleidet. 

„Unsere gemeinsame europäische Zukunft ist so zerbrechlich und bedroht wie nie zuvor seit 1989. Der Wettbewerb zwischen liberalen Demokratien und autoritären Regimen verschärft sich. Die Herausforderungen, die Wirtschaftskrisen und militärische Aggressionen mit sich bringen, erfordern Führungspersönlichkeiten, die sich über politische Streitigkeiten hinwegsetzen und die Komplexität des Regierens mit Finesse und Weitsicht meistern können. In dieser turbulenten Zeit erweist sich Maia Sandu nicht nur als starke Führungspersönlichkeit für ihr Volk, sondern auch als Vorbild für Millionen von Europäern außerhalb der Republik Moldau”, sagt der Temeswarer Bürgermeister Dominic Fritz in seiner Laudatio. „Präsidentin Maia Sandu glaubte an die europäischen Bestrebungen der Republik Moldau, als viele sie für utopisch hielten. Mit unglaublicher harter Arbeit, Entschlossenheit, Mut und einem gesunden Menschenverstand, wie man ihn in der Politik nur selten findet, kämpft sie beharrlich für die Gestaltung eines europäischen Weges für die Republik Moldau“, setzt er fort. In seiner Rede betont Dominic Fritz u. a. auch die Tatsache, dass der Weg Maia Sandus bis zur Spitze der Republik Moldau keineswegs ein leichter gewesen ist. „Maia Sandu hat die Präsidentschaftswahlen 2016 verloren. Ihr Aufstieg zur Premierministerin im Juni 2019 wurde nach nur 160 Tagen abrupt gestoppt. Rückblickend scheinen Maia Sandus Niederlagen zwar schmerzhaft, aber ihre Entschlossenheit nur gestärkt zu haben. Die Tatsache, dass sie sich nach ihrem Sturz wieder aufgerappelt und weitergemacht hat, ist nicht nur eine Lektion in persönlicher Entwicklung. Es ist auch ein Beweis dafür, dass in jeder Demokratie der Fortschritt seinen Preis hat und die Entwicklung eines Landes niemals linear verläuft. Der Kampf für die Demokratie ist nie verloren“, sagt Dominic Fritz. „So wie die Republik Moldau die Europäische Union braucht, ist Europa ohne die Republik Moldau nicht vollständig. Europa ist nicht vollständig ohne die reiche Kultur der Republik Moldau, ohne ihre historische Widerstandsfähigkeit, ohne ihre Erfahrung als Vermittlerin zwischen Ost und West. Maia Sandu verkörpert mit besonderer Glaubwürdigkeit das Streben Europas nach Vollendung seiner Integration“, sagt er zum Schluss.

Zur Preisübergabe treten die anwesenden Jurymitglieder auf die Bühne. Außer Schriftsteller Mircea Cărtărescu und Richterin Iulia Motoc sind alle anwesend. Staatspräsidentin Maia Sandu bekommt eine Medaille verliehen und tritt ans Mikro, während der Saal schallend Beifall klatscht. Mit fester Stimme spricht Sandu von den europäischen Werten – die man heute so leicht verlieren könne. „Populismus und Lügen werden für einige desillusionierte Bürger immer attraktiver und gefährden wichtige Werte – die Debatte, das Vertrauen in die Institutionen und ineinander. Korrupte Gruppen, wie wir sie in der Republik Moldau sehen, die mit schmutzigem Geld, mit Geld aus dem Kreml, finanziert werden, wollen die verfassungsmäßige Ordnung umstürzen, den Staat und die Demokratie untergraben.  Politiker, die sich mit der Maske europäischer Werte schmücken, aber bereit sind, wenn die Zeit gekommen ist, die Freiheit und das nationale Interesse zu verraten und die Republik Moldau in eine Grauzone der Gesetzlosigkeit und Korruption zu führen, in der Russland seine Interessen leicht durchsetzen kann. Eine Propaganda ohne Grenzen und ohne jegliche Spur von gesundem Menschenverstand, die es leider schafft, den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen Menschen und Nationen zu schwächen. All dies ist eine reale und sehr reale Gefahr, und zwar nicht nur für die Republik Moldau“, hebt Präsidentin Maia Sandu hervor. 

Von den Wahlen, die in der kommenden Zeit in der Welt stattfinden werden, hänge das Schicksal der Welt für die nächsten Jahrzehnte ab. „Ich hoffe, dass die Weltbürger den gesunden Menschenverstand, den Mut, die Menschlichkeit, die Ehrlichkeit, Wahrheit und Freiheit wählen werden. Und den Frieden“, sagt sie. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei eine reale, brutale und sofortige Bedrohung der Werte und Prinzipien, auf denen das europäische Konstrukt fußt. Es habe zwar keine direkte Aggression gegen die Republik Moldau gegeben, doch Cyberangriffe, die Verletzung des Luftraums, Versuche, soziale Spannungen zu erzeugen, die Verbreitung von Falschinformationen, der Versuch, die Kommunalwahlen im Herbst 2023 in großem Stil zu fälschen, aber auch der Versuch, die Regierung zu stürzen, habe es gegeben. „Gelungen ist ihnen nichts“, sagt Maia Sandu entschlossen.

„In den letzten Jahren ist es uns geglückt, die Abhängigkeit von russischem Gas abzuschaffen, wir haben unsere Exporte auf neue Märkte umgelenkt, wir bauen und reparieren Straßen und Brücken, die uns mit der Europäischen Union verbinden. Die Republik Moldau ist nicht mehr der Gnade des Kremls ausgeliefert, sondern bestimmt ihr eigenes Schicksal und geht entschlossen den Weg der europäischen Integration“, betont die Präsidentin zum Schluss. Die Menschen im Saal klatschen Beifall. Maia Sandu kandidiert im Herbst erneut für das Amt des Präsidenten der Republik Moldau. Zeitgleich mit den Präsidentschaftswahlen soll in der Moldau auch ein Referendum organisiert werden, um die Meinung der Bürger zum EU-Beitritt zu erfahren. „Es ist wichtig, allen zu beweisen, dass es in der Republik Moldau eine große Unterstützung gibt für unser wichtigstes Projekt – die EU-Integration der Republik Moldau“, erklärt sie in einem kurzen Statement nach der Preisverleihung.