Der kostbare Zaun

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Unlängst haben sich Nachbarn einen riesigen Zaun um ihr Grundstück errichten lassen - ein mannshohes, edel cremefarben verputztes Mauerwerk mit massiven Pfeilern und Zinnen, an dem zwei Monate mit fünf Mann gebaut wurde und das ein Vermögen gekostet haben muss. Kein noch so starker Feind wird diese Festung je einnehmen können – nur für den Fall, dass Krieg ausbrechen sollte. Nun ist das Bauernhaus mit dem rostigen Blechdach und der baufälligen Scheune im wahrsten Sinne des Wortes bombensicher – atombombensicher! Bestimmt eine bessere Investition, als ein schnödes Badezimmer oder ein spießiges Ziegeldach gewesen wäre.

„Ach, Sie wollen bauen?“, bemerkte mein Mann eines Tages leutselig, denn auf dem Grundstück wäre durchaus Platz für eine dem Zaun würdige, fünfstöckige Villa mit Pool – die einzige vernünftige Erklärung, wie ihm schien. Doch der Nachbar schüttelte nur erstaunt den Kopf. Er hätte es satt, dass Straßenhunde über sein Grundstück liefen, erklärte er. Statt dessen läuft da nun ein einziger Hund drüber, cremefarben und riesig wie der Zaun und wahrscheinlich fast genauso teuer.

Was mag wohl in so einer Festung verborgen sein? Und – zieht ein Prachtzaun nicht eher Diebe an als Holzlatten oder Maschendraht? Zumal man ersteren genauso leicht überklettert, wie man letzteren anhebt, um unten hindurchzuschlüpfen.
Immerhin, wir als Nachbarn kamen so in den Genuss eines Ambientes, das dem von Cotroceni nur um weniges nachsteht. Nicht, dass wir uns dies explizit gewünscht hätten. Doch das Grillen im Garten mit Freunden wird nun automatisch zum Staatsempfang. Seit dem nachbarlichen Zaun kommen die Gäste nicht mehr in Jeans und mit Ţuica in der Plastikflasche, sondern in Frack und Abendkleid, den Moet et Chandon unterm Arm. Oder so ähnlich.

Kurz darauf begann ein weiterer Nachbar, an seiner zur Straße gerichteten Einfahrt wie wild zu betonieren. Nur wenige Meter dahinter, in der anderen Ecke des Hofes, türmen sich hinter löchrigem Maschendraht Baubretter und Bohnenpflöcke, Plastiktonnen und sonstige Dinge, die man irgendwann noch brauchen kann. Vorne hui, hinten pfui. Zu denken gab mir aber auch das Beispiel des Mannes, der zuerst für 20.000 Euro einen Zaun errichten ließ – und nun doch kein Haus mehr baut, weil ihm inzwischen der Job abhanden kam und die Geldquelle plötzlich versiegt ist.

Zäune sind offenbar Prestigeobjekte, die Straße ist ihr Showroom! Wir leben in einem Potemkinschen Dorf: Nach vorne raus zeigt man, was man hat, nach hinten raus zeigt man, dass man sowieso nichts hat, was sich zu stehlen lohnt. Außer dem Zaun vielleicht...
So warnte uns ein anderer Nachbar: Wenn ihr bauen wollt, müsst ihr zuerst einen Zaun machen, sonst klaut man euch das Material. Und fügte dann hinzu: Aber dann müsst ihr ab sofort dort wohnen – sonst klaut man euch den Zaun! Da beißt sich doch der Hund in den Schwanz! Ob wir nicht doch lieber erst eine stattliche Mauer bauen, die man nicht wegtragen kann und später, falls uns irgendwann mal unerwartet Geldsegen ereilen sollte, ein kleines, bescheidenes Häuschen?