Die Belastungsprobe

Vor dem 2. Weltkrieg wurde eine Hängebrücke über den Rhein zwischen Köln und Köln-Mülheim gebaut. Nach der Fertigstellung wurde eine Belastungsprobe vorgenommen. Man fuhr große, mit Bleiklötzen beladene Lastwagen auf die Brücke, so viele, bis die Belastungsgrenze erreicht war. Die Brücke musste sich, nach Berechnungen der Erbauer, um einen halben Meter senken. Tatsächlich sank sie genau bis auf das errechnete Maß, dann aber, als man die Wagen wegfuhr, kehrte sie in die ursprüngliche Lage zurück. Die Brücke hatte die Belastungsprobe bestanden. Bei allen technischen Erzeugnissen müssen die Bearbeiter die Eigenschaften der Materialien und die Gesetze der Statik genau kennen und sie peinlich befolgen. Nur so können die Erzeugnisse den Test bestehen. Darauf beruhen die Erfolge der Technik. Es sind leblose Stoffe, die man ihren Eigenschaften entsprechend bearbeiten muss, um Erfolge zu erzielen.

Wie sieht das aber mit Lebewesen aus? Die Tiere sind Lebewesen, aber nicht mit Vernunft begabt. Darum können Tierkenner sie zähmen, sie sogar dressieren und mit ihnen großartige Zirkusprogramme durchführen. 

Wie steht es aber mit uns Menschen? Wir alle sind mit Vernunft und freiem Willen begabt. Will man uns für eine Idee gewinnen, muss man unserem Verstand überzeugende Gründe vorlegen und unseren Willen zu ihrer Annahme motivieren. Das ist eine sehr schwere Aufgabe. Es hängt davon ab, was der einzelne Mensch als hohes oder gar als höchstes Gut ansieht. Da gibt es viele verschiedene Auffassungen. Deshalb gibt es unter uns Menschen Idealisten, Materialisten, Realisten, Rationalisten, Utilitaristen und noch eine ganze Menge von anderen Auffassungen. Der Idealist stellt das Geistige über das Materielle: Ihm sind Gott, Tugend, Gerechtigkeit, Edelsinn und alles, was sich über das allzu Menschliche erhebt, wertvollere Güter als die materiellen Dinge. Der Geist hat bei ihm Priorität. Für den Materialisten hat nur das Wert, was man sehen, zählen und besitzen kann. Der Realist behauptet, er stehe mit beiden Füßen auf dem realen Boden. Für ihn existiert nur, was er mit seinen Sinnen wahrnehmen kann. Der Rationalist hält nur das für wahr, was er mit seiner beschränkten Vernunft begreifen kann. Der Utilitarist behauptet: „Gut ist,was uns nützt!“ Bei jeder Handlung fragt er: „Was schaut für mich dabei heraus?“

Die Juden sahen in den Gesetzen des Moses den Leitstern für ihr Leben und hofften auf einen Messias, der sie zum Sieg über ihre Unterdrücker führen werde. Als nun Jesus in ihrer Mitte auftrat, da waren sie geteilter Meinung über ihn. Die von seiner Lehre Überzeugten, die geheilten Kranken und ihre Angehörigen, glaubten an ihn. Andere behaupteten, er vollführe seine Heilungen nur mit der Hilfe des Teufels. Viele wechselten ihre Meinung über ihn, vom Positiven zum Negativen. Als er 5000 Männer durch die wunderbare Brotvermehrung sättigte, wollten sie ihn zum König ausrufen. Sie suchten ihn am nächsten Tag, als sie wieder Hunger hatten. Er versprach ihnen ein Brot, nicht für den Magen, sondern für ihren Geist. Als er erklärte: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ und „mein Fleisch ist eine wahre Speise und mein Blut ein wahrer Trank“, und dazu die Verheißung „Wer dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit“, ging das über ihren geistigen Horizont. 

Im Evangelium heißt es: „Viele wandelten nicht mehr mit ihm!“ Für die Apostel waren diese Worte genauso unverständlich, doch sie erklärten: „Du hast Worte des ewigen Lebens!“ Beim letzten Abendmahl, als Jesus über das Brot sprach: „Das ist mein Leib!“ und über den Kelch: „Das ist der Kelch meines Blutes! Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ wurde ihnen offenbar, was Jesus bei seiner „Brotrede“ sagen wollte. Nach der Himmelfahrt Christi vollführten sie diesen Auftrag im sogenannten „Brotbrechen“.

Diesen Auftrag vollführen auch wir bei jeder Eucharistiefeier. Der Glaube an seine Gegenwart im Brot und Wein bei der Eucharistiefeier ist für unseren Glauben die „Belastungsprobe“. Wir bestehen sie, wenn wir in das Bekenntnis der Apostel mit einstimmen: „Du hast Worte des ewigen Lebens!“