Die Kinder und ihr „Vati Fabi”

Aufwachsen auf der Kinderfarm: ein neues Zuhause bei Concordia

Die Schule ist vorbei, die Kinder kehren nach Hause zurück, in die Concordia-Kinderfarm.

Beim Einkaufen im Tiger-Shop

Die Jugendlichen bei landwirtschaftlichen Aktivitäten

Zweimal pro Woche besuchen die Kinder die Kunstwerkstatt.

Farmleiter Fabian mit Radu und George

Irina Zaharia im Kindergarten Concordia
Fotos: Aida Ivan

An einem kalten, sonnigen Morgen wartet am Westbahnhof in Ploieşti ein Auto, auf dem „Concordia” steht. Concordia ist ein lateinisches Wort, es bedeutet wortwörtlich „mit Herz”. Diesen Namen trägt auch die Göttin der Eintracht aus dem römischen Pantheon, außerdem ist Concordia eine der viel geschätzten Tugenden in der Antike. Nach einer schnellen Begrüßung fährt das Auto mit seiner ehrwürdigen Inschrift aus der Stadt hinaus, Richtung Nordwesten nach Ariceştii Rahtivani, etwa 15 Kilometer von Ploieşti entfernt. Diejenige, die das Auto fährt, ist Irina Zaharia, die sozialpädagogische Leiterin der Stiftung Concordia Rumänien.

Die Stiftung verspricht jedem Kind ein liebevolles Zuhause und Unterstützung, mit der Perspektive auf eine Zukunft, die nach seinem eigenen Willen gestaltet werden kann. Kleinkinder, Kinder im Schulalter, Jugendliche, junge Männer und Frauen – bedürftige Menschen aus allen Kategorien – stehen im Mittelpunkt der Bestrebungen der Stiftung: Unterkunft, Einschulung, Assistenz bei der Arbeitssuche – alles wird durch Concordia sichergestellt.
Irina verkörpert die Prinzipien der Nichtregierungsorganisation (NGO), für die sie arbeitet: Sie scheint eine energische Person zu sein, ihr Gesichtsausdruck verrät Entschlossenheit und Willensstärke. Auch die Art, wie sie spricht, imponiert.

Trotzdem ist sie ein Mensch, mit dem man schnell eine Verbindung herstellen kann: Ihre Geschichte im Rahmen von Concordia beginnt 1998, nachdem sie ihr Studium abgeschlossen hatte. Seit fünf Jahren hat sie eine Führungsposition inne. Ausgebildet wurde sie von Ruth Zenkert, die 20 Jahre lang das Sozialzentrum „Sankt Lazarus“ der Hilfsorganisation Concordia leitete und sich nun einem anderen, ähnlichen Projekt in Holzmengen/Hosman gewidmet hat (siehe hier). Irina hat bisher an fast allen Concordia-Projekten teilgenommen: Immer wenn ein neues Concordia-Zentrum eröffnet wurde, war sie dabei. Irina wohnt in Ariceşti, da, wo sich die Concordia-Farm für Kinder befindet. Ihr Ehemann ist auch Pädagoge und sorgt für die Freizeitaktivitäten der Kinder von Concordia, wie Musik, Sport oder Kunst.

Die Farm für Kinder

Am Eingang der Farm gibt es eine Wächterin, Jeana. Jeana wurde von Concordia vor langer Zeit aufgenommen. Da sie eine einfache Person ist, hat sie die Stelle als Pförtnerin auf der Farm. Sie lächelt freundlich und stellt Fragen, als ob sie alle, die vorbeikommen, seit Ewigkeiten kennt.
Die Sozialarbeiter der Concordia-Zentren in Bukarest wollten die Kinder den schlechten Einflüssen in der Stadt entziehen und sie neben dem Schulbesuch mit Natur und Handwerk beschäftigen.

Die Möglichkeiten dafür sind in der Stadt begrenzt. Insgesamt 78 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 18 Jahren wohnen zurzeit hier. Sie kommen aus armen Familien oder Kinderheimen. „Nach der Restrukturierung der Kinderheime in den 90er-Jahren haben wir auch Kinder aus den Kinderheimen in Buşteni und Vălenii de Munte übernommen”, erklärt Irina. Für die Minderjährigen hat Concordia als legaler Vertreter die Verantwortung übernommen.

Die Concordia-Farm für Kinder sieht eigentlich nicht wie eine Farm aus: Es ist ein Gebäude-Komplex, der 1994 noch nicht existierte: Damals gab es hier nur eine alte Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) mit einer Gesamtfläche von acht Hektar. Als die LPG gekauft wurde, haben sowohl Sozialarbeiter als auch Kinder in Zelten gewohnt. Manche Ställe wurden abgebaut, andere wurden saniert.

Inzwischen wurden an dem Ort, an dem es nur Ställe gab, Wohnungen, verschiedene Werkstätten, eine Sporthalle, eine Bibliothek, ein Computerraum und sogar eine Kapelle errichtet. In der Farm gibt es neun Häuschen, in jedem Haus leben acht oder zehn Kinder wie in einer Familie: Es gibt eine Tages-, eine Nacht- und eine Wochenenderzieherin. Die Kinder gehen in die Schule wie alle anderen Kinder. Die meisten gehen in die Schule in Arice{ti, diejenigen, die das Lyzeum besuchen, fahren nach Ploieşti und es gibt auch manche, die die Sonderschule in Filipe{ti besuchen.Außerdem befinden sich hier auch die Büros der Angestellten und ein Tiger-Shop.

Tiger-Shop,Schreinerei, Kunst

Im Büro der Farm findet man Fabian Robu, einen hochgewachsenen Mann, der sein halbes Leben bei Concordia gearbeitet hat. Angefangen hat er als Volontär, jetzt ist er der Leiter der Concordia-Farm für Kinder und erzählt auf einem Spaziergang begeistert von ihr.

Der erste Stopp ist der Tiger-Laden (Tiger-Shop), der wie ein normaler Laden aussieht, mit einfachen Regalen aus Holz, die vollgestopft sind mit allerlei Produkten – von Spielzeugen und Kleidung bis zu Lebensmitteln und Süßigkeiten ist alles vorhanden. Gerade sind Kinder aus einem der Häuschen zum Einkaufen gekommen. Begleitet werden sie von ihrer Tageserzieherin, die die Kinder ermutigt, sich allein beim Einkaufen zurechtzufinden. Sophia, eine blonde Volontärin aus Deutschland, hält das kleinste Kind an der Hand, ein Mädchen liest die Produkte auf der Einkaufsliste laut vor und ein anderes sucht die Waren im Laden. Hier geben die Kinder auch ihr Taschengeld aus: „Wenn sie sparen, dann können sie sich das kaufen, was sie wollen. Sie lernen dadurch, dass es nicht möglich ist, etwas umsonst zu bekommen. Alles hat einen Preis”, meint Fabian.

Ein paar Schritte weiter befindet sich die Schreinerei, wo die Jugendlichen eine Ausbildung machen. Hier bekommen sie auch ein Abschlussdiplom, unter der Voraussetzung, dass sie die achte Klasse erfolgreich beendet haben. „Die Ausbildung dauert zwei Jahre, acht Stunden pro Tag. Es gibt auch eine Probezeit, die einen Monat dauert. Niemand wird dazu gezwungen”, erklärt Fabian. Außerdem soll jeder auch ein Praktikum machen: Einen Tag pro Woche arbeiten die Jugendlichen bei einer Schreinerei in Ploieşti. Die modernen Maschinen, die beim Holzschneiden benutzt werden, wurden von Firmen aus dem Ausland gespendet, ebenso wie die meisten Geldbeträge, die das ganze Concordia-System am Leben halten.

Die Werkstatt für Landwirtschaft wird auf der Farm organisiert. Das heißt, dass sie „geschützt” ist: Sie wurde für einige der Jugendlichen bereitgestellt, die aufgrund ihrer Geschichten viel aufzuholen haben oder intellektuell minderbegabt sind. Hier gibt es mehr Flexibilität und Regeln, die an die Möglichkeiten angepasst sind.

Für die Kinder gibt es eine Kunsttherapie: Bogdana ist zuständig für die Kunstwerkstatt auf der Farm. Hier sitzt gerade eine kleine Gruppe von Kindern neben einer grauhaarigen Dame, die mit ihnen zusammenarbeitet: Sie ist die österreichische Kunstlehrerin, die vor drei Jahren die Kunstwerkstatt gegründet hat. Auf dem Tisch liegen eine große Rolle Draht und verschiedenartige Keramikobjekte. Im naheliegenden Raum gibt es einen Töpferbrennofen, wo die Kunstwerke der Kinder ihre endgültige Form bekommen. Kinder, die auf der Farm wohnen, besuchen die Werkstatt zweimal pro Woche. „Die Schule hat bei ihnen Priorität, deshalb kommen sie nicht öfter”, weiß Fabian zu berichten. Monatlich wird auf der Farm eine neue Gemäldeausstellung eröffnet.

In einer anderen Werkstatt können die Kinder dreimal pro Woche mit Laubsägen arbeiten. Andere Möglichkeiten zur künstlerischen Entwicklung werden durch das Concordia-Orchester angeboten: Hier können die Kinder verschiedene Instrumente wie Klarinette, Flöte oder Gitarre spielen lernen oder einfach im Chor singen. Hinzu kommen noch die sportlichen Aktivitäten: Außer der großen Sporthalle gibt es auch eine Kletterwand und eine Fahrradwerkstatt mit mehr als zweihundert Fahrrädern.

Als wir wieder draußen sind und uns die Sporthalle ansehen, hebt Fabian die Rolle des Sports für die Kinder in der Farm hervor: „Durch Sport lernen sie, dass sie bestimmte Regeln respektieren müssen. Und dann fällt ihnen das Wohnen in der Gemeinschaft auch leichter.” Außerdem soll Gymnastik, Fußball, Volleyball oder Handball ihnen dabei helfen, die angesammelte negative Energie loszuwerden. „Die Kinder haben in der Farm alles, was sie brauchen. Das Ziel all dieser Aktivitäten ist es, die Begabungen der Kinder zu entdecken. Das entdeckte Talent kann zu ihrem zukünftigen Beruf führen”, sagt Fabian.

Vati Fabi

Die Kinder leben hier in einer Welt, die ihren Bedürfnissen entspricht. Sie erhalten hier das, was ihre Familien ihnen nicht bieten konnten. Mit eingeschlossen sind nicht nur Unterkunft, Ernährung und Einschulung, sondern auch Fürsorge. Bei dem Besuch eines Hauses hat man den Eindruck, dass hier eine echte Familie wohnt. Die Tageserzieherin, die die mütterliche Rolle übernimmt, hat das Essen für Radu, Elena und George vorbereitet, die in Kürze in die Schule müssen.

Rund herum ist alles blitzsauber: Die Kinder lernen von früh an, beim Kochen und Aufräumen zu helfen, die eigene Kleidung in Ordnung bringen, das Bett zu machen und so weiter. „Früher aßen die Kinder mit der Hand und prügelten sich, aber mit der Zeit haben sie auf diese schlechten Gewohnheiten verzichtet”, erklärt Fabian, der inzwischen mit den Kindern, die stolz ihre Schlafzimmer zeigen, ins Gespräch kommt.

Fußball, Musik, Traumautos: Mit „Vati Fabi”, der liebevoll seinen Arm über ihre Schultern legt, sprechen sie über alles Mögliche. George kann Trompete spielen, Radu und Elena  Klavier.  Des Weiteren erfährt man, dass beispielsweise Elena noch fünf Geschwister auf der Farm hat. Die glänzenden Blicke der Kinder rund um Fabian sowie dessen Natürlichkeit im Umgang mit den Kindern – all das sind Zeichen einer authentischen Beziehung zwischen den Betreuern und den Kindern und ein Beweis für das gute Funktionieren des Concordia-Systems.