„Die Kunst, das zu zeigen, was alle wahrnehmen, aber nicht sehen“

Interview mit dem französischen Fotografen Philippe Salmon

Der Fotograf posiert vor seinen Lieblingsfotos. | Foto: Cristiana Scărlătescu

Philippe Salmon wurde in Paris geboren, heute lebt er zwischen dem Vallée de Chevreuse bei Paris und Rumänien, hauptsächlich in Bukarest – der Heimat seiner Frau und „Land seiner Seele“, wie er sagt. Seine Leidenschaft für die Fotografie hat er früh entdeckt: Schon als Kind „tauchte“ er in die Fässer mit Entwicklungs- und Fixierlösungen für Fotos im Filmentwicklungslabor seines Vaters ein. Daher ist es nachvollziehbar, dass Salmon im Alter von 15 Jahren seine ersten Schritte als Autodidakt mit einer Zenith 50-mm-Kamera machte. Heute, im Ruhestand, widmet sich Philippe Salmon voll und ganz dieser Leidenschaft. Er ist Mitglied im französischen Fotoclub GIF, mit dem er an Fotografiewettbewerben in Frankreich teilnimmt, etwa 2019 in Château de Belleville oder beim Fête des Artistes, wo er 2021 und 2022 ausgestellt hat. Dieses Jahr hat er seine erste internationale Ausstellung unter dem Titel „Klein-Paris, eine andersartige Vorstellung“ im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ in Bukarest eröffnet (die ADZ berichtete) und dabei auf die Fragen von ADZ-Redakteurin Cristiana Scürlütescu geantwortet.

Herr Salmon, für die Fotografie haben Sie sich schon seit Ihrer Kindheit begeistert und die Begabung dafür haben Sie von Ihrem Vater geerbt. Wie war es, von der Fotokunst umgeben aufzuwachsen?

Es ist eine lange Geschichte. Mein Vater hatte mit einem seiner Freunde ein Fotolabor eingerichtet und wollte mich in die Fotografie und fotografische Entwicklung einführen. Ich habe viel Zeit zwischen den Entwickler- und Fixierbehältern im dem Labor meines Vaters verbracht. Später brachte er mir auch den Umgang mit der Kamera und die gesamte Fototechnik bei. Mein Vater spezialisierte sich unter anderem auf Straßenfotografie. Es gibt also nichts Neues unter der Sonne, ich bin nur seinem Ansatz gefolgt. Ich habe auch einen Bruder, der ebenfalls fotografiert.

Haben Sie auch einen anderen Beruf ausgeübt?

Ja, mein Hauptberuf ist nicht die Fotografie. Hauptberuflich war ich Buchhändler. Jetzt beschäftige ich mich mit der Fotografie, weil ich meine ganze Zeit damit verbringe. Als ich heute hierher kam, verbrachte ich unterwegs eine volle Stunde damit.(lächelt)

Sie teilen Ihre Zeit zwischen Vallée de Chévreuse in Frankreich und Rumänien. Was hat Sie hierher getrieben und wie wurde Rumänien zu Ihrer Wahlheimat?

Vor nunmehr 15 Jahren bin ich erstmals nach Rumänien gereist und so habe ich meine Ehefrau Liliana kennengelernt. Mittlerweile hat sich noch einiges geändert. Ich habe beobachtet, wie sich Rumänien von seinem ländlichen Geist entfernt hat und viel urbaner geworden ist.

Wieso haben Sie sich entschieden, die urbane Realität in Ihren Fotos mit einem Schwarz-Weiß-Filter darzustellen?

Meines Erachtens ist das Schwarz-Weiß-Foto aussagekräftiger und offenbart mehr Dinge, die wir sehen können. Für bestimmte Details wirkt Farbe etwas zu auffällig. Beispielsweise wenn wir den Hintergrund betrachten, würden die Gebäude die Aufmerksamkeit auf sich lenken, auch wenn sie nicht das Sujet des Fotos sind, sondern die Statue und der Mensch, die davor stehen. 

Und ich war es immer gewohnt, schwarz-weiße Aufnahmen zu machen. Für mich ist dies eine Form der Farbe. Außerdem interessiert mich Stadtfotografie in dem Sinne, dass ich gerne Menschen sehe und beobachte. Und manchmal knipse ich, natürlich ohne ihr Wissen, Fotos von ihnen. In der Regel posieren meine Sujets nicht, außer in einem oder zwei Fotos. Ansonsten sind es Alltagsszenen, die wir fast überall sehen können. In Frankreich  wurde ich nach einem Thema für Bukarest gefragt, also mache ich dieses Thema. Es handelt sich lediglich um Straßenfotos, die in Bukarest aufgenommen wurden. 

Was haben Sie an den Bukarester Straßen als aufmerksamer Beobachter mithilfe Ihrer Kamera so besonders gefunden und was hat Sie am meisten beeindruckt?

Ich interessiere mich für viele Dinge, vor allem aber für Menschen, die durch die Stadt streifen. Der Beweis dafür: meine Fotos! Es gibt auch einiges an Elend, wie in allen beliebigen Ländern. Dies gilt nicht nur für Bukarest. Ansonsten kann der gesamte architektonische Teil interessant sein, unter der Bedingung, dass er entsprechend gepflegt wird. Die Stile reichen vom neorumänischen bis hin zur deutschen Neoklassik. Diese große kulturelle Mischung finde ich sehr schön. Es ist von allem ein bisschen dabei. In Bezug auf die Architektur ist die Hauptstadt sehr angenehm.

Wie schaffen Sie es, von den Passenten nicht entdeckt zu werden? SindSie jemals auf Schwierigkeiten im Umgang ihnen gestoßen?

Es ist recht einfach, nicht entdeckt zu werden. Die Schlüsselwörter der Straßenfotografie sind Beobachtung und Diskretion. Straßenfotografie ist im Wesentlichen die Kunst des Be-obachtens, des Genießens des richtigen Moments, des Einfangens eines Moments im Bruchteil einer Sekunde und des Erzählens einer Geschichte, ungeachtet ob lustig oder traurig. Sie fängt einen Sachverhalt ein, ist aber weder eine Satire noch eine Kritik an unserem Leben. Die zeitgenössische Straßenfotografie unterscheidet sich von der früheren, vor allem, weil es sich in der Vergangenheit im Wesentlichen um Dokumentarfotografie handelte, während sie sich heute  stärker auf den Ausdruck und die umgebende Atmosphäre konzentriert. Im Mittelpunkt der Straßenfotografie steht der Mensch. Ich möchte nicht, dass die Leute Straßenfotografie mit Paparazzi-Fotos verwechseln. Bei der Straßenfotografie folgen wir keiner bestimmten Person. Ich glaube, dass diese Art von Fotografie, um erfolgreich zu sein, provozieren und für sich selbst sprechen muss, ohne Kommentar. Das Beobachten bleibt meines Erachtens die Hauptqualität eines Straßenfotografen, denn im Bruchteil einer Sekunde muss man entscheiden, ob man ein Foto macht oder nicht. 

Aus technischer Sicht besteht die Ausübung dieser Art der Fotografie oft darin, sich dem Sujet zu nähern, es möglicherweise zu verfolgen oder sogar daran vorbeizugehen, und zwar möglichst unbemerkt oder -gestört. Man muss sich also unter die Menge mischen. Schwarze Kleidung oder in neutralen Farben passt gut. Der Fotoapparat ist klein, relativ diskret und ich habe ihn immer bei der Hand. Dann gibt es auch einige Tipps, zum Beispiel tue ich so, als ob ich meine Frau fotografiere und nehme eigentlich eine Szene neben oder hinter ihr auf. Aus meiner Erfahrung sind die gelungensten Fotos jene, deren Sujet sich nicht dessen bewusst ist, das es fotografiert wird. Es kann auch vorkommen, dass unser Sujet „mitspielt“, indem es sich freiwillig fotografieren lässt, aber dieser Fall ist recht selten und führt oft dazu, dass das Foto weniger spontan aufgenommen wird. Ich würde diese fotografische Praxis definieren als die Kunst, das zu zeigen, was alle wahrnehmen, aber nicht sehen.

Wie lange hat es gedauert, die Fotos für diese Ausstellung zu sammeln? 

Die Fotos wurden über einen Zeitraum von drei Jahren aufgenommen. Dies ist natürlich eine Auswahl, ich habe Hunderte weitere. 

Bitte erzählen Sie uns ein wenig über die Tätigkeit des Fotoclubs GIF, dessen Mitglied Sie sind, und über Ihr Vorhaben für die Zukunft. 

Der Fotoclub GIF besteht aus 40-50 Mitgliedern. Zusammen machen wir Ausflüge und fotografieren zu verschiedenen festgelegten Themen. Diesmal fahren wir zum Beispiel in die Stadt Le Havre, um Fotos von der Architektur aufzunehmen. Aber ich werde trotzdem gleichzeitig Straßenfotos machen, weil ich nicht anders kann. Es wird zum Laster! (lacht) 

Ansonsten treffen wir uns jeden Montag und jeder stellt seine Fotos zum gegebenen Thema vor. Wir tauschen uns über Techniken aus, teilen unsere Eindrücke mit usw. Kurz bevor ich nach Rumänien kam, habe ich für einige Mitglieder, die sich für Straßenfotografie interessierten, eine Schulung durchgeführt.

Ich habe mir vorgenommen, ein paar Mitglieder des Clubs nach Rumänien zu bringen. Ich denke, es wäre schön, ihnen nicht nur Bukarest, sondern auch jene Orte abseits der Touristenpfade zu zeigen und, warum nicht, die Fotos, die sich aus unserem Ausflug ergeben werden, erneut hier im Schillerhaus auszustellen.

Vielen Dank für das Gespräch!