Die Macht der Bilder und Namen

Im Regelfall werden Bilder von den Herren der Welt erst nach eingehender Analyse durch Kommunikationsfachleute aller Art zur Veröffentlichung freigegeben. Umso mehr wundert, dass nach der Begegnung in Genf zwischen Joseph Biden (mit übereinandergeschlagenen Beinen, sitzend) und Zar Wladimir Putin (breitbeinig auf dem Sessel thronend) ein Bild durch die Weltmedien ging, das dem Vertreter der Demokratie gar nicht, dem Autokrat aus dem Osten aber umso mehr nutzen muss: Seine Sitzhaltung suggeriert in allen patriarchalisch-autokraten Systemen (vor allem Russland, China, Arabien) Überlegenheit. Den Platzhirsch. Dass keine gemeinsame Pressekonferenz im Anschluss an das „Aussöhnungstreffen“ der Speerspitzen im angebrochenen neuen Kalten Krieg ausgemacht war, hatte man zur Kenntnis genommen, konstatierte auch, dass die individuellen Pressekonferenzen der beiden einem Meinungsäußern Rücken an Rücken geähnelt haben.

Man geht wohl kaum fehl, wenn man das Genfer Treffen trotzdem mit Vorsicht begrüßt – urteilend auch nach dem zeitlichen Umfeld, in dem es stattfand: Das Ende einer illiberalen Ära in Israel mit der Abwahl Netanyahus (inklusive dessen Trump’schen Verlierergesten), den Hamas-Raketen aus dem Gaza-Streifen auf Israel (deren Abfeuern den Russen nicht fremd gewesen sein soll), dem immer betonteren Aufplustern des Ungarn Viktor Orbán, dem offenen Diktatorengehabe des Türken Erdogan usw.

Ungewollt wurde das Aussöhnungstreffen von Genf aber von den Medien bildlich wie ein Treffen auf dem Geflügelhof gebracht: Zwei Truthähne gehen aufgeplustert, roten Kopfes, aufeinander zu, messen sich wechselseitig mit angespanntem Flügelzittern, kratzen mehrere Mal nervös mit den Krallen im Mist – und drehen sich den Rücken zu. Das Bild der sich gegenübersitzenden Mächtigen sagte mehr aus als die vielen gescheiten nachmaligen Deutungen der Berufskommentatoren.

Implizite und folgerichtig muss man auch an die Thukydides-Falle denken, wenn man um die Ostallianz Russlands mit China, um die chinesischen Rüstungsausgaben (die sich in zwei Jahrzehnten versechzehnfacht haben) und Aufrüstungen weiß und dass Russland seit 2016 (und gelegentlich auch das nicht selten opportunistische Frankreich) an China hochmoderne Waffen(systeme), vor allem Kampfflugzeuge, liefert. Zudem: Das Aufstreben Chinas zur Wirtschafts-Weltspitze scheint unaufhaltsam, implizite die Ansprüche der künftigen Nr. 1 der Weltwirtschaft. China wird nachgesagt, dass schon eine Tonscherbe mit einem chinesischen Schriftzeichen chinesische Gebietsansprüche auf jeden Atoll im Pazifik „rechtfertigt“. Zur Erinnerung an den Augenzeugen von vor 2500 Jahren: Athen hatte sich wirtschaftlich so stark entwickelt, dass ein Konflikt mit dem konservativen, waffenstarrenden, aber wirtschaftlich moderaten Sparta unumgänglich wurde. Der Peloponnesische Krieg brach aus. 

Der Harvard-Professor Graham Allison hat in seinem Buch „Für Krieg bestimmt: Können Amerika und China der Thukydides-Falle entkommen?“ aufgrund historischer Analysen ähnlicher Konfliktpotenziale die Frage bejaht. Die Grundfrage der politischen Gegenwart bleibt aber: „Wie belastbar sind die liberalen Demokratien?“ Urteilt man nach den Reaktionen auf die von Lukaschenko angeordnete Flugzeugentführung oder nach den Maßnahmen der demokratischen Welt gegen Russland nach der Krim-Besetzung, muss man antworten: „Sehr belastbar.“ Zahn- und wirkungslos. Dem ungezogenen Kleinkind wird mit hochgehobenem Zeigefinger gesagt: „Das sollst du nie wieder tun!“ Neo-Autokratien haben ein anderes Zeitempfinden als Demokratien: Die denken nicht in Wahlperioden. Mit ihnen verhandeln heißt, Zivilisationen zeitlos konfrontieren.

Wer hat sich in Genf durchgesetzt? Wem zeigte Zar Wladimir in Genf seine Verachtung, wenn er seinen Widersacher Alexej Anatoljewitsch Nawalny nicht mal beim Namen nannte?