Die mehrsprachige Bukowina war in seiner Person vereint

Prof. Oleh Pantschuk, der langjährige Freund des Bukowina-Instituts Augsburg, verstarb überraschend am 28. Februar 2022 im 90. Lebensjahr

Eine Statue von Olga (Olha) Kobyljanska, der Großmutter bzw. Großtante von Prof. Oleh Pantschuk, vor dem Theater von Czernowitz
Foto: George Dumitriu

Der brutale Überfall der Russischen Föderation auf die Ukraine mit dem Versuch, das Land militärisch zu besetzen und eine russlandfreundliche Regierung in Kiew zu installieren, lag noch keine Woche zurück, da ging in der Hauptstadt der Bukowina ein arbeits- und erfolgreiches Leben zu Ende. Die völkerrechtswidrige Invasion in sein Heimatland, die Ukraine, hatte ihm das Herz gebrochen: Prof. Oleh Pantschuk war – im 90. Lebensjahre stehend – für immer von uns gegangen.

Pantschuk repräsentierte wie kein anderer Bukowiner Wissenschaftler die vielfältige Welt des ehemaligen österreichischen Kronlandes, und auch die unterschiedlichsten Facetten der Zeiten mit den diversen nationalen Zugehörigkeiten der Bukowina. Geboren am 17. Juli 1932 in der damals noch zum Königreich Rumänien gehörenden Bukowiner Hauptstadt Czernowitz (Cernăuți), wuchs der glühende ukrainische Patriot und überzeugte Europäer in die vielgestaltige Gesellschaft seiner Stadt hinein, erlernte alle Sprachen der Bukowina und mehrere darüber hinausreichende westeuropäische Idiome. Durch diese Fähigkeit war Prof. Pantschuk eine außerordentliche Hilfe bei den Studientagungen des Bukowina-Instituts Augsburg, die Jahr für Jahr im Wechsel in Augsburg, Czernowitz oder Radautz/R²d²u]i stattfanden. Da sich die damaligen Verantwortlichen des Instituts auch der Pflege der wichtigen Sprachen der Bukowina verschrieben hatten und sich diesen verpflichtet fühlten, wurden alle Vorträge und Diskussionen in Deutsch, Rumänisch und Ukrainisch gehalten bzw. übersetzt. Da Prof. Pantschuk diese Bukowiner Sprachen fließend beherrschte, konnte er bei den Übersetzungen behilflich sein, insbesondere in den tiefgreifenden Diskussionen, und auch auf kleinste Nuancen in der wissenschaftlichen Terminologie aufmerksam machen. Daneben beherrschte er noch Russisch, Polnisch, Englisch und Französisch.

Oleh Pantschuk war der Enkel – eigentlich der Großneffe – der ukrainischen Schriftstellerin Olga (Olha) Kobyljanska, die allerdings ihre ersten Romane in deutscher Sprache verfasste, und er wurde in ihrem Haus geboren, wo sich heute das Olha-Kobyljanska-Museum befindet. Ich werde nie vergessen, wie uns (Otto Hallabrin, Luzian Geier und Ortfried Kotzian) Prof. Pantschuk im Jahre 1992 durch das Museum führte und die ganzen Erlebnisse mit der Glorifizierung der Schriftstellerin durch die Sowjetmacht erzählte. Damals hatten wir unser von der Mercedes-Niederlassung in Augsburg zur Verfügung gestelltes Auto im Hinterhof des Parterrehauses in Czernowitz verborgen abgestellt; jenes Haus, in dem der Professor mit seiner Tochter – er war früh verwitwet – lebte. Oleh Pantschuk war im menschlichen Umgang vollkommen unkompliziert, er hatte keine Allüren und akademische Arroganz vermisste man bei ihm vollständig. Als Naturwissenschaftler kennzeichnete ihn eine stringente Vorgehensweise bei der Analyse wissenschaftlicher, auch geistes- und sozialwissenschaftlicher Themen. Auch bei härtesten Kontroversen, insbesondere mit rumänischen Kolleginnen und Kollegen, war Oleh Pantschuk immer sachlich und nie verletzend. Das machte ihn zu einem guten Vermittler zwischen den drei Bukowina-Instituten in Augsburg, Czernowitz und Radautz.

Schon im Jahr 1992 hatte Prof. Pan-tschuk die Teilnehmer der 4. Studientagung des Bukowina-Instituts Augsburg, die von 2. bis 5. Juli stattfand, auf eine gemeinsame Erklärung eingeschworen. Darin hieß es: „Während der Vorträge und Diskussionen wurde festgestellt, dass es zur Zeit in einer Reihe europäischer Länder gefährliche Krisenherde gibt, wo interethnische Konflikte zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen. (…) Das gefährdet den Frieden nicht nur in den betreffenden Regionen, sondern in ganz Europa.“ Dies gilt mittlerweile auch für die derzeitige Situation in der Ukraine. Prof. Pantschuk verlangte daher: „Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, gegen diese Entwicklung aufzutreten. Geschichte und Kultur der Bukowina sind ein Beispiel für die Möglichkeit friedlichen Zusammenlebens in einer multiethnischen Region. Die Teilnehmer der Konferenz waren der Ansicht, dass es wichtig sei, die Forschungen zur Geschichte und Kultur der Bukowina in internationaler Zusammenarbeit weiterzuführen sowie Kontakte zwischen der Bukowina und den Ländern Mittel- und Westeuropas zu fördern. Dem Austausch von Dozenten und Studierenden kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Dies würde Brücken zwischen Menschen, ethnischen Gruppen, Völkern und Staaten bauen, Toleranz und Verständnis fördern.“

Diese Erklärung unterzeichneten damals (in alphabetischer Reihenfolge) die Universitäten Augsburg (Prof. Dr. Fried), Czernowitz (Prof. Dr. Pantschuk), Jassy/Ia{i (Prof. Dr. Zub), Lemberg/Lviv (Prof. Dr. Grin), München (Prof. Dr. Rein) und Warschau (Prof. Dr. Feleszko) sowie das Bukowina-Institut Augsburg (Prof. Dr. Hampel und Dr. Kotzian). Neben dieser von der politischen Situation in Europa geprägten Erklärung initiierte Prof. Pan-tschuk noch eine „Absichtserklärung zur Zusammenarbeit zwischen der Czernowitzer Universität und dem Bukowina-Institut Augsburg“: „Im Namen unserer Institutionen erklären wir, dass wir die Notwendigkeit und die gegenseitigen Vorteile unserer Beziehungen erkannt haben, und dies in Zukunft unterstützen wollen durch

1. Informationsaustausch, d. h. Lieferung von notwendigen neuen und alten Büchern, Zeitungen, Dokumenten  usw., über welche die jeweiligen Institutionen verfügen,
2. Austausch von Fachleuten (Historikern, Kulturwissenschaftlern, Sprachforschern usw.) sowohl im Bereich der Lehre (Vorlesungen, Seminare, Konferenzen) als auch im Bereich der Forschung (praktische Studien in den Universitäten und Archiven)
3. Veranstaltung von Fremdsprachenkursen (Deutsch in Czernowitz, Ukrainisch in Augsburg) mit entsprechender kurzer Praxis im jeweiligen Ausland.“

(Alle Zitate nach: Kaindl-Archiv – Zeitschrift des Bukowina-Instituts für den Kulturaustausch mit den Völkern Mittel- und Osteuropas, H. 11/3 Neue Folge, Juli – September 1992, S. 98 und U 3)
Die Erklärung trug Früchte. Im Jahre 1993 fand die 5. Studientagung in der Bukowiner Hauptstadt Czernowitz statt. In den Folgejahren jeweils im jährlichen Turnus in Deutschland (Augsburg), der Ukraine (Czernowitz) und in Rumänien (Radautz). Bis zum Jahr 2001 war dies gängige Praxis. Aus diesen Weichenstellungen ist das Wirken von Prof. Pantschuk nicht wegzudenken.

Dies überrascht umso mehr, als die Laufbahn Oleh Pantschuks eine ganz andere Richtung eingeschlagen hatte. Bereits mit 17 Jahren studierte er an der Universität Czernowitz Chemie, so wie es ihm nach eigener Aussage sein Bruder vorgemacht hatte. 1953 war er Bachelor, 1954 Magister der Wissenschaften. Während seines Promotionsstudiums von 1954 bis 1957 war er Aspirant am Institut für Physikalische Chemie. Nach der Promotion arbeitete er drei Jahre als Ingenieur des Instituts, wurde 1961 Assistent, 1965 Assistenzprofessor am Institut für Anorganische Chemie. Dort habilitierte er sich 1988 und wurde zum Professor berufen. Die Staatsuniversität Czernowitz wurde zwischenzeitlich zur Nationalen Jurij-Fedkowicz-Universität Czernowitz/Tscherniwzi. Das alles schaffte Prof. Pantschuk, ohne jemals Mitglied in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion  gewesen zu sein, wie Oxana Matychuk von der Ukrainisch-Deutschen Kulturgesellschaft in einem Liveblog für die Süddeutsche Zeitung am 1. März schrieb. Dafür war dieser unabhängige Geist und aufrichtige Europäer bis 2010 Direktor des Bukowina-Zentrums in Czernowitz, das er fast zwei Jahrzehnte unter der Prämisse führte: „Anknüpfend an die polyethnische und multikulturelle Vergangenheit der Region Bukowina  freuen wir uns über jeden, der gemeinsam mit uns den Weg für ein lebendiges und geeintes Europa bereitet.“