Die Miliz zwischen Witz und Diktatur

Ciprian Cirniala bietet minutiöse Analyse von Ceaușescus Polizei

Ciprian Cirniala: Ceaușescus Polizei. Herrschaft, Ruhe und Ordnung in Rumänien (1960-1989), Berlin/Boston: Verlag De Gruyter Oldenbourg 2018, 384 S., 13 S/W-Abb., ISBN 978-3-11-056993-3 (= Südosteuropäische Arbeiten 159)

Wohl jeder in Rumänien kennt Witze über Polizisten. Vor der Wende war der politische Witz – auch über die Miliz-Polizisten – eine bescheidene Form des inneren Widerstands. Die oft mangelnde Bildung der Volkspolizisten, die schlechte Ausstattung der Miliz, die ideologische Überhöhung ihrer Rolle bei gleichzeitig massiven Mängeln in der praktischen Amtsausübung luden durchaus zur Veralberung ein. Doch auch wenn man über die Miliz hinter vorgehaltener Hand Späße machte, war mit ihr im realen Leben doch nicht zu spaßen, war sie doch ein wichtiges Herrschaftsinstrument des kommunistischen Regimes.

Neben dem Top-Thema der Securitate führte die rumänische Miliz in der Geschichtsforschung bisher eher ein Nischendasein. Der Politikwissenschaftler und Historiker Ciprian Cirniala hat jüngst eine minutiöse wie umfassende Analyse vorgelegt, die dieses Desiderat beseitigt. Einerseits werden hier ganz konkret die historische Entwicklung, Rolle und Funktionen, Strukturen und Mechanismen der rumänischen Volkspolizei dargestellt. Andererseits widmet sich die Dissertation auch übergreifenden Forschungsfragen. Der Autor selbst benennt seine Ziele mit den Worten: „Erstens geht es darum, den Habitus des Ordnungshüters zu verstehen. Zweitens erstreckt sich dieses Vorhaben bis hin zu dessen Rezeption in der Bevölkerung, also bis zur Vorstellung und Darstellung der Volkspolizei durch die Bürger.“ (S. 15)

Es geht also um Selbstbild und Selbstdarstellung sowie Außenwirkung und Fremdwahrnehmung. Dazu werden Rechtsgrundlagen und Organisation, Repräsentation und konkrete Amtspraxis der Miliz in Beziehung gesetzt. Die Studie lebt von einer großen Bandbreite an Quellen. Dazu zählen Gesetzestexte, Akten des Innenministeriums, Auszüge aus der Presse und der Kriminalliteratur jener Zeit, Briefe an Radio Free Europe, Spielfilme sowie Interviews und Autobiografien. Der Untersuchungszeitraum deckt die Zeit der Herrschaft Ceaușescus ab.

Cirniala erfasst „Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ als Dispositive für eine „militärische Organisation der Gesellschaft“ (S. 40). Die Rumänische Polizei war 1949 per Dekret in Volkspolizei („Miliția Populară“) umbenannt worden. Diese Entwicklungen „illustrieren das damals geltende Primat des Politischen und die unreflektierte Hinnahme des sowjetischen organisatorischen Modells einschließlich der Säuberungskampagnen unter den eigenen Kadern. Dabei ging diese Institution von der Idee aus, dass ihre ‘bourgeoisen‘ Wurzeln vergessen und die Kader durch Vertreter der Arbeiterklasse ersetzt werden sollten.“ (S. 51)

Das Gesetz 21/1969 über die Organisation der Volkspolizei legte schließlich fest: „Die Miliția hat die Aufgabe, einen Beitrag zur Verteidigung der revolutionären Errungenschaften des Volkes, seines ungestörten Bestrebens nach dem Aufbau des Sozialismus, des staatlichen und persönlichen Besitzes, des Lebens, der Freiheit und der Würde aller Personen sowie der rumänischen Rechtsordnung zu leisten“ (S. 54). Damit war die ideologische Gleichschaltung der Polizei ausgesprochen.

Detailliert schildert die Arbeit Aufbau und Aufgaben der Miliz von der Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und der Einhaltung der Regeln des „sozialen Zusammenlebens“ über die Kontrolle von Waffen und gefährlicher Güter bis zum Erfassen von Ausländern. Dabei überschnitten sich die Kompetenzen der Volkspolizei mit denen der Securitate. Stets betonten die Dekrete als höchste Aufgabe der Miliția, den Aufbau des Sozialismus zu überwachen, was immer stärker mit dem Gedanken der entsprechenden Erziehung und Umerziehung der Bürger einherging.

Cirniala referiert die Auswahlkriterien für das Personal, bei dem auch die Verbundenheit mit dem Regime und das „sozialpolitische Umfeld“ maßgeblich waren. Die Kandidaten mussten einen martialisch-militärischen Eid ablegen. Dieser „symbolisierte den Übergang vom Leben in ‘Freiheit‘ zum Soldatendasein“. Als Ziele der Ausbildung galten das „sozialistische Bewusstsein“, die fachliche Ausbildung und die militärische Vorbereitung bis hin zu einer „kommunistischen Ethik“. Lehrinhalte waren unter anderem der Aufbau der „sozialistischen Gesellschaft“, die Geschichte der Kommunistischen Partei und der Arbeiterbewegung Rumäniens und die moralisch-staatsbürgerliche Erziehung. Stets wird deutlich, dass die „Politik der Führung der Volkspolizei“ mit dem „politischen Willen“ der Partei gleichgesetzt wurde.

Neben den Rechtsgrundlagen befasst sich Cirniala ausführlich mit dem internen „Controlling“ der Arbeit der Volkspolizei und Auswertungsberichten durch das Innenministerium. Gravierende Probleme führten 1972 zu einer großangelegten Disziplinierungskampagne. Als Beispiel berichtet er von Hinweisen des Kreisinspektorats Dolj, wonach Unteroffiziere aus dem Dorf Castranova „regelmäßig“ auf ihren Dienstmotorrädern zu ihren privaten Feldern mit Wassermelonen fuhren, um diese zu überwachen und dort zu arbeiten (vgl. S. 112). Aber auch Korruption, unhöfliche Sprache und Verprügeln von Verdächtigen wurden genau erfasst. Vorteilnahme und Bestechung gehörten zum Alltag. Zwar führte die Polizei 1968 ein zentrales Büro für Beschwerden ein, aber erst 1978 taucht ein Bericht des Ministeriums über den Umgang mit Eingaben auf. Hier belegt er auch an Beispielen Klientelismus und Doppelmoral.

Cirniala untersucht die Darstellung der Volkspolizei in der rumänischen Presse von 1964 bis 1989. Auch in der offiziellen Zeitschrift „Pentru patrie“ (Für das Vaterland) wurden vereinzelt kritische Leserzuschriften veröffentlicht, Securitate, Armee, Feuerwehr und Miliz aber grundsätzlich als Garanten der sozialistischen Ordnung propagiert. Diese Selbstdarstellung wird kontrastiert durch die Analyse von repräsentativen kritischen Briefen an den Sender „Radio Free Europe“ in München.

Auch die Rolle der Volkspolizei bei der Einschränkung der zivilen Mobilität behandelt der Autor in einem eigenen Kapitel. Für die Miliz hieß das: „Neben der Sicherung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit galt die Verteidigung der Ideale der sozialistischen Revolution als höchste Aufgabe der Volkspolizei. Aus dieser Priorität ergab sich der Anspruch einer sorgfältigen Mobilitätskontrolle, denn in der Mobilität lag – so die Logik der Volkspolizei – ein großes Potenzial für Spionage und Konterrevolution.“ (S. 224) Brachte doch das Ausreisen immer auch die Gefahr des Ausreißens mit sich.

Eine Analyse rumänischer Filme der Ceaușescu-Zeit mit Volkspolizisten als Protagonisten zeigt paradigmatisch, dass das Kino einerseits bei Propagandafilmen eine „Waffe des Regimes“ war (S. 246), gleichzeitig aber auch subtile Kritik im Film geübt werden konnte. Während die willfährige zweite Riege der Parteiführung um Ion Iliescu etwa den Streifen „Reconstituirea“ von Lucian Pintilie bekämpfte, reagierte Ceaușescu mit den Worten: „Der Film kritisiert einige Volkspolizisten. Na und?“ (vgl. S. 262 f.) So blieb der Film ein Legitimierungsinstrument des Ministeriums des Innern, war aber gleichzeitig auch eine potenzielle Waffe für die Opposition.

Als „Selbstzeugnisse“ schließlich führt Cirniala Interviews und Autobiografien (Memoiren, Tagebücher, Erinnerungen) ehemaliger Volkspolizisten ein. Auch dies sind hochinteressante Quellen. Und auch hier gibt es überraschende Einblicke zum „Caragialesken“ des rumänischen Kommunismus, wenn etwa ein Bukarester Ex-Volkspolizist schildert, wie er 1976 nach einem glimpflich verlaufenen Securitate-Verhör aufgrund eines kritischen Briefs an Ceaușescu mit seiner Tochter eine Kirche besucht und dem Priester eine Dankspende zusteckt (S. 274).

Die vorliegende eindrucksvolle Studie von Ciprian Cirniala ist das Ergebnis einer gewaltigen Fleißarbeit und hat das Zeug zum Standardwerk. Gelegentlich theoretisch etwas überladen, bietet sie ein beispiellos breit angelegtes Opus magnum zum Thema. Kritikwürdig ist hier recht wenig. So ist die Analyse der Filme und Selbstzeugnisse etwas langatmig geraten. Schlicht überflüssig ist das Kapitel über Eros, Frauen und Volkspolizisten in Kriminalromanen (S. 193-217), das für das Thema wenig austrägt und besser als Aufsatz in einer Literaturzeitschrift aufgehoben wäre. Machohelden und verführerische Frauen gibt es in jedem Roman dieses Genres. Ab der Abbildung 13 stimmt außerdem die Bildnummerierung im Text nicht mehr (S. 264 f.), was wohl für die Druckfassung gestrichenen Kapiteln geschuldet ist. Aber das sind Lappalien angesichts der Gesamtleistung dieser Studie