„Die Politik kann nicht besser sein als die gesamte Gesellschaft“

Ein Gespräch mit dem Vertreter der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, Ovidiu Ganţ

Ovidiu Ganţ glaubt nicht an gute und schlechte Parteien, nur an gute und schlechte Menschen.
Foto: Zoltán Pázmány

Ovidiu Ganţ, 1966 in Detta/Deta geboren, verheiratet, zwei Kinder, studierte Mathematik in Temeswar. 1992 bis 2001 war er Lehrer und Direktor der Nikolaus-Lenau-Schule. Danach bekleidete er bis 2004 das Amt eines Unterstaatssekretärs im Departement für interethnische Beziehungen der rumänischen Regierung. Seit 2004 ist er Abgeordneter im Parlament Rumäniens in der Fraktion der ethnischen Minderheiten, zurzeit in den Ausschüssen für Außenpolitik beziehungsweise für europäische Angelegenheiten. 2005 bis 2007 gehörte er der rumänischen Beobachterdelegation im Europäischen Parlament an und war 2007 Mitglied des Europäischen Parlaments in der Fraktion EVP-ED. Ovidiu Ganţ antwortete Luise Schifter Popescu auf einige Fragen zu seinem Übergang vom Katheder in die Bank des Parlaments, zu der großen, kleinkarierten Politik am Ufer der Dâmboviţa und anderes mehr.

Herr Abgeordneter, von Beruf her sind Sie Mathematiker, Sie haben einige Jahre lang unterrichtet. Wie kam es zum Wechsel in die große Politik?

Der Wechsel kam direkt als Folge eines Vorschlags des Vorsitzenden des Banater Forums, Prof. Karl Singer. Es war im Jahr 2000, ich war damals seit einiger Zeit Schulleiter der Nikolaus-Lenau-Schule in Temeswar. Herr Singer und die Banater Forumsleitung waren der Ansicht, dass ich geeignet sei für die Parlamentswahlen 2000. Aufgrund der Wahl von Klaus Johannis zum Bürgermeister von Hermannstadt wurde aber der Hermannstädter Kandidat gestellt. Allerdings hat mich der Vorstand des Banater Forums später dann als Unterstaatssekretär im Departement für interethnische Beziehungen vorgeschlagen und ich habe den Posten angenommen. Nach einer aus meiner Sicht äußerst erfolgreichen Zeit als Lehrer und Schulleiter war es, glaube ich, an der Zeit, neue Herausforderungen anzunehmen. 

2004 und 2008 wurden Sie dann als Abgeordneter ins rumänische Parlament gewählt. Was für Ziele verfolgt hier ein Vertreter der Minderheiten, zusätzlich zu seinen rumänischen Kollegen?

Es gibt ganz spezielle Bereiche, zum Beispiel die Umsetzung des Verfassungsprinzips der Bewahrung der Identität von nationalen Minderheiten. Alles, was unter dieses Motto fällt, gehört zu meinem Arbeitsfeld. Angefangen mit den Regelungen in allen Gesetzen, die herausgegeben werden und auch die nationalen Minderheiten betreffen. Da, wo es eine gewisse Tangenz gibt mit der Problematik der Minderheiten, muss ich mich einbeziehen lassen und unsere Ziele verfolgen. Andererseits handelt es sich um die Kontrolle des Parlaments gegenüber der Regierung. Ich kommuniziere also mit jedem einzelnen Minister und dem Premierminister bezüglich der konkreten Belange der Minderheiten, die von der Exekutive zu regeln sind. Dabei geht es natürlich um Bildung, Kultur, Zuwendungen durch den rumänischen Haushalt, gewisse Programme, Personalfragen, wie die Ernennung von Vertretern der deutschen Minderheit in Regierungsstrukturen. 

Hinzu kommt, in meinem Fall, die äußerst wichtige Komponente der Beziehung zur Bundesrepublik Deutschland, ein Ziel, das sich das Forum schon immer gesetzt hat. Diese Brückenfunktion liegt mir sehr am Herzen, vor allem aus der Zeit als ich im Europäischen Parlament tätig und kooptiertes Mitglied der CDU-CSU-Gruppe war, aber auch bedingt durch meine bilateralen Kontakte zu Abgeordneten aller Parteien aus Deutschland, die Rumänien besuchten, bis hin zu den langjährigen Freundschaften mit mehreren deutschen Politikern. 

Sie erwähnten die Brückenfunktion zur Bundesrepublik. Sie haben sich immer viel persönlich involviert in die Förderung der deutsch-rumänischen Beziehungen. Denken wir allein an die Zeit Ihrer Tätigkeit in Brüssel, aber auch an die Kulturhauptstadt Hermannstadt zurück. Wie würden Sie diese Beziehungen im Vergleich zu 2004, dem Jahr Ihres parlamentarischen Debüts, beschreiben?

Sie sind unterschiedlich. Die wirtschaftlichen Beziehungen sind heutzutage natürlich reger. Deutschland ist inzwischen der wichtigste Handelspartner Rumäniens, meiner Ansicht nach auch der bedeutendste Investor, wenn man bedenkt, wie viele Arbeitsplätze geschaffen wurden und wie breit gefächert die Tätigkeitsbereiche sind. Wir haben zurzeit auch eine sehr gute politische Beziehung zu Deutschland. Ich glaube nichtsdestotrotz, dass sie 2004, bedingt durch den Prozess der Verhandlungen zum Beitritt in die Europäische Union, viel intensiver waren. Es gab damals beachtlich mehr Beziehungen zwischen dem Ministerpräsident und Ministern des rumänischen Kabinetts direkt zu ihren deutschen Kollegen. Zum Gegensatz von heute, wo dieser Kontakt gegen Null tendiert.

Gibt es eine Ursache für diesen Trend?

Na gut, damals stimmte auch die Chemie zwischen Adrian Năstase und Gerhard Schröder. Im Moment, nachdem Rumänien bzw. manche in Rumänien beschlossen hatten, den Premierminister zu wechseln, sehen die Sachen anders aus. Emil Boc hatte 2010, hier in Bukarest, ein gutes Gespräch mit der Kanzlerin und allgemein ein gutes Verhältnis zur deutschen Politik. Mihai Ungureanu ist neu im Amt und hat diesbezüglich noch nicht viel zu melden. Aber in seiner früheren Funktion als Außenminister hat er keineswegs Interesse bewiesen für eine gute Beziehung zur Bundesrepublik, ganz im Gegenteil. Die Art und Weise, wie er sich damals gegenüber Deutschland, dem Deutschen Forum und mir persönlich positionierte, war auch ein wichtiger Grund für mich unlängst, mich nicht für ihn zu entscheiden im Parlament. Zusätzlich zu der Empfehlung unseres Landesvorstandes, der in corpore dagegen stimmte, als es darum ging, die neue Regierung zu unterstützen oder nicht. Auch wenn die Wirtschaftsbeziehungen exzellent und die politischen im Prinzip gut sind, auch wenn wir kaum unterschiedliche Standpunkte haben in der europäischen Politik oder sonst (bis auf meinetwegen eine klassische Ausnahme – der Status der Region Kosovo), empfinde ich die Intensität der bilateralen Beziehungen als sehr gering. Es gibt kaum direkte Kontakte zwischen den Ministern aus Rumänien und Deutschland, es geht so weit, dass beispielsweise manche Ministerien hierzulande monatelang sich nicht einmal die Zeit nehmen, Briefe der deutschen Minister zu beantworten. Das ist äußerst schlecht für den politischen Dialog und versetzt uns auch in die unangenehme Lage, uns zu schämen, wenn wir in Deutschland diesbezüglich angesprochen werden.

Sie haben damit die innenpolitische Szene angesprochen. 2012 ist ein Wahljahr, ein Jahr, in dem so manches erlaubt ist, so sieht es zumindest aus. Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie bitten, zwei Aspekte auf beiden Seiten des politischen Spektrums zu kommentieren: Einerseits die, sagen wir mal, eher interne „Hinrichtung“ von Emil Boc, und andererseits die Lösungen, die das oppositionelle Bündnis USL sucht und zu finden glaubt, ich beziehe mich in erster Linie auf den Boykott im Parlament. 

Also das, was mit Emil Boc geschah, ist politisch absurd und auch gegenüber der rumänischen Öffentlichkeit kaum zu vermitteln. Ich glaube, ich habe es schon gesagt, wiederhole mich aber diesbezüglich gern: Karl Peter Schwarz brachte es in der FAZ auf den Punkt, als er meinte, dass so etwas andernorts undenkbar wäre, dass das nur an der Dâmboviţa passieren konnte. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, parteiinterne Angelegenheiten der Liberaldemokraten interessieren mich nicht. Die Abwicklung der ganzen Geschichte irritierte mich aber irgendwie. Boc war der Premier einer Koalition. Dementsprechend hätte die Koalition die Entscheidung treffen müssen, nicht irgendwelche Leute, vor allem von der PDL, die sich abends irgendwo trafen und bestimmten, dass Boc gehen müsse. Das ist keine Art und Weise, Politik zu machen, sondern ein verzweifelter Versuch, der sowieso nicht viel bringen wird, das Image aufzupolieren im Hinblick auf die Wahlen. Die Wählerschaft ist nicht dumm, sie versteht, wie die Sachen laufen. Nötig sind im Moment aktive Maßnahmen, wie die Senkung der Lohnnebenkosten, eine Erhöhung, so gut wie möglich, der Gehälter im öffentlichen Dienst, wenn wirtschaftlich erlaubt auch eine Senkung der Mehrwertsteuer um zwei Punkte, um den Konsum anzukurbeln. Nicht der Rücktritt Emil Bocs. Ansonsten war ich (ich bin es auch weiterhin) der Ansicht, dass eine prozedurgemäße Auflösung des Parlaments und vorgezogene Wahlen die korrekte Lösung gewesen wären. Sie hätten für klare Verhältnisse im Parlament gesorgt und die neue Mehrheit gezeigt.

Was den parlamentarischen Boykott betrifft, glaube ich, dass jede Partei die eigene Politik bestimmen sollte. Meinte die USL, dass dies das beste politische Mittel sei, um das Ziel zu erreichen, so ist es eben legitim. Ihre Vertreter in den Kammern wurden dadurch „bestraft“, dass sie die Diäten nicht bekamen für die Tage, an denen sie abwesend waren. Ansonsten stimmt das, was sie behaupteten: Die bestehende Mehrheit müsste sich selbst mobilisieren können. Dann wäre die Anwesenheit der Opposition nicht einmal unbedingt nötig. Eine Konsequenz in der Sanktionierung abwesender Abgeordneter würde ich mir übrigens wünschen, auch innerhalb der Mehrheit. Es gibt nämlich Fälle, wo vier Jahre lang mit nur einem Abgeordneten mehr regiert wurde. Siehe Hessen Anfang der ‘90er. Mein alter Freund Hartmut Nassauer war Fraktionsvorsitzender und setzte sich jahrelang durch mit der Mehrheit von einer einzigen Stimme. Dementsprechend sind die Argumente der PDL, die die Opposition kritisiert, ohne aber die eigenen Leute ins Parlament zu schaffen, eher mager.

In Ihren innenpolitischen Kommentaren ist öfters die Rede von Normalität, Loyalität, Werten. Glauben Sie nicht, dass Sie eher eine Ausnahme darstellen in unserer parlamentarischen Landschaft?

Ich habe in meinem Leben gelernt, nicht über andere zu urteilen. Dementsprechend interessiert mich ausschließlich meine Denkweise, meine Art mich zu benehmen und zu handeln. Ich bin der Meinung, dass ich in den letzten zehn Jahren alles erlebt habe, was zu erleben ist in der Politik an der Dâmboviţa. Ich habe hervorragende Persönlichkeiten kennengelernt, Menschen von Charakter, die sich auch mir gegenüber äußerst korrekt verhielten, ich will hier expressis verbis meinen ehemaligen Minister und guten Freund Vasile Dâncu erwähnen, wie auch völlig charakterlose Typen, die vor nichts zurückschrecken, wenn es um eigene Interessen und Geschäfte geht, die lügen, ihr Wort brechen, nichts halten vom allgemeinen Wohl. Wie gesagt, ich habe inzwischen alles Mögliche erlebt, glaube aber, meine Linie trotzdem konsequent verfolgt zu haben.

Was für Hoffnungen verbinden Sie mit den Wahlen in diesem Jahr?

Keine. Eben weil ich bereits, wie gesagt, alles Mögliche miterlebt habe. Ich würde die rumänische Politik aber keineswegs in gute und in schlechte Parteien einteilen wollen. Dafür in gute und in schlechte Menschen. Ich glaube nämlich, dass zurzeit in allen Parteien nicht die positive Seite der Kraft, sondern die negative eingesetzt wird. An George Lucas Film „Star Wars“ denkend, könnte man ableiten, dass in der rumänischen Politik die „Dark Side“ der Macht das Sagen hat.

Vor diesem Hintergrund eine letzte Frage. Sie selbst haben zwei Kinder. Was glauben Sie, müsste passieren, was sollten oder könnten Politiker tun, um die Jugendlichen hierzulande eher zum Bleiben zu bewegen als zum Gehen?

Schwer zu sagen. Ich habe nämlich längst keine Illusionen mehr. Ich glaube, wenn Sie meine Kinder ansprechen, dass sie gerüstet sein müssen, um alle Optionen offen zu behalten. Eine gute Bildung werden sie bekommen, indem sie die Lenau-Schule besuchen. Nach dem Abitur sollen sie dann selbst entscheiden, ob sie bleiben, nach Deutschland oder sonst wohin gehen. Es ist manchen anscheinend immer noch nicht klar, dass die kleinkarierte Politik, die jetzt in Bukarest gemacht wird, die Zukunft des Landes aufs Spiel setzt. Dazu möchte ich noch etwas sagen: Es gibt immer wieder diese Diskussion über eine neue politische Klasse in Rumänien, wobei jung besser ist als alt und lauter solche Thesen. Ich bin der Ansicht, dass die Politik keinesfalls besser sein kann als es die gesamte Gesellschaft im Moment ist.