Dieses Institut spielt eine hervorragende  Rolle in der historischen Forschung 

ADZ-Gespräch mit Prof. Dr. Rudolf Gräf, Direktor des Hermannstädter  Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie

Prof. Dr. Rudolf Gräf Foto: Werner Kremm

Prof. Dr. Rudolf  Gräf, Leiter des Hermannstädter Forschungsinstituts für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie, wurde in Reschitza geboren, von wo er, nach Absolvierung des heutigen „Diaconovici-Tietz”-Kollegs, nach Jassy ging, um an der „A.I. Cuza”-Universität Geschichte und Philosophie zu studieren. Nach einer relativ kurzen Zeit als Geschichtslehrer und Museologe am Museum des Banater Montangebiets machte er seinen Doktor bei Prof. Dr. Nicolae Boc{an an der „Babe{-Bólyai”-Universität in Klausenburg (UBB), wohin er bald darauf als Hochschullehrkraft berufen wurde. Hier schaffte er es bis zum Prof. Dr. und wurde für zwölf Jahre zu einem der Prorektoren der international bestrangierten Hochschule Rumäniens, unter dem Rektorat von Prof. Andrei Marga und des amtierenden Präsidenten der Akademie Rumäniens, Prof.Dr. Ioan-Aurel Pop. Heute leitet er im fünften Tätigkeitsjahr das Hermannstädter Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften der Rumänischen Akademie und fährt zunehmend seine Lehrtätigkeit an der UBB zurück.  Mit Prof. Dr. Rudolf Gräf führte Werner Kremm für die ADZ das folgende Gespräch.

Wo befinden sich die Wurzeln des Instituts, das Sie heute leiten?

Das heutige Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften (ICSU) Hermannstadt wurde 1956 gegründet. Allerdings steht es nicht auf unbebautem Grund: seine tieferen Wurzeln befinden sich – durch sein Forschungsprogramm und seine Untersuchungsthemata – in den siebenbürgischen Kulturinstitutionen des 19. Jh. 

1955 hatte eine Gruppe von 25 siebenbürgischen Intellektuellen, Rumänen und Deutsche, unter ihnen Nicolae Lupu (1921–2001), Cornel Irimie (1919–1983) und  Carol Göllner (1911–1995), die Gründung eines solchen Instituts gefordert, was durch die Schaffung einer „Abteilung für Sozialwissenschaften” in Hermannstadt genehmigt wurde, die der Klausenbur-ger Filiale der Rumänischen Akademie unterstellt war. 

Das Initialprojekt des Instituts war die Herausgabe des „Siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuchs” – heute sind wir bei Band XI – aber auch eine Erstprofilierung auf Hauptforschungsrichtungen: Geschichte, Archäologie, Ethnographie und Literaturgeschichte.  Ab 1959 werden die Forschungsergebnisse regelmässig in den „Forschungen zur Volks- und Landeskunde” veröffentlicht, ursprünglich unter der Redaktion von Carol Göllner. Inzwischen ist es das langlebigste deutschsprachige Periodikum, das in Rumänien erscheint. Wir sind bei Band 65. Prof.Dr. Zeno-Karl Pinter führt heute die Redaktion. Es folgten Generationswechsel, die sich günstig auf das Profil und die Aura des Instituts ausgewirkt haben, einschließlich durch neue Forschungsrichtungen. 1970 wurde das Hermannstädter Institut der neugegründeten Akademie  für Politische und Sozialwissenschaften zugeordnet und umbenannt, in Zentrum für Sozialwissenschaften Hermannstadt, wobei Carol Göllner die Institutsleitung zwischen 1970 und 1974 übernahm. In den 1980er Jahren wurde das Institut dem Hochschulinstitut von Hermannstadt untergeordnet und seine Leitung hatten entweder kommunistische Aktivisten oder Dekane der Hochschule. Allerdings wurden auch massiv Anstellungen gemacht.

Und nach der Wende?

Nach der Wende wurde die Hermannstädter Forschung erst mal wieder auf solide wissenschaftliche Grundlagen zurückgeführt. Unter dem jetzigen Namen – „Forschungsinstitut für Geisteswissenschaften/ auf rumänisch „Institutul de Cercet˛ri Socio-Umane” – zog das Institut, inzwischen direkt der Rumänischen Akademie untergeordnet, auch in adäquatere Räumlichkeiten um, zumal 1990 auch die örtliche „Lucian-Blaga”-Universität gegründet wurde. Das schuf für einen Teil unserer Forscher die Möglichkeit, ihr Wissen auch auf der Ausbildungsebene weiterzugeben. Zwischen 1990 und 1994 leitete Dr. Thomas Nägler das Institut, der eine ausgezeichnete Personalpolitik hatte, die von Akademiemitglied Dr. Paul Niedermaier bis 2018 fortgesetzt wurde, als ich die Leitung des Instituts übernahm. Prof. Niedermaier gab dem Institut sein heutiges Profil. Wir bringen inzwischen als Periodikum auch die „Studii {i comunic˛ri de etnologie” (2023: Ausgabe 37) heraus, mit einer konsistenten Rubrik in deutscher Sprache und zu Fragen der Deutschen Rumäniens,  sowie ein Jahrbuch des Instituts, inzwischen folgt davon Ausgabe 30. Zudem betreuen wir die „Geschichtskommission der Städte Rumäniens“, die den „Historischen Altas der Städte Rumäniens“ herausgibt sowie die „Historische Bibliographie der Städte Rumäniens“, aber auch das Periodikum „Historia Urbana“ (2023: Nr.31). Unser langlebigstes Forschungsprojekt, das „Siebenbürgisch-sächsische Wörterbuch“, verfügt inzwischen über ein Archiv mit mehr als zwei Millionen Handzetteln. Leider nagt die Zeit an jedem und die Betreuerin, des Wörterbuchs, Dr. Sigrid Haldenwang, musste auch in Rente gehen.

Wie würden Sie die heutigen Zwecke und Ziele des Instituts definieren?

Grundziel war schon bei der Gründung die Vertiefung der Kenntnisse zur Geschichte und Kultur der Deutschen Rumäniens, der Geschichte und Kultur der Deutschen und Rumänen Siebenbürgens, Stadtgeschichte in europäischem Kontext, Spezifikum des Siebenbürgischen in Rumänien und in Europa. Aber auch Gesellschaftsforschung im Kontext der Gegenwart, Inwertsetzung des vorhandenen Kulturguts und -erbes, Übernahme und Fortsetzung zumindest eines Teils der Vorhaben des 1840 gegründeten „Vereins für Siebenbürgische Landeskunde”. 

Wie steht Ihr Institut, ganz konkret, 2023?

Wir haben 20 Angestellte, unter ihnen 13 Forscher (allerdings vier nur halbtags beschäftigt), einen halbtags beschäftigten Redakteur, einen Chefbuchhalter, einen Fachinspektor, drei Referenten (fürs Sekretariat, die Bibliothek und für Human Ressources) und eine Pflegekraft. 13 der Angestellten haben den wissenschaftlichen Titel eines Doktors. Das Hauptverdienst derjenigen, die im Laufe der Jahre dieses Institut geleitet haben, besteht in der Tatsache, dass sie es am Leben hielten und entwickelt haben, trotz politischer Veränderungen und Druck, dass sie ihm die Autonomie bewahrten, dass es ihnen und ihren Kollektiven gelang, im Bereich der humanistischen Wissenschaften etwas zu leisten, das Bestand hat. Dass sie dem Institut einen aparten Rang unter Gleichen gesichert haben. Dass sie im In- und Ausland Anerkennung fanden.

Wie steht´s mit den Arbeitsbedingungen am Institut?

Wir haben seit 2003 einen neuen Sitz, auf dem Victoriei-Boulevard, sind in Untermiete beim Konsistorium der Evangelischen Kirche AB, haben also, zeitversetzt, eine Verbindung zwischen der Evangelischen Kirche AB und dem Institut, bzw. der wissenschaftlichen Forschung, neu geknüpft. Die Räumlichkeiten bieten großzügig Platz, technisch sind wir gut ausgestattet, haben Bibliothek, Konferenzsaal, Platz für einen voluminösen Dokumentationsfonds.

Internationale Beziehungen?

Aufgrund unseres wissenschaftlichen Profils haben wir eigene Vereinigungen gegründet und Beziehungen der Zusammenarbeit mit ähnlich gepolten Institutionen des In- und Auslands geknüpft. Etwa dem „Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde” in Gundelsheim, mit „Civitas nos-tra”, dem Verein für Städteforschung, oder dem Institut für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen, mit dem wir einen Vertrag über Zusammenarbeit haben, ebenso mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte an der Ludwig Maximilians Universität München. Unsere jüngeren Mitarbeiter entwickeln aber Kontakte zu Instituten und Universitäten in Prag, Budapest, Czernowitz, mit der Uni Regensburg, Leipzig, mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, den Universitäten Wien, Graz und Innsbruck, und so manchen anderen. Forschungen, gemeinsam oder separat, werden sowohl aufgrund der Haushaltsmittel, aber auch finanziert mit Fremdmitteln betrieben, die aquiriert werden. Hierin kommt dem Verwaltungspersonal des Instituts seine wichtige Rolle zu. Eng zusammengearbeitet wird mit der örtlichen „Lucian Blaga”-Universität, mit der UBB Klausenburg, wobei die Studenten gern gesehene Mitarbeiter sind. Eine ganz besondere Kooperation hat unser Institut eben beherbergt, in dem ein Team Iassyer Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Andrei Corbea-Hoișie und ein Team Klausenburger Forscher unter meiner Leitung zwei massive Bände zur Kultur und Geschichte der Deutschen in Rumänien herausgab.

Was erwarten Sie von den Sparmaßnahmen der Regierung, die ja auch vom Zusammenschluss der Institute, von Stellenstreichungen usw. spricht?

Nichts Gutes, wenn sie durchgeführt werden sollten. Vorläufig scheint der Wind wieder weniger stark zu blasen. Mit Sicherheit sind Sparmaßnahmen notwendig, aber dies sollte nichts mit den Stellen von Lehr- und Forschungseinrichtungen zu tun haben. Wir stehen noch immer an letzter Stelle oder an den letzten Stellen unter den Ländern der EU und nicht nur, wenn es um die Finanzierung des Lehrwesens und der Forschung geht. Die Zukunft eines Landes hängt aber von diesen ab. Das Heer und die Geheimdienste werden nichts als sich selbst zu verteidigen haben, die Wirtschaft wird nur ein Anhängsel anderer Wirtschaften sein und die leistungsfähigen Wissenschaftler werden bis zuletzt alle weg sein, wenn die Lehre und Forschung nicht an erster Stelle in der Finanzierung stehen.  Eine „Terra desertaet inhabitata“ ist die Folge.

Dabei gibt es so viele Möglichkeiten, mit dem Geld vernünftig umzugehen, niemand aber spricht davon, dass in Rumänien große und wichtige Einrichtungen keine Steuern bezahlen, dass ein sehr großer Teil der Bevölkerung soziale Hilfen empfängt, mit fadenscheiniger Begründung. Man soll den Bedürftigen helfen und niemand sollte aus dem sozialen Netz fallen, aber Arbeitsfähige müssten selbstverständlich arbeiten. Dass Menschen, die nie in die Rentenkasse eingezahlt haben, dicke Renten kassieren, das alles muss den Haushalt überlasten. Warum beginnt man nicht da? Es wäre mindestens ein Zeichen des guten Willens. 

Dieses Institut ist das einzige Institut der Akademie, das sich mit Fragen der Deutschen aus Rumänien beschäftigt und es sieht zurück auf Traditionen, die kein anderes Institut im Land hat: auf den Verein für Siebenbürgische Landeskunde, auf dessen Projekte (Urkundenbuch, Flurnamen und Ortsnamen, Siebenbürgische-Sächsisches Wörterbuch, Volkskunde), von denen wir das Wörterbuch weiterführen, ebenso, in anderer Form, die Erforschung der Volkskunde und die Veröffentlichung der Quellen. Wir haben das Team, das das weiter machen wird. Folglich wäre ein Zusammenlegen des Instituts oder die Streichung von Stellen eine Katastrophe für die Forschung. Das Institut kann sich aber auch auf die Initiativen von Nicolae Iorga beziehen, eine Filiale des Südosteuropa Instituts von Bukarest zu gründen, man darf selbstverständlich nicht das Institut der Deutschen Volksgruppe aus Rumänien und die Abteilung des Klausenburger Institus der Akademie vergessen, trotz der ideologischen Abwege, zwischen welchen eine große Personalkontinuität existiert. Das Institut ist eben tonangebend für die Erforschung der Geschichte der Deutschen aus Rumänien, für die Städtegeschichte, in diesem Fall nicht nur die deutschen Gründungen, sondern Städte aus allen Provinzen Rumäniens.


Sowohl das Zusammenlegen mit anderen Instituten, wie die Streichung von Stellen würden sich katastrophal auf die Forschung in der ganzen Region Siebenbürgen auswirken. Eher wäre es vernünftig, das Institut auszubauen zur Forschungsstelle für die Geschichte, Kultur usw. der Deutschen aus Rumänien, einschließlich der 1940, dann 1944 von Rumänien verlorenen Gebiete. Entscheidend ist, dass wir junge Leute ausgebildet haben, die diese Rolle übernehmen können und nicht unbedingt der nummerisch stetig kleineren Minderheit angehören.