Ein Arzt auf dem Einrad

Mit MUT bekommen Kinder aus Westrumänien eine neue Chance

Die Kinderheimleiterin Iulişca Maruşca teilt das Essen aus.

Fahrradfahren macht Spaß.

Ghiţă fährt Einrad. Er ist der Einzige aus dem Bogaroscher Heim, der es richtig gut kann.

Die Kinder beim Tischfußball. Laura (2.v.r.) ist in Gedanken verloren .
Fotos: Zoltán Pázmány

Sie schaut beschämt hinüber und lächelt verschmitzt. „Laura“ flüstert sie, als ich sie nach ihrem Namen frage. Das Mädchen mit rehbraunen Augen und kecker Jungenfrisur wohnt erst seit einigen Tagen im Kinderheim aus Bogarosch/Bulgăruş. „Ich würde lieber wieder in Temeswar sein“, gesteht die Elfjährige mit leiser Stimme und senkt ihren Blick. Die anderen Kinder heben unschlüssig die Schultern. Laura hatte in Temeswar in einem Heim für Straßenkinder gewohnt. Von Anfang an wurde sie in Bogarosch mit viel Wärme aufgenommen.

Doch aller Anfang ist schwer. Die Mutter fehlt ihr, sie vermisst ihre Freunde aus der Stadt und das freie Leben auf den Straßen von Temeswar/Timişoara. Hier, in Bogarosch, 60 Kilometer von der Stadt an der Bega entfernt, gibt es das alles nicht. Dafür aber etwas ganz anderes: Ruhe, Geborgenheit und Liebe.

In einem ehemaligen Schwabenhaus wurde 1996 das Kinderheim von Bogarosch eingerichtet. Der deutsche Verein Mitmachen und Teilnehmen e.V., kurz: MUT, setzte sich dafür ein, dass Kinder, die zuvor in Heimen oder unter schwierigen sozialen Verhältnissen gelebt haben, ein neues Leben in einer familiären Umgebung beginnen können. Ein Grundstück und drei Häuser erwarb der MUT e.V. in Bogarosch – mit Hilfe von Freiwilligen aus Schwäbisch Hall und Umgebung war kurz vor Weihnachten 1996 schon das erste Kinderheim bezugsfertig. Heute leben 18 Kinder und Jugendliche in dem Kinderheim, das seinen Bewohnern beste Bedingungen bietet.

Geld- und Sachspenden aus Deutschland

Im vergangenen Jahr organisierte die Kinderschutzbehörde eine Inspektion, infolge deren das Kinderheim mit einem positiven Gutachten bewertet wurde. Drei oder vier Kinder müssen sich hier ein Schlafzimmer teilen. „Das Kinderheim wird hauptsächlich über Spenden aus Deutschland finanziert.

Außerdem hilft uns MUT e.V. mit Sachspenden und Nahrungsmitteln“, sagt Iulişca Maruşca, die sich seit 2001 zusammen mit ihrem Mann Nicolae um das Heim in Bogarosch kümmert. Die Familie stammt aus der Arader Gemeinde Guttenbrunn/Zăbrani. Auch vor 2001 waren die beiden in einem staatlichen Familienhaus tätig gewesen. Insgesamt sieben Mitarbeiter sorgen im Bogaroscher Kinderheim dafür, dass den Bewohnern ein schönes Leben geboten wird. Warme Mahlzeiten und Unterstützung bei den Hausaufgaben prägen den Alltag. Der rumänische Staat trägt recht wenig dazu bei, dass es den Kindern aus dem Heim gut geht. Es sind lediglich 97 Lei, die pro Monat jedem einzelnen Kind aus dem Heim zugutekommen. Die Kommune unterstützt die Einrichtung mit gesenkten Steuern. Für das Kinderheim die Steuern komplett abzuschaffen, das kann sich die Gemeinde Lenauheim nicht leisten.

Die private Sozialeinrichtung aus Bogarosch entlastet den Staat um ein Vielfaches. Kinder aus dem gesamten Kreis Temesch – aus Temeswar, Detta, Gottlob oder beispielsweise aus Jahrmarkt/Giarmata – finden hier eine Bleibe. Für ein paar Monate oder für mehrere Jahre. „Wir hatten auch Probleme, denn nicht alle Kinder integrieren sich so schnell in das Kollektiv“, gesteht Iuli{ca Maru{ca. Sie erzählt von vier Brüdern aus Bogarosch, deren Mutter gestorben ist und die ins Kinderheim mussten. „Es war schwer mit ihnen, sie wollten ständig auf die Straße. Aber nach zwei Jahren haben wir es dann doch geschafft“, sagt Maruşca lächelnd.

Auch Verantwortung muss gelernt sein

Kühe, Schweine, Kaninchen, Hühner und andere Haustiere werden auf dem Grundstück des Kinderheims in Bogarosch gezüchtet. Um die Tiere kümmern sich die älteren Jugendlichen. „Sie müssen lernen, was Verantwortung bedeutet“, erklärt Iulişca Maruşca. Auf 25 Hektar Boden bauen die Bewohner des Kinderheims Mais, Triticale (Anm.d.Red.: eine Mischung aus Weizen und Roggen), Sonnenblumen und andere Getreidesorten an. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse dienen als Futter für die Tiere, jedoch wird im Kinderheim auch Öl gepresst und Brot gebacken. „Wir geben praktisch kein Geld für Brot, Milch, Eier und Fleisch aus“, erklärt die Heimleiterin. Vor allem im Sommer liefert der eigene Garten Gemüse und das in reichlichen Mengen, sodass viel auch für den Winter eingelegt wird.

Ungefähr 20 Jugendliche haben bisher das Kinderheim verlassen, schätzt die Leiterin. Iulişca Maruşca kann in einigen Fällen auch von Erfolg sprechen. Drei Schwestern – Mihaela (16), Diana (12) und Iasmina (14) - konnten die Einrichtung in diesem Jahr verlassen. Sie wurden 2008 ins Kinderheim eingewiesen, weil sich der Vater einfach nicht mehr leisten konnte, sie groß zu ziehen. In diesem Jahr schaffte es der Mann, seine Schulden zu begleichen und einen Job im Verwaltungskreis Dolj zu finden.

Es war der Beginn eines neuen Lebens. Im März verließen die Mädchen das Bogaroscher Kinderheim und zogen mit dem Papa nach Dolj. „Egal, wie gut die Bedingungen bei uns sind: Schließlich wünschen sich doch alle Kinder eine echte Familie“, sagt Iulişca Maruşca. Bis sie diese Familie selbst aufbauen können, sorgen Iulişca und ihr Mann Nicolae dafür, dass ihnen nichts fehlt. Und eigentlich sind sie irgendwie dann doch eine große, glückliche Familie, die zusammen Hürden überwindet oder aber auch gemeinsam Spaß hat.

Die Zeit heilt alle Wunden

Cristi (10), Gabi (10), Otilia (11), Laura (11) und Robert (6) spielen Tischfußball. Es ist kurz vor dem Mittagessen. Die Kinder haben Ferien, müssen sich also keine Sorgen ums Lernen und um die Hausaufgaben machen. Die Kinder freuen sich schon auf den bevorstehenden Ausflug, der auch heuer  nach Straja ins Gebirge führt. Noch vor Schulbeginn wandern sie dann nach Poiana Mărului ins Banater Bergland, wo wieder Erholung und Spaß auf dem Programm stehen. Doch auch sonst ist das Leben mit so vielen Geschwistern gar nicht so langweilig.

Die Kinder fahren mit ihren Fahrrädern, die sie aus Deutschland bekommen haben, durch den Hof und einer der Jungs hat sich schon aufs Einrad getraut. Ghiţă ist 10 Jahre alt und lebt seit zwei Jahren mit seinen drei Brüdern in dem Bogaroscher Kinderheim. Auch er war zu Beginn ein Problemkind, das eher auf der Straße als im Hof seine Freizeit verbringen wollte. Inzwischen geht es ihm gut im Bogaroscher Heim. Er hat das aus Deutschland erhaltene Einrad schon gut im Griff und führt uns seine Tricks vor.

Auf die Frage, was er denn später werden möchte, antwortet er fest entschlossen: Arzt. Die anderen Kinder brechen in lautes Gelächter aus und der blonde Junge lacht herzhaft mit. „Ein Arzt auf dem Einrad“, scherzt sein Bruder und das Lachen der Kinder intensiviert sich. Auch die anderen Kinder wissen jetzt schon, welchen Berufsweg sie einschlagen wollen: Krista möchte Designerin werden, Cristi sieht sich als Polizist, ja sogar eine Köchin und eine Nonne aus Bogarosch soll es in einigen Jahren geben. Nur die elfjährige Laura meidet den direkten Blickkontakt. „Ich weiß nicht, was ich später werden will“, sagt sie und schaut auf den Fußboden. Krista legt ihr freundlich den Arm um die Schulter. So, als ob sie sagen wolle: „Mach dir nichts draus. Wir waren auch mal da. Das vergeht schon“.