„Es gibt viele Frauen, die das patriarchale System verinnerlicht haben“

Ein Interview mit Georgiana Epure, M.A., Dr. Ioana-Narcisa Crețu und Dr. Teresa Leonhard

Dr. Teresa Leonhard stammt aus Österreich und betreute bereits zahlreiche kulturelle und künstlerische Projekte. Zwischen 2010 und 2016 forschte sie als Künstlerin und Wissenschaftlerin auch im Bereich der Gender Studies.

Dr. Ioana Crețu ist Mitglied im Verein „Asociația Femeilor din Sibiu“ und Initiatorin des Zentrums für Opfer häuslicher Gewalt in Hermannstadt.

Georgiana Epure gehört dem Verein für Freiheit und Gleichstellung der Geschlechter an. Fotos: Michael Mundt

„Heimat bist du großer Töchter und Söhne“ heißt es in der Hymne der Republik Österreich, wobei die „großen Töchter“ allerdings erst seit 2012 in der Bundeshymne Erwähnung finden. Die ersten Österreichischen Kulturtage in Hermannstadt/Sibiu – vom 25. bis 29. Oktober – hatten sich diese Textzeile zum Leitgedanken genommen und in verschiedenen Veranstaltungen beleuchtet, wie es mit der Gleichstellung der Geschlechter heute aussieht. In einer Diskussionsrunde tauschten sich unter anderem Georgiana Epure (Asociația pentru Libertate și Egalitate de Gen), Dr. Ioana-Narcisa Crețu (Professorin an der Lucian-Blaga-Universität und Initiatorin des Frauenhauses) und Dr. Teresa Leonhard (Organisatorin der Kulturtage und Lektorin an der Lucian-Blaga-Universität) zu diesem Thema aus. Am letzten Tag der Österreichischen Kulturtage traf ADZ-Redakteur Michael Mundt die drei Expertinnen zu einem Gespräch.

Läuft man durch die Straßen einer beliebigen rumänischen Stadt, könnte man zu dem Schluss kommen, dass es keine weiblichen historischen Persönlichkeiten gibt. Hat Rumänien denn keine einzige bedeutende Frau hervorgebracht?

Georgiana Epure: Richtet sich der Blick auf Straßenschilder oder Denkmäler, dann sieht man tatsächlich keine Frauen. Auch im ASTRA-Park stehen nur die Büsten von Männern. Das sagt vieles darüber aus, wie unsichtbar die Erfolge von Frauen in unserer Geschichte und Kultur sind und wie männlich geprägt die Geschichtsschreibung ist.
Ioana Cre]u: Schaut man allerdings genauer hin, dann finden sich auch Frauen. Elisabeth zu Wied, die spätere Königin von Rumänien, die sich durch ihre schriftstellerische Tätigkeit hervorgetan hat, ist ein Beispiel. Es gibt auch Veronica Micle. Sicherlich bekannter als ihr Mann Ferdinand war Königin Maria. In Hermannstadt hat sich der ASTRA-Verband im 19. Jahrhundert auch um die Emanzipation der Frau gekümmert, unter anderem durch die Gründung der ersten Sekundarschule für Mädchen in Siebenbürgen. Und in der zeitgenössischen Geschichte ist Ana Aslan eine weltweit bekannte Frau, deren Kosmetikprodukte auch heutzutage noch hervorragenden Absatz finden.
Georgiana Epure: Es geht allerdings nicht darum, dass es keine großen Frauen gibt, sondern dass wir sie nicht sichtbar machen und ihnen nicht die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdienen.

Theresa Leonhard: Und es ist schließlich auch ein ganz allgemeines Problem, dass Frauen und ihre Leistungen systematisch ausgeblendet werden. Das geschieht überall auf der Welt. Nehmen wir nur die österreichische Bundeshymne, in welcher erst, aber immerhin, im Jahr 2012 den „großen Söhnen“ im Text auch die „großen Töchter“ hinzugefügt wurden – und dies nicht ohne Debatten in der Bevölkerung. Es ist doch spannend, dass man über so etwas diskutieren musste. Was heißt das? In welchem Diskurs stecken wir noch immer? Wie können wir Männer und Frauen, aber insbesondere auch die Jugend für diese Problematik sensibilisieren? Deshalb haben sich die Österreichischen Kulturtage auch diese Textzeile als Motto gewählt und in Bezug zum gemeinsamen Kulturraum Zentral- und Osteuropa gesetzt. Heute stellt sich dazu noch die Frage: Wie sind wir sichtbar? Frauen sind in den Massenmedien und der Werbung extrem sichtbar, aber in erster Linie der Frauenkörper. Wie wollen wir mit diesem Phänomen konstruktiv umgehen?

Ioana Crețu: Tatsächlich fördern Medien einen bestimmten Stereotyp von Frau. Vor ein paar Jahren wurde die „Hochzeit des Jahrhunderts“ im Fernsehen übertragen. Eine Hochzeit zwischen einem sehr reichen Mann und einer jungen Frau – Monica und Irinel Columbeanu. Ich halte es für unverantwortlich, jungen Frauen die Vorstellung zu vermitteln, dass es das einzige Ziel im Leben sei, einen reichen Mann zu heiraten.

Welche Rolle spielen Frauen denn in der heutigen rumänischen Gesellschaft? Was müssen Frauen leisten und was wird von ihnen erwartet?

Georgiana Epure: Es gibt viele Frauen, die das patriarchale System verinnerlicht haben. Und es gibt auch viele frauenfeindliche Frauen. Das ist das Resultat einer sehr tief verankerten Kultur. Für viele junge Frauen ist es noch immer am wichtigsten, zu heiraten, während für Männer die Karriere im Vordergrund steht. Dabei geht es auch um familiären Druck. Eine Erklärung dafür ist, dass in unserer Gesellschaft der Status von Frauen nicht dem der Männer entspricht. Auch herrscht immer noch die Mentalität vor, dass eine verheiratete Frau einen Mann hat, der sich um sie sorgt.

Ioana Crețu: Selbst in den höheren gesellschaftlichen Schichten ist man noch heute der Meinung, dass Frauen besser zu Hause bleiben sollten, anstatt eine Institution zu leiten. Ich glaube auch, dass, hätte ein Mann genau die gleichen Fehler wie Viorica Dăncilă gemacht, er nicht so ironisiert worden wäre. Und dann gibt es für Frauen, die tatsächlich Karriere machen wollen, auch eine unsichtbare Grenze, an der es kein berufliches Weiterkommen gibt. Viele Menschen sehen eine Frau einfach nicht als Führungsperson. Sie ist eine gute Angestellte und es ist auch gut, wenn sie viele Fähigkeiten besitzt, aber in dem Moment, in dem sie gegen einen Mann konkurriert oder der Mann sie als Bedrohung für seine Position ansieht, ist es eine große Tragödie für den Mann, der nicht genau weiß, ob es eher eine Schande ist, in Konkurrenz zu einer Frau zu stehen, oder es ganz einfach nicht glauben kann, dass auch eine Frau seine Position einnehmen könnte. Hier habe ich selbst die Verwundbarkeit der rumänischen Gesellschaft erlebt.

Georgiana Epure: Mir gefällt das Wort „Verwundbarkeit“. Denn diese spüren offenbar auch Männer, was wohl an den Geschlechterstereotypen liegt. Also der Vorstellung, dass der Mann das Essen auf den Tisch bringt und für Problemlösungen verantwortlich ist. Wenn nun auch Frauen dazu in der Lage sind, dann betrifft das seine Identität als Mann. Er fühlt sich in seiner Männlichkeit getroffen. Tatsächlich müssen wir darüber sprechen, was wir unter Männlichkeit und Weiblichkeit verstehen. Leider sind beide Begriffe in der rumänischen Gesellschaft sehr klar definiert. Doch um die Geschlechterstereotype zu überwinden, müssen wir überdenken, was es denn eigentlich bedeutet, ein Mann zu sein. Ich glaube, das ist ein Problem der rumänischen Gesellschaft, mehr noch als in anderen Bereichen, in denen sie sich nicht weiterentwickelt hat. Denn die männliche Verwundbarkeit greift auf Elemente von Männlichkeit zurück, die nicht mehr ins 21. Jahrhundert passen.

Wie hat sich denn die rumänische Gesellschaft in Bezug auf Frauen in den vergangenen Jahren gewandelt? Also auch in Bezug auf die Zeit vor 1989, in der das Frauenbild doch wohl ein anderes war?

Ioana Crețu: Im kommunistischen Rumänien war die Gleichheit zwischen Männern und Frauen gesetzlich festgeschrieben. Der Kampf der Frauenbewegung fand davor statt. Dem Kommunismus haben wir es auch zu verdanken, dass es bis in die Gegenwart kaum Lohnunterschiede gibt. Anders als im Westen kommt es in Rumänien nicht in Frage, dass Frauen für dieselbe Arbeit weniger Geld bekommen. Und mit dem Antidiskriminierungsgesetz kann der Arbeitgeber auch verklagt werden, wenn er unterschiedliche Löhne zahlt.

Teresa Leonhard: Vielleicht ist es besser, von Uniformität zu sprechen und nicht von Gleichstellung. Denn es gab den großen Widerspruch zwischen öffentlichem Leben, wo Männer und Frauen gleichgestellt waren, und den privaten Räumen, in denen die Geschlechterrollen klar verteilt waren.
Georgiana Epure: Und es gab diese Gleichheit auch nicht, wenn es darum ging, Kontrolle über den eigenen Körper auszuüben. Vergessen wir nicht, dass über 10.000 Frauen während der kommunistischen Zeit gestorben sind, weil sie keinen Zugang zu Verhütungsmittel hatten. Es gab zwar mit Ana Pauker oder Elena Ceaușescu auch Frauen mit starkem Einfluss auf die Politik, doch ohne feministisches Bewusstsein sind die Führungspositionen von Frauen nicht viel wert.

Ioana Crețu: Auch häusliche Gewalt gab es natürlich schon vor 1989, aber Frauen wurden damals geächtet, wenn sie sich von ihren Männern getrennt hatten. Oft hatten sie auch gar keinen Anlaufpunkt außerhalb der Familie. Heute können Frauen eine Verbotsverfügung erwirken und ihrem Peiniger entkommen, auch weil es Unterkünfte für die Opfer häuslicher Gewalt gibt. Hier hat sich die Situation seit 1989 verbessert, auch wenn es immer noch ein starkes Gefälle zwischen Stadt und Land gibt. Dabei spielen auch die Frauenhäuser eine wichtige Rolle. Denn dort, wo es sie nicht gibt, müssen die Frauen oft immer noch zu ihrem Peiniger zurückkehren, insbesondere dann, wenn sie Kinder zusammen haben.

Frau Creșu, Sie betreuen mit ihrem Verein „Asociația Femeilor din Sibiu“ in Hermannstadt ein Frauenhaus. Welche Erfahrungen machen Sie dort mit Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt geworden sind?

Ioana Crețu: In unser Haus kommen in erster Linie Frauen aus der Arbeiter- oder Armutsklasse, die ganz grundlegende Probleme haben und ihr Zuhause verlassen wollen. Wir gehen auch zu den großen Firmen und sprechen dort mit den Frauen. Dort hatten wir auch Fälle, da haben Frauen gesagt, dass sie gerne von zu Hause weg wollen. Doch werden uns und den betroffenen Frauen von Seiten eines noch schwerfälligen Systems viele Steine in den Weg gelegt. Für eine teilweise finanzielle Sicherheit in der Unterstützung unserer Opfer hat sich zwar einiges zum Guten verändert, sodass unser Verein für die geleisteten sozialen Dienste, die staatlich anerkannt sind, vom Sozialdienst der Stadt entsprechende Gelder bekommt, aber eben nur für Frauen, die aus Hermannstadt kommen. Dabei ist es wahrscheinlicher, dass Frauen aus ländlichen Gemeinden Hilfe benötigen. Und es ist immer noch ein Tabuthema. Für die betroffenen Frauen ist es eine Schande und für die Gesellschaft ist es eine Schande. Niemand redet über dieses Thema. Hermannstadt hat viel Geld im partizipativen Budget zur Verfügung und die Menschen entscheiden sich häufig für soziale Projekte. Am einfachsten haben es Projekte für Kinder oder gegen Krankheiten. In diesen Fällen ist die Gesellschaft aufgeschlossen. Doch misshandelte Frauen, die ihr Zuhause verlassen müssen und kein Dach über dem Kopf haben, sind immer noch etwas sehr Beschämendes. Dabei drückt sich die Ungleichheit der Geschlechter gerade im Bereich der häuslichen Gewalt aus, denn in 90 Prozent der Fälle sind Frauen die Opfer.