„Ethnographische Tiefenbohrungen“

Jana Stöxen forscht zu Migration aus der Republik Moldau nach Deutschland

Jana Stöxen hielt sich in der Republik Moldau nicht nur an Busbahnhöfen auf: Hier in Orhei Vechi. Foto: privat

Das Thema Migration ist in Chișinău überall präsent.

An jedem Busbahnhof in Europa zu finden: die rot-weiß-blauen Plastiktaschen Fotos: Jana Stöxen

Die Kulturwissenschaftlerin ist derzeit Doktorandin an der Universität Regensburg. In ihrem Dissertationsprojekt, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert wird, beschäftigt sie sich mit transnationaler Migration zwischen der Republik Moldau und Deutschland – vor allem mit den Netzwerken, die dabei ausgebildet werden. Ziel ihrer Forschung ist es nicht, statistische Werte zu erheben: Es geht um Fragen der Alltagskultur, um das vermeintlich Banale – etwa die omnipräsenten rot-weiß-blauen Plastiktaschen. Dafür führt Jana Stöxen Interviews, forscht aber auch an Orten, an denen diese Phänomene sich beobachten lassen – von Busbahnhöfen bis zu Facebook-Gruppen. Gerade ist sie von einem mehrmonatigen Forschungsaufenthalt in Chișinău zurückgekehrt – ADZ-Redakteurin Veronika Zwing hat sie von ihrer Arbeit erzählt.

Woher kam die Idee für Ihr Dissertationsprojekt?

Das ist etwas zynisch: Durch die Coronakrise, durch diese ganzen Skandale – die Arbeitskräfte in der Fleischindustrie, die festsaßen, die Erntehelfer, die aus Rumänien, aber eben auch aus der Republik Moldau nach Deutschland gekommen sind – dadurch hat sich für mich der Raum Moldau erst so richtig eröffnet. Obwohl ich das Land eigentlich schon von einer Sommerschule 2018 kannte. Aber da wurde für mich relevant, dass Arbeitsmigration nach Deutschland eben nicht nur aus Polen, aus Rumänien, sondern auch aus Moldau kommt. Durch ein Auslandssemester 2017 und weitere Aufenthalte war ich mit Rumänien schon recht gut vertraut und es gibt bereits einige Forschung dazu  – zu Moldau aber wenig.
Ganz am Anfang meines Projekts standen dann auch wirklich rein Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Also diese ganz klassische, fast schon ein bisschen naive Idee von der neuen Generation von Gastarbeitern, obwohl sich die Verhältnisse und Möglichkeiten seit der Bewegung in der alten Bundesrepublik und vergleichbar auch der DDR erheblich geändert haben. 

Diese erste Idee hat sich durch meine Arbeit im Feld, unter anderem durch Interviews, ganz stark gewandelt, weil man eine viel breitere Szene an unterschiedlichen Leuten hat – was das Bildungsniveau, was Tätigkeiten, was Migrationsmuster und noch einige Charakteristika mehr angeht. Auch die ganze Infrastruktur, vor allem die Informationsstrukturen. Wie Leute sich über ihre Arbeitsplätze, vielleicht auch schon durch Freunde, Bekannte, durch das Internet informieren, Verbindungen nach Deutschland haben; und auch, wie das Kontakterhalten mit den Daheimgebliebenen möglich ist.

Und das ist der Knackpunkt meiner Arbeit: Was bewegt eigentlich Leute, die transnational unterwegs sind, die irgendwo zwischen den Kontexten stehen? Mit einem Bein in Moldau, mit dem anderen in Deutschland? Zwischen den Stühlen – oder, wie die Ethnologin Silke Meyer das mal ausgedrückt hat: Auf beiden Stühlen.

Wie zeigt sich das in Ihrer Forschung?

Wir können nicht mehr in Containern denken – hier ist die Republik Moldau, und hier ist Deutschland. Stattdessen ist alles räumlich und sozial enorm verwoben. Die Menschen versuchen ganz stark zu bemessen: Wie mache ich das, wie baue ich das auf? Was will ich in diesem Zeitfenster erreichen? Und sie suchen sich auch, wenn etwas nicht so klappt, andere Wege. Judith Schmidt, die zu rumänischen Arbeitskräften in der Ernte geforscht hat, nennt das „Kalkulierte Mobilität“ und in dieser Perspektive sind die Migrierenden eben keine Spielbälle, sondern aktive Akteurinnen und Akteure mit eigenen Plänen, Hoffnungen und Strategien.

Da sind ganz viele verschiedene Fälle und Muster der Migration. Was vielen dieser Menschen darin gemein zu sein scheint, ist, dass sie Rückbezüge in ihr Herkunftsland haben, dass dieses „kulturelle Gepäck“, also die Dinge und Werte, die sie – materiell und immateriell - mit sich tragen, immer mitschwingt.

Migration ist also heute flexibler?

Ja, definitiv – trotz der Einschränkungen durch Corona und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine, dem Nachbarland Moldaus. Der moldauisch-deutsche Fall ist vor allem durch eine breite Gruppe von Migrierenden, durch ihre Bewegungen und Infrastrukturen gut vernetzt, räumlich und digital. 

Es gibt innerhalb des Phänomens ja sehr verschiedene Modelle von Migration, die ich hier betrachte: Leute, die jedes Jahr mehrmals zum Arbeiten nach Deutschland kommen – etwa in der Pflege oder auf dem Bau, aber die restliche Zeit in Moldau verbringen und dort ihren Lebensmittelpunkt sehen. Aber auch Menschen, die sich in Deutschland Existenzen aufbauen. Gerade hatte ich ein Interview mit einer Person, die wollte ursprünglich mal für drei Jahre für ihre Promotion nach Deutschland ziehen – und jetzt ist sie seit 20 Jahren da und arbeitet in einer akademischen Position. Das ist sehr fluide und auch Rückkehr oder der Wechsel zwischen Migrationsformen ist möglich.

Es geht mir darum zu zeigen: Es gibt hier eine Verbindung, es zeigen sich globale Praxen von Menschen in und zwischen Moldau und Deutschland, und es stellen sich Fragen, die etwa den Wertewandel betreffen: Wo will ich hin, wie nehme ich an Gesellschaft teil – gerade auch aus der Perspektive von Menschen, für die „Zuhause“ ein Begriff ist, der Konflikte birgt?

Deshalb lege ich eine biografische Perspektive an, die auch für die Kulturwissenschaft ganz typisch ist: als „ethnographische Tiefbohrungen“ kann man das bei uns im Fach beschreiben. Es geht um das Vordringen in die tieferen Bedeutungsebenen, denen man sich über das Erzählen der Menschen und dem Teilhaben an ihren Alltagen, dem Nahekommen ihrer Vorstellungen und Herausforderung anzunähern versucht.

Wie stellen Sie das an – dass Menschen Ihnen aus ihrem Leben erzählen?

Das ist ganz unterschiedlich, hat aber immer mit viel Vertrauen und einer intensiven Dialogarbeit zu tun. Einen Großteil bekomme ich über Kontakte, ich bin ja seit 2018 immer wieder in der Republik Moldau. In Deutschland schreibe ich aber auch Vereine an, Restaurants, moldauische Priester usw., und versuche so, Multiplikatoren zu finden.
Meine Lieblingsstory ist die meines allerersten Interviews: Da wollte jemand ein Haus in der Republik Moldau verkaufen, aber eben über ein deutsches Portal. Den habe ich dann einfach angeschrieben und gefragt – „Haben Sie nicht Lust, mir davon zu erzählen, warum und wie?“ Daraus hat sich das erste Interview ergeben, und mittlerweile auch weitere Gespräche und Netzwerke.

Also, es ist sehr viel Zufall dabei und es ist eine sehr intensive Kontaktarbeit. Viele haben Angst, etwas Falsches zu sagen, oder – und das ist sehr häufig – glauben, sie hätten überhaupt nichts zu sagen. Dann muss ich vermitteln, dass das, was sie zu erzählen haben, für mich wichtig ist – dass ich mich auch für scheinbar banale Alltagsdetails interessiere. Viele, die sich selbst als durchschnittlich sehen, finden das komisch: Dass ich mich für sie interessiere und nicht vor allem für Menschen aus einer Bildungs- oder Wirtschaftselite.

Ist es für Sie als Akademikerin schwierig, Menschen außerhalb dieser „Blase“ kennenzulernen? 

Um aus dieser Blase herauszukommen, muss ich diese Räume verlassen, mich nicht bloß an Universitäten und in Büros aufhalten. Das hieß für mich etwa, dass ich in einem der vielen Busse, die nach Westeuropa fahren, mitgefahren bin – über 40 Stunden hin, gut 30 Stunden zurück. Für die Leute war das schon komisch, dass ich als Deutsche diesen Bus nehme – man erkennt es ja, spätestens bei der Passkontrolle und vielleicht auch, weil ich mit meinem Wanderrucksack weniger und anderes Gepäck hatte als viele andere. 

Aber da wir ja alle im gleichen Bus sitzen, sind da doch einige Gespräche entstanden über die Lebensrealitäten von denjenigen, die sonst in Deutschland vielfach unsichtbar sind, die man sonst gar nicht, oder nur in Schreckensnachrichten wahrnimmt – wenn ein Bus einen Unfall hatte, oder wenn es um Pflegekräftemangel oder ähnliches geht.

Apropos Rucksack – was hat es mit den rot-weiß-blauen Plastiktaschen auf sich? Gehören die zu Ihrer Forschung?

Die sind insofern Forschungsgegenstand, als dass sie einfach so präsent sind. Natürlich reisen die Leute genauso gut mit Trolleys, Handtaschen und so, aber diese Taschen sind in Moldau oder überhaupt im ganzen Raum extrem präsent. Mir sind sie im akademischen Diskurs das erste Mal in einer Kunstausstellung aufgefallen, wo sie als Marker für globale Zusammenhänge beschrieben worden sind.

Das klingt im ersten Moment vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber wenn man sich den Weg anguckt von diesem Produkt, von der billigen Entstehung in Hongkong an… es ist auf jeden Fall Teil dieser Praxis des Unterwegsseins. Und es wird ja nicht nur Gepäck damit transportiert – eine Frau im Bus hatte eine ganze solche Tasche mit Kosmetikprodukten und mit Waschmittel deutscher Firmen dabei, mit Obst und westeuropäischen Süßigkeiten… Das sind Dinge, die über ihren materiellen Wert hinaus Wünsche und Bedürfnisse sowie etwa Ideen von Qualität und Wert kommunizieren. Sie als Geschenke zur Familie nach Moldau zu tragen, verdeutlicht die Verbundenheit und deutet so auf Strukturen des Schenkens und Kümmerns hin, die den reinen Marktwert der Dinge weit übersteigen.

Und gleichzeitig beobachte ich jetzt immer mehr Künstlerinnen und Künstler in Moldau, die das Muster für ihre Werke adaptieren – was ich einen sehr spannenden, ein Stück weit ironischen Umgang damit finde.

Wäre das ein Beispiel dafür, was Sie in Ihrer Forschung „alltagskulturell und akteurszentriert“ nennen?

Der Begriff „alltagskulturell“ versucht Kultur als das vorzustellen, was täglich überall passiert und im Normalfall kaum regis- triert wird. Es ist eben kein Hochkulturbegriff, sondern einer, der alles umfasst, was man so den ganzen langen Tag macht. Dazu gehört, dass ich die Akteure, mit denen ich spreche, auch etwa nach Essgewohnheiten frage, oder ob sie sich in der Moldau anders fortbewegen als in Deutschland. Das sind gewisse Praxen, die auf den ersten Blick ganz banal wirken, aber wenn man sich das in der Tiefe anschaut, weisen sie gemeinsame Spezifika und Dynamiken auf, die zeigen, dass Migration nicht nur eine Bewegung mit den Füßen oder dem Bus ist, sondern auch eine Bewegung, die im Kopf einiges ändern kann – aber eben nicht notgedrungen muss.

Und „akteurszentriert“ bezeichnet im Grunde den Zugang zu diesen Dingen: Dass ich mir einzelne Biographien anschaue, und es mir nicht um eine statistische Verwertbarkeit geht – sondern dass ich Menschen als Fälle in einem größeren Phänomen betrachte und ihre Sichtweisen und Erzählungen in den Fokus rücke. Sie sind diejenigen, die in meiner Studie sprechen und damit im Zentrum stehen.

Es geht auch nicht um Bewertung, sondern um Aufzeichnung, Analyse, Einordnung. Es geht um diese Formen und Facetten von „Moldoveni în Germania“ und ihren transnationalen Kontakten zurück nach Moldova.

Sie schreiben, dass es auch darum geht, Migration als normal zu sehen, als Alltag?

Ja, Migration ist eine Konstante menschlichen Daseins. In Moldau ist Migration insofern „normal“, als dass das Thema so präsent ist: Wenn man durch Chi{in²u läuft, sieht man quasi an jeder Straßenlaterne Werbung für „Lucru în Europa“. Es gibt Arbeitsvermittlungsagenturen, und diese Busunternehmen überall. Also, es ist ein Thema, was einen geradezu anspringt, wenn man sich in Moldau bewegt. 

Auch Deutschland ist wie andere Zielländer dabei überall präsent – während umgekehrt in Deutschland wenig Bewusstsein dafür herrscht, dass viele Krankenhäuser, Lebensmittelbetriebe etc. ohne diese Arbeitsmigranten u.a. aus Moldau kaum auskommen würden – übrigens auf allen Ebenen und in vielen beruflichen Rängen, etwa im medizinischen Bereich.

Auf dem Land ist Migration weniger plakativ, aber eigentlich sehr viel schlagkräftiger spürbar: Man sieht die Orte, die vergreisen, wo es kaum junge Leute gibt und die demographische Mitte fehlt, auch nahezu verlassene Dörfer.

Es ist schon sehr, sehr normal, wegzugehen. Und viele machen es eben tatsächlich zu ihrem Lebensmodell. Wenn man sich in Moldau bewegt, hat man den Eindruck, dass es niemanden gibt, der oder die keine Verwandtschaft irgendwo im Ausland hat. Und dass diese Migration dann auch ein starker Einflussfaktor vor Ort ist, weil Migration letztlich auch ein Stück weit das Land am Laufen hält, etwa durch Geld- und materielle Sendungen.

Das hat auch auf Beziehungen, Freundschafts- und Familienbande starken Einfluss, nicht?

Gerade wenn ich mit jungen Familien oder auch alten Menschen gesprochen habe, haut mich das immer ein bisschen um: Wenn Menschen erzählen, wer alles aus ihrem Bekannten- und Verwandtenkreis im Ausland ist; oder Kinder, die zwar genau wissen, dass ihr Vater in Italien oder in Deutschland ist, aber denen dieses Italien oder Deutschland letztlich völlig unbekannt ist. Großeltern, die annehmen, ich könnte ihre (Enkel-) Kinder in Deutschland vielleicht kennen und dann enttäuscht sind, dass dem nicht so ist. 

Doch diese Familienstrukturen bilden sich transnational neu aus: Ich war zum Beispiel an Ostern bei einer Familie zu Besuch, wo einige Familienmitglieder im Ausland sind, und die wurden dann während des Festes so nach und nach über das Smartphone buchstäblich mit an den Tisch geholt. Es ist natürlich emotional prekär, würde ich sagen – wenn Leute einfach nicht da sind, wenn Leute viel verpassen. Gleichzeitig hat die Digitalisierung da auch viel geebnet, etwa dass man diese Personen dann eben zumindest technisch vermittelt für kurze Zeit mit herholen kann. Migration fordert Familien extrem heraus, aber schafft auch neue Formationen und Möglichkeiten. 

Wird das als Möglichkeit gesehen, sich etwas aufzubauen – oder das Land aufzubauen?

Ich glaube, dass die letzte Perspektive, auf das Land, sehr gering ausgeprägt ist. Es geht erstmal um das individuelle, darum, sich selbst und der eigenen Familie etwas zu ermöglichen – dass man sich ein Haus baut, dass man die Eltern unterstützt – und, und das höre ich ganz, ganz oft: Dass es die nächste Generation einmal besser hat. 
Moldau bleibt aber als Herkunftsland, selbst bei denen, die permanent migriert sind, relevant: Viele haben noch ein Haus in Moldau oder kommen im Sommer zu ihren Familien – nicht als Touristen, sondern auf Besuch. Das Land bleibt ein Bezugspunkt, den man immer wieder besucht und der kritisch, aber auch nostalgisch betrachtet werden kann.

Wie gehen Sie dabei mit dem Begriff „Diaspora“ um?

Der Staat vertritt einen sehr weiten Begriff von „Diaspora“ – das sind alle Moldauerinnen und Moldauer, die sich im Ausland aufhalten, deren Angehörigen, Kinder und so weiter. Die Frage, für wie viele Generationen das gelten soll, bleibt offen. Dieser staatliche Bezug ist umstritten, er ist für viele sehr abstrakt und auch politisch negativ aufgeladen. Der frühere Präsident Igor Dodon hat die Diaspora zum Beispiel als eine „Parallelwählerschaft“ bezeichnet und sie so stigmatisiert – die haben ja mehrheitlich Maia Sandu gewählt und nicht ihn. Einige Kräfte um Sandu versuchen nun, den Begriff positiv zu besetzen. 

Aber fast alle, mit denen ich geredet habe, sagen, sie sind nicht Teil der Diaspora – die Leute können mit dem Label nichts anfangen. Die Journalistin Natalia Graur hat geschrieben „Se încadreaz² în defini]ia de „diaspor²”, de{i nu se identific² astfel“ (Man fällt in die Definition von Diaspora, aber man identifiziert sich nicht damit) – das trifft es gut: Die Leute reden von „Diaspora“, als wäre das ein Verein, dem man beitreten kann oder nicht. Sie fremdeln damit auch, weil es so eine politische Dimension hat, weil es „von oben“ kommt.

Aber die „Diaspora-Checkliste“ erfüllen doch die meisten: Sie wollen wissen, was im Heimatland los ist. Sie kochen moldauisch, sie wollen, dass ihre Kinder die Sprache sprechen. Sie interessieren sich für die Wahlen dort. Sie wollen, dass es den Verwandten dort gut geht und schicken ihnen Pakete, besuchen sie. Das sind alles Praxen der Diaspora. 
Aber so nennen lassen wollen sie sich nicht – und da hakt es, sodass ich auch ungern von einer „moldauischen Diaspora“ spreche, wenn die Bezeichnung unter den Betreffenden wenig verbreitet ist. Dass es moldauische Communities im Ausland gibt, diese aber auch darum schwerlich eine Diaspora sind, weil sie gut in anderen Szenen aufgehen – etwa historisch bedingt rumänische Pässe haben oder in russischen Supermärkten einkaufen und in russisch- oder rumänisch-orthodoxe Gemeinden gehen – das ist außerdem eine Herausforderung hinsichtlich ihrer Sichtbarkeit. 

Medial ist das Land selbst durch die russische Invasion in der Ukraine sichtbarer.

In diesem Fall: Leider, ja. Das Land hat auch eine sowjetische Vergangenheit und wird bis heute davon geprägt. Aber die Republik Moldau ist auch längst Teil Europas – schon alleine über all die Menschen, die im Westen arbeiten, gibt es diese starke Verknüpfung. Es gibt dieses Konzept „Europeanization from below“, also „Europäisierung von unten“ – mir persönlich sagt das wegen der Klassendimension nicht ganz zu; es ist schon eher eine Europäisierung, die aus der Mitte heraus stattfindet – von Leuten, die diese Infrastrukturen aufrechterhalten, die diese Netzwerke ausbilden, die zwischen den Kontexten unterwegs sind und sie so verbinden. Mit dem Fortlauf der Generationen werden sich Zugehörigkeitskonzepte und ihr Ausdruck womöglich ohnehin wandeln, sodass mentale Grenzen durchlässiger werden und verschwimmen.
Und so weit weg wie es auf den ersten Blick wirkt, ist die Republik Moldau von Deutschland aus nicht – wir bewegen uns zumindest geografisch in Europa, womöglich irgendwann auch gemeinsam in der EU. 

Vielen Dank für das Gespräch!