Europa als Wertegemeinschaft verstanden

Dazu gehört der Schutz von Menschen, die von Krieg oder Verfolgung bedroht sind / ADZ-Gespräch mit Europaminister Peter Friedrich

Europaminister Peter Friedrich bei seinem Besuch in Temeswar
Foto: Zoltán Pázmány

Der baden-württembergische Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten, Peter Friedrich, war vor Kurzem in Rumänien zu Gast, um sich mit Regierungsvertreterinnen und -vertretern sowie mit Fachleuten zu Gesprächen zu treffen, in denen es unter anderem um die berufliche Bildung und die Zusammenarbeit im Rahmen der Gemischten Regierungskommissionen und der EU-Strategie für den Donauraum ging. In Temeswar/Timișoara besuchte der Europaminister das Technische Kolleg „König Ferdinand“, an dem die duale Berufsausbildung angeboten wird, und nahm am Septembertreffen des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs „Banat“ teil, das in der Residenz des deutschen Konsuls, Rolf Maruhn, stattfand. Hier traf ihn ADZ-Redakteurin Raluca Nelepcu und führte mit ihm folgendes Gespräch.

Wie kann das Land Baden-Württemberg Rumänien in der Ausbildung qualifizierter Arbeitskräfte unterstützen?

Wir unterstützen es schon mit einer Reihe von Kooperationsprojekten, insbesondere durch erfahrene Lehrer, die wir aus Baden-Württemberg hierher geschickt haben bzw. schicken, um in den Berufsschulen die entsprechenden Ausbildungsgänge mit aufzubauen und bei der Erarbeitung der entsprechenden Curricula mitzuhelfen. Natürlich auch durch die vielen Unternehmen aus Baden-Württemberg, die hier präsent sind. Auch da pflegen wir den Austausch und unterstützen die Unternehmen darin, vor Ort in die Ausbildung zu investieren.

Für welchen Arbeitsmarkt werden denn diese Leute ausgebildet, für den deutschen oder für den rumänischen?

Für den rumänischen Arbeitsmarkt. Zunächst einmal werden die Leute für sich selbst ausgebildet. Es geht nicht darum, dass wir den Brain Drain organisieren, sondern wir sehen, dass Jugendarbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Fachkräftemangel zum Teil gleichzeitig stattfinden. Die Menschen wollen eine Perspektive am Ort, wo sie aufgewachsen sind, sehen. Natürlich wollen die Unternehmen, die auch aus Baden-Württemberg kommen, hier am Standort gute Fachkräfte haben. Wir kooperieren, wir tauschen uns aus, wir bilden Lehrkräfte und Verwaltungskräfte fort, aber es geht nicht darum, Leute in Rumänien für den Standort Deutschland auszubilden und sie danach nach Deutschland zu holen.

Viele junge Rumänen wandern jedoch nach Deutschland aus, auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Wie haben sich diese Leute in Deutschland integriert?

Die Integration von Rumäninnen und Rumänen in Deutschland funktioniert hervorragend. Wir stellen auch, Gott sei Dank, fest, dass es eine große Anerkennung dafür gibt, und wir sehen, dass nahezu alle in guten Beschäftigungsverhältnissen unterkommen. D. h. dass sie versichert sind, dass sie einen guten Arbeitsplatz haben, mit einer guten Bezahlung. Die Integration läuft gut, wir sind momentan mit ganz anderen Migrationsfragen beschäftigt, wo es sehr spannend sein wird, wie wir den Zugang zum Arbeitsmarkt hinbekommen werden. Im Rahmen der europäischen Freizügigkeit funktioniert das aber sehr, sehr gut, die Menschen sind willkommen. Wir stellen auch fest, und das ist gut so, dass Menschen nach einer Zeit wieder nach Rumänien zurückkehren oder an einen anderen Standort gehen. Wir wollen das auch von deutschen Arbeitskräften, dass es wirklich einen Austausch gibt. Wir haben auch viele Deutsche, die über die Unternehmen nach Rumänien kommen und hier eine Zeit lang arbeiten. Es ist ein Geben und ein Nehmen und ich glaube, das funktioniert insgesamt gut.

Viele Menschen in Europa sind zurzeit wegen der hohen Flüchtlingswelle etwas verunsichert. Wie geht es Ihnen, haben Sie irgendwelche Ängste diesbezüglich?

Nein, Angst habe ich nicht. Wir haben aber Aufgaben, die wir erledigen müssen. Europa ist eine Wertegemeinschaft und dazu gehört auch der Schutz von Menschen, die von Krieg oder Verfolgung bedroht sind. Wir müssen also gemeinsam als europäische Staatengemeinschaft handeln, um die Flüchtlinge in Europa zu integrieren und ihnen Schutz zu bieten. Deswegen ist aber Europa nicht bedroht! Die Menschen sind eine Bereicherung für uns. Europa altert und die Zahl der Europäerinnen und Europäer nimmt ab, deswegen müssen wir auch gemeinsam alles dafür tun, dass die Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, hier eine neue Heimat finden.

Gerade Baden-Würt-temberg ist ein sehr migrantenfreundliches Land. Mit welchen Problemen setzt sich das Land auseinander?

Unterbringung ist eine der größten Herausforderungen im Moment, weil Baden-Württemberg seit vielen Jahren Zuwanderungsland ist. Über ein Viertel der Menschen in Baden-Württemberg hat einen Migrationshintergrund und wir haben einen sehr angespannten Wohnungsmarkt. Die Zahlen der Menschen, die zu uns kommen, sind einfach so groß, dass wir da improvisieren müssen und auch ein bisschen im Krisenmodus sind, aber nicht, weil wir uns bedroht fühlen, sondern einfach, weil die Zahl derer, die zu uns kommen, so groß ist. Wir müssen uns momentan mit Zeltstätten behelfen und jeden Wohnraum und jede Halle in Anspruch nehmen. Aber wir schaffen das und ich glaube, dass es auch ein gutes Zeichen ist, wenn wir auch das deutlich machen: Die Menschen sind bei uns willkommen. Wenn wir es schaffen, als Politik die Regularien zu treffen, dass das alles geordneter vonstatten geht, so wird es auch für alle Beteiligten ein Gewinn.

Unser Nachbarland Ungarn begegnet den Flüchtlingen mit einem Zaun. Wie kommentieren Sie das?

Ich glaube, dass dieser Zaun letzten Endes die Menschen nicht aufhalten wird. Deswegen ist auch der Zaun zu einem Symbol geworden für die falsche Vorstellung, man könne sich abschotten. Das funktioniert in der globalisierten Welt nicht mehr und in der europäischen Wertegemeinschaft funktioniert das auch nicht. Wir wollen nicht, dass neue Grenzen innerhalb der EU entstehen, deswegen hoffe ich sehr, dass dieser Zaun verschwindet und nicht noch neue hinzukommen. Ungarn muss seinen Beitrag für eine solidarische Flüchtlingspolitik leisten. Ungarn leistet auch viel, weil es sehr viele Menschen aufnimmt.

Österreich hat angekündigt, dass es wieder Grenzkontrollen einführen wird.

Österreich führt Grenzkontrollen durch, die auch im Schengener Raum möglich sind. Man kann in einer Notsituation Grenzkontrollen durchführen. Aber Österreich lässt die Menschen auch ins Land. Von dem, was ich von Österreich bisher wahrgenommen habe, geht es nicht um eine Grenzschließung, sondern darum, dass die Flüchtlinge registriert werden. Was wir gemeinsam in Europa versuchen müssen, ist, dass Flüchtlinge möglichst früh, d. h. auch in Griechenland oder im Transit über den Balkan, registriert werden, dass sie auch Zugang zu Nahrungs- und Gesundheitsversorgung haben und einen sicheren Transit bekommen in die Länder, in die sie gehen.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass Europa wegen dieser Flüchtlingswelle zugrunde gehen wird. Wie sehen Sie Europa in den kommenden zehn Jahren?

Ich glaube, die europäische Idee ist viel stärker, als die Gefahren, die wir da sehen. Allerdings muss Europa auch eine Lösung dafür entwickeln. Die europäischen Mitgliedsstaaten sind da gefordert. Die EU als Institution hat kein Mandat dafür – es ist eine Aufgabe, die nicht an nationalen Egoismen scheitern darf. Deswegen glaube ich, dass die Europäische Union die Kompetenzen auch bekommen muss, um hier Lösungen anzubieten, die auch funktionieren, weil das im nationalen Maßstab nicht zu lösen ist. Die nationale Lösung bedeutet, jeder zieht wieder die Grenzen hoch und Europa zerfällt wieder in Kleinstaaterei und letzten Endes kapituliert es vor dieser Aufgabe. Das kann es nicht sein. Ich finde, diese Herausforderung der Flüchtlinge zeigt, nahezu wie in einem Brennglas, dass die Aufgaben unserer Zeiten nur gemeinsam zu lösen sind, keiner kann sie alleine lösen.