Europas alten Buchstaben auf den Zahn gefühlt

Die Renaissance: Wiederentdeckung antiker Lehren, keine Neuerfindung

Altgriechisch und Latein sind Sprachen der klassischen Philologie. Ohne ihre Kenntnis ist kein unmittelbarer Zugang zu Philosophie und Weltanschauung der Geistesgrößen römischer und griechischer Antike möglich. Allgemein gebildete Bürger des modernen Europa und wachsenden Weltdorfes müssen sich nicht der Beschäftigung mit Alphabet und Grammatik derjenigen Sprachen stellen, die nicht mehr im Umlauf sind und nur noch in Fachbibliotheken oder Kultstätten von Denkanstößen untergegangener Epochen erzählen. Noch reicht es aus, bis an die Renaissance heran von Weltgeschichte und ihren kulturellen Erzeugnissen annähernd Bescheid zu wissen und einzelne Autoren oder gar ein paar Sprüche der Antike nennen zu können. Menschen des 21. Jahrhunderts, die sich auf autodidaktische Art und Weise humanistisch weiterbilden und dadurch mehr vom Leben haben möchten, können sich Zeit für klassische Philologie meist nicht vom Leib reißen. Ihnen bleibt allein das Angebot, Übersetzungen aus der Hand sprachkundiger Fachtheoretiker zu lesen.

Deswegen ist es wichtig, dass ein Staat, der auf dem internationalen Parkett nicht nur politisch mitreden will, sondern auch kulturelles Mitspracherecht einfordert, seiner Stellvertreterriege von Humanisten und Intellektuellen die Möglichkeit gibt, akademische Leistung nach autonomen statt regierungspolitisch vorgegebenen Vorlieben zu erbringen. Leider hat der wohlwollend beschlossene Bologna-Prozess nicht überall ausschließlich positive Konsequenzen gezeitigt. Unter Bildungsminister Daniel Funeriu (Dezember 2009 - Februar 2012) ist auch Rumänien teils hart getroffen worden. Vielerorts führte die neue gesetzliche Bedingung, dass Fakultäten erst ab der Anzahl von 50 beschäftigten Lehrkräften als eigenständige Tochtereinrichtungen der jeweiligen Universität anerkannt und zugelassen werden, zu Umbildung und Zusammenlegung. Nischendomänen trugen vergleichsweise großen Schaden davon, die Sprachen klassischer Philologie mit eingeschlossen. Nicht nur Philosophen und solche, die es werden wollen, erfahren die Streichung als unverrückbar vorgeschobenen Riegel. Theologen, Historiker, Archäologen, Sprachforscher und Kulturwissenschaftler, sie alle benötigen Ausbildung in der Anwendung der Alphabete alter Sprachen, um ihre Tätigkeiten nach bestem Gewissen ausüben zu können. Auch die Lucian-Blaga-Universität Hermannstadt/Sibiu (ULBS) ist hierbei im Rückstand, verkennt den Wert ihrer Nähe zum Wohnort von Constantin Noica (1909-1987) auf der Hohen Rinne ab 1975.

Dan Slușanschi (1943-2008), Professor an der Universität Bukarest und Ehrendoktor der Universität Caen (Frankreich), war ein Vorkämpfer der klassischen Philologie in Rumäniens akademischer Landschaft. Seine Übersetzungen bekannter Werke von Dimitrie Cantemir und Homer sind aus keiner Fachbibliothek wegzudenken. 2006 gab Dan Slușanschi Horia-RomanPatapievici ein ausführliches und auch Laien verständliches Interview, dessen Aufzeichnung leicht durch Eingabe der Schlagwörter „Înapoi la argument Slusanschi“ in der Suchzeile der Mediathek Youtube zu finden ist.

Am Rande des Gesprächs beider Kapazitäten ist eine Verkettung kulturpolitischer Fakten, deren Spuren in der Gegenwart enden, feststellbar: Horia-Roman Patapievici war 2005 von Staatspräsident Traian B˛sescu an die Spitze des Rumänischen Kulturinstituts (Institutul Cultural Român, ICR) berufen worden und machte bald darauf Karriere als geachteter Kulturmittler. Juni 2012 geschah ein herber, von der Regierung unter Premierminister Victor Ponta verübter Rückschlag, der das öffentlich-rechtliche ICR durch Eilverordnung dem Parlament unterstellte. August 2012 gaben Horia Roman-Patapievici und seine engen Mitarbeiter ihren geschlossenen Rücktritt bekannt. Pikantes Element der Episode ist Schauspieler Mircea Diaconu, Kandidat für die November 2019 anstehenden Präsidentschaftswahlen Rumäniens und Kultusminister in der Regierung Ponta von Mai bis Ende Juni 2012, mit dessen Einwilligung die Rückstufung des ICR durchgeführt wurde.

Philologin Antoaneta Sabău, wissenschaftliche Forscherin am Institut für Ökumenische Forschung Hermannstadt (IÖFH) der ULBS, und Philosoph Florin Călian, Promotionsstudent an der Central European University Budapest, sind ausgesprochen dankbar, bei Dan Slușanschi studiert zu haben. „Seine Fähigkeit, junge Aspiranten im Handumdrehen für alte Sprachen zu begeistern, war einzigartig und ist – nach unseren eigenen Erfahrungen – von keinen anderen Dozenten außerhalb Rumäniens übertroffen worden.“

Antoaneta Sabău, Sebastian Mateiescu und Florin Călian legen derzeit den Grundstein des Centre for Philosophy and Religious Studies, das formal dem IÖFH untergeordnet ist und mittels regelmäßiger Veranstaltung von Intensiv-Sprachkursen in Hermannstadt Lücken klassischer Philologie an Rumäniens Universitäten ausbessern möchte. Die Lern- und Übungseinheiten des allerersten Sprachkurses wurden an zehn Wochentagen im Zeitraum 9.-21. September in den Räumlichkeiten des Departements für Protestantische Geschichte, Kultur und Theologie der Fakultät für Geisteswissenschaften an der ULBS durchgeführt. Kursgegenstand war Altgriechisch, Kurssprache Englisch. Die Aufgabe der Organisation teilten sich Florin Călian und Sebastian Mateiescu, Doktor der Universität Bukarest und derzeit Marie-Curie-Stipendiat der Universität Leiden (Niederlande). Octavian Gordon, seit 2009 Dozent am Lehrstuhl Philologie Latein und Altgriechisch der Fakultät für Orthodoxe Theologie an der Universität Bukarest, unterrichtete die Gruppe der Teilnehmer mittleren Niveaus. Die Anfängergruppe wurde von Antoaneta Sabău angeleitet.

Eine Kursgebühr in der Höhe von 950 rumänischen Lei war zeitgleich mit Anmeldung bis Ende Mai 2019 zu hinterlegen und umfasste Unterkunft, Verpflegung, Kursmaterialien sowie Unterrichtsgebühren. Samstag, am 14. September, wurde ein Tagesausflug an den Standort der Wohnhütte Constantin Noicas auf der Hohen Rinne unternommen, der bei sämtlichen 18 Beteiligten bleibende Eindrücke hinterließ. Die Kursarbeit in Hermannstadt gliederte sich in zwei durch Mittagspause getrennte Einheiten einer Gesamtdauer von bis zu sechs Stunden täglich. Man machte keinen Hehl aus der Anforderung hoher kognitiver Ausdauer an die Teilnehmer, bestand fest auf dem Lernzweck und stellte touristisches Ausruhen hinten an.

Trotzdem ist der Intensiv-Sprachkurs Altgriechisch als voller Erfolg zu verbuchen. Ersterfahrungen im Übersetzen einfacher Passagen von Platon und Aristoteles machten Appetit auf Fortführung. Im Teilnehmerfeld vertreten waren einschließlich die Freie Humboldt-Universität Berlin und sogar die Universität Chicago (USA). Das Kursangebot hatte sich ausdrücklich nicht nur an Theologen gerichtet. „Es haben sich deutlich mehr Teilnehmer beworben, als wir erwartet hatten!“, so Antoaneta Sabău. Dennoch sind sie und Mitstreiter Florin Călian davon überzeugt, dass nicht alleine die geringe Kursgebühr Interessenten aus aller Welt nach Hermannstadt gelockt hat, obschon dasselbe Angebot andernorts in Europa üblicherweise vier- bis fünfmal teurer ist. „Weil der erste Versuch positiv eingeschlagen hat, wollen wir ab nun zweimal jährlich Sprachkurse veranstalten. Latein, Altslawisch und indogermanische Sprachen sind uns ebenso wichtig“, fügt Florin Călian hinzu. Mentor Dan Slușanschi würde sich freuen, nicht vergeblich militante Haltung zwecks Verteidigung der klassischen Philologie im Rumänien der Postmoderne eingenommen zu haben.