Fehlende Schulbücher, mies bezahlte Lehrer

Das rumänische Bildungssystem weist viele Mängel auf

Symbolfoto: freeimages.com

60 Tote hat jene Brandkatastrophe vor sechs Wochen in einem Bukarester Club gefordert – ein Ereignis, das das Fass zum Überlaufen brachte. Denn es war, wie sich wenig später herausstellte, Korruption im Spiel. Wieder mal. Politiker bis ganz nach oben haben weggeschaut und anscheinend auch die Hand aufgehalten, als es um die vorgeschriebenen Brandschutzauflagen und die Kontrolle von deren Einhaltung ging. Was folgte, waren massive Protest-Demos, die den unter Korruptions- und Plagiatsverdacht stehenden Ministerpräsidenten Victor Ponta und seine Regierung das Amt gekostet haben.

Doch bei den Protesten ging es nicht nur um die Brandkatastrophe an sich, sondern, neben einer überraschend eindeutigen Opposition gegen das Gehabe der rumänisch-orthodoxen Kirche und deren Habgier, auch um gravierende Defizite an den Unis und den Schulen Rumäniens. Denn dort, wo eigentlich die Zukunft kommender Generationen geschmiedet werden soll, fehlt es an vielem: Die Lehrer sind mies bezahlt; Bücher gibt’s auch nicht immer; und die Sanitär- und Sicherheitsauflagen halten auch die wenigsten Schulen ein. Bezüglich Lücken und Tücken im rumänischen Schulsystem – und wie Lehrer, Schüler und Eltern darauf reagieren – sahen wir uns in Westrumänien um.

Schüler wollen Korrupte weghaben

„Was Europa für uns bedeutet? What does Europa means to You?“ Europa-Projektwoche am „Diaconovici-Tietz“-Lyzeum in der ehemaligen rumänischen Vorzeige-Industriestadt Reschitza/Reşiţa. Doch hier geht es nicht nur um Europa: Ein Tag vor der Projektbegegnung wurde der Bürgermeister der Stadt in Handschellen aus dem Rathaus geführt. Der Vorwurf gegen ihn: Korruption. Er hat sie ohne viel Zicken vor der Antikorruptionsstaatsanwaltschaft DNA in Temeswar/Timişoara zugegeben.

„Die meisten unserer Schüler haben sofort dafür protestiert, dass der nachweislich korrupte Bürgermeister jetzt von seinem Amt abtritt. Bei uns in Rumänien wurde ja so eine kleine Revolution gestartet. Auch wir sind auf die Straße gegangen und haben protestiert. Die Verhaftung des Bürgermeisters ist für uns etwas Gutes.“
So die 17-jährige Jasmina Negrea, die deshalb so gut und akzentfrei Deutsch spricht, weil sie eine Weile lang in Hamburg gelebt hat. Ihr Beispiel zeigt: Der Funke der Proteste nach der Konzertclub-Katastrophe in Bukarest ist auch auf manche Schulen übergesprungen. „Es ist uns sehr wichtig, weil: Wir sind die Zukunft dieses Landes. Wir müssen uns engagieren. Können nicht wegschauen.“

Und das Engagement setzt dort an, wo Jasmina Negrea den Großteil ihrer Zeit verbringt: In der Schule selbst. Denn gerade im rumänischen Bildungssystem liegt vieles im Argen.

„Feuerzangenbowlen“-Atmosphäre

Sonja Chwoika unterrichtet in Reschitza Deutsch als Muttersprache. Sie bestätigt die Meinung ihrer Schülerin und nennt das aus ihrer Sicht größte Problem: „Im Allgemeinen kann man eigentlich sagen, dass ein Lehrer, der am Anfang seiner Karriere steht, kaum mehr als den Durchschnitt des Gehalts der Rumänen verdient, also um 250 Euro. Kaum mehr. Das stockt sich dann langsam auf, aber sehr, sehr, ja quälend langsam.“ Und das bedeutet in der Folge: In Rumänien hat der Beruf des Lehrers enorm an Attraktivität verloren.

„Man ist halt schon von Anfang an ein wenig reserviert gegenüber dem Lehrerberuf.“ So formuliert es die Deutschlehrerin. Wer beispielsweise Chemie, Physik, Informatik oder Deutsch studiert hat, findet in der rumänischen Privatwirtschaft Jobs, die drei- bis viermal so gut bezahlt sind wie der Schuldienst. Ergebnis: Ein zunehmender Lehrermangel. Doch es fehlt noch an einigem mehr.

„Wir haben keine Bücher. Wir haben jetzt Anfang Dezember. Und wir haben immer noch keine Schulbücher für die dritte Klasse. Und Rumänisch und Mathematik lernen wir auf Arbeitsblättern…“, so Anna-Gertrude Hudetz, die in Reschitza regelmäßig ihren Enkel zur Schule bringt. Wer zudem einen Blick in manche rumänischen Klassenzimmer wagt, wähnt sich angesichts der abgewetzten Schulbänke in den Kulissen des Heinz-Rühmann-Klassikers „Die Feuerzangenbowle.“ Die stammt allerdings aus dem Jahre 1944.

Packt es die jetzige Regierung?

„Als erstes müssten wir an unseren Schulen die Infrastruktur, die Ausstattung modernisieren. Ich war ja schon ein paar Mal in Deutschland. Da gibt es moderne Lehrmittel,  interaktive Lernmethoden. Naja, und auch der rumänische Lehrplan ist längst überholt“, ergänzt Simona Hochmuth, die in Temeswar seit mehr als zwei Jahrzehnten als Gymnasiallehrerin arbeitet. All diese Defizite haben gravierende Folgen.

„Viele Familien schicken die jungen Schüler schon ins Ausland. Weil wir in Temeswar sind: Bei uns ist Wien eigentlich ganz in der Nähe. Viereinhalb Stunden Autofahrt.“ So der in Westrumänien arbeitende Unternehmensberater Valentin Bicu, Vater zweier Töchter. Ihm bereiten nicht nur die Mangelerscheinungen an rumänischen Schulen Sorgen, sondern auch strukturelle Fehler im Bildungssystem, ganz generell. „Darüber hinaus bekommen die Schulen und auch die Universitäten die Budgets nach Anzahl der Studenten und der Schüler, wie ein Kopfgeld. Und da müssen sie sich absichern, dass sie viele Schüler und Studenten haben“, was zu großen Klassen und schlechten Betreuungsverhältnissen führt.

Dies gelte es, so Valentin Bicu, als erstes zu ändern. Die Hoffnung darauf ist berechtigt. Seit kurzer Zeit steht mit dem ehemaligen EU-Kommissar Dacian Ciolo{ ein sogenannter parteiunabhängiger Technokrat an der Spitze der rumänischen Regierung. Und der habe den Ruf der Straße nach Verbesserungen im Bildungssystem sehr wohl vernommen. „Das hat aber nicht nur mit dieser technokratischen Regierung zu tun: Die ganze Gesellschaft hat gelernt und gemerkt, dass es ohne Bildung nicht vorwärts gehen kann.“

Ein erster Schritt ist bereits getan: Rumäniens Staatspräsident Klaus Johannis hat einen Erlass zur Aufstockung der Lehrergehälter um 15 Prozent unterschrieben. Für Gymnasiallehrerin Sonia Chwoika aus Reschitza ist das „..überhaupt ein Schritt, dass man da etwas ins Rollen bringt. Auch, vielleicht, mit kleinen Schritten könnte man, später etwas erreichen, das sich für alle auszahlt. Und lohnt. Nur müssen die Schritte konsequent sein. Und nicht mit jedem Bildungsminister neu ansetzen...“.