Finanzielle Versuchung Brüssel

Eine lesenswerte Rubrik in Andrei Pleșus „Dilema Veche“ ist jene von Valeriu Nicolae. Das ist ein Vertreter der rumänischen Roma, ein gebildeter, viel herumgekommener Vollblutdemokrat und Aktivist für die Sache der Roma Rumäniens, der sich – auch als Mitglied von Regierungen – kein Blatt vor den Mund nimmt und den Finger auf die Wunde legt, ohne Rücksicht auf Verursacher der Verwundung(en). Und er ist ein Mensch, der sich aktiv einsetzt für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Zigeuner Rumäniens, in den sozialen Brennpunkten.

Er und Dacian Cioloș schlugen einen „möglichen Leitfaden“ vor zur Auswahl der Kandidaten einer Partei für die EU-Wahlen vom Frühjahr 2019. Es sollte kein Kandidat, sondern ein Team zur Wahl stehen: ein Mann, eine Frau und für eine Spezialisierung bereite Jugendliche zwischen 18 und 30 Jahren. Alle mittels öffentlicher Ausschreibungen, transparent und meritokratisch, bestimmt.

Mit einer Frauenvertretung unter dem Durchschnitt der Emirate oder Bahrains muss Schluss sein. Kehrt ein EU-Parlamentarier zurück in die Landespolitik, wird sein Platz vom „Team-Partner“ anderen Geschlechts eingenommen. So formt man Politiker der Zukunft. Die Teams werden professioneller, respektierter. Rumänische EU-Parlamentarier werden verpflichtet, künftigen Politikern in Brüssel vier Ausbildungsperioden jährlich zu finanzieren. Damit sinken ihre Bezüge, gleichen sich den Löhnen und Einkommen Bukarester Parlamentarier an.

Anreize der Opportunisten zum Nepotismus und Kungeleien schwinden, auch die finanzielle Versuchung Brüssel. EU-Löhne dienen nicht mehr einzelnen Amtsträgern, sondern dem politischen Aufbau Rumäniens. So „stiege auch der Appetit der Jugendlichen auf Wahlen“, meinen Cioloș und Nicolae.

„Wir bei RO+ werden so vorgehen“, schreiben sie – obwohl die Cioloș-Partei „Bewegung Rumänien Gemeinsam“ (rumänisches Kürzel: MRÎ oder RO+) noch gar nicht offiziell ist. Trotzdem ist sie als Partei der Zukunft taxiert und Umfragen sprechen ihr bei der Sonntagsfrage einen Stimmenanteil von 20 (+/- drei) Prozent zu. Beachtlich für eine Partei, die sich anschickt, mit der Union Rettet Rumänien (USR) die neue Mitte zu teilen.

Auch der USR spricht die IMAS-Umfrage um 20 Prozent bei der Sonntagsfrage zu. Beide Parteien stünden am Limit der Regierungsfähigkeit. Schock und Alarmsignal für PSD und PNL. Weniger für die „Ein-Mann-Partei” ALDE (des Călin Popescu-Tăriceanu), die nach der Sonntagsfrage zu den beiden Parteien der neuen Mitte passen könnte und diesen Regierungsfähigkeit verliehe. Distanziert sich Popescu-Tăriceanu deswegen immer öfter von der PSD, seinem Regierungspartner? Lässt jedoch seinen Wadenbeißer, Justizminister Tudorel Toader, gewähren?

Doch nicht Umfragen bestimmen den Ausgang künftiger Wahlen. Das tun die Wähler, die zur Urne gehen. Realistisch gesehen, verfügen PSD und PNL (die beiden Umfragenverlierer, wenn Sonntag Wahlen wären) über die besseren kommunalen Strukturen und auch über die größte Erfahrung bezüglich Wahlbeeinflussung vor Ort und Urnengang der politisch Ungebildeten – ihr Stammwählerpotenzial. Kein Mensch kann davon ausgehen, dass mit USR und MRÎ bei künftigen Wahlen sofort eine neue Mitte entsteht. Die auch noch regierungsfähig wäre.

Die etablierten Parteien, korrupt, machtbesessen und habgierig, sind viel zu gewieft, dazu haben sie die viel routinierteren Wahlkampfapparate und -truppen und sind viel zu sattelfest, um über Nacht aus dem Sattel gehoben zu werden.  Allenfalls sollten sich USR und MRÎ an die Idee einer Zusammenarbeit mit PNL oder ALDE gewöhnen, die von ihnen Ironisierten und Verachteten. Regieren ist Politik. Die „Kunst des Machbaren“.