Freude an Musik und Gemeinschaft

Ingeborg Acker und das Ensemble Canzonetta bereiten Jubiläumsjahr vor

„Canzonetta & Guests“ – ein Sonderkonzert mit Gastmusikern im Kulturzentrum „Redoute“ in Kronstadt

Eins der zahlreichen Canzonetta-Konzerte in der Kronstädter Schwarzen Kirche.

Gemeinsam auch in der Freizeit: Picknick-Gruppenfoto mit Leiterin Ingeborg Acker in Rosenau.

Ingeborg Acker, Gründerin und Leiterin von Canzonetta
Fotos: Cătălin Stoia

In Kronstadt/Braşov haben wichtige Kirchenfeiern, Gottesdienste zum Schulanfang, „Bunte Abende“ des Deutschen Forums oder Bartholomäusfeste eins gemeinsam: Die fröhliche Gruppe von jungen Musikbegeisterten, die auf Blockflöten, Glockenspielen, Metallophonen, Gitarren oder Rhythmusinstrumenten musizieren, und denen man die Freude an der Musik vom Gesicht ablesen kann. Sie spielen ein umfassendes Repertoire, das von der Renaissance bis hin zur Unterhaltungsmusik des 20. Jahrhunderts reicht, und schmücken ihre Auftritte mit Volksmelodien aus dem multikulturellen Siebenbürgen.

Multikulturalität ist auch für die Zusammensetzung der Gruppe kennzeichnend: Die Hobby-Sänger und -instrumentalisten gehören unterschiedlichen Ethnien an - sprechen aber bei Proben und Konzerten Deutsch.

Nächstes Jahr wird Canzonetta, das Vokal- und Instrumentalensemble der evangelischen Kirchengemeinde A.B. Kronstadt (Honterusgemeinde), 20 Jahre alt und somit älter als die meisten Mitglieder. Die Geschichte von Canzonetta beginnt jedoch nicht erst 1994, doch seit diesem Datum konzertieren die Kinder und Jugendlichen in der heutigen Zusammensetzung – das heißt Blockflöten, Chor und Stabspiele. Geleitet wird die Gruppe von Gründerin Ingeborg Acker – schon 1981 hatte sie einen ersten Kinderchor ins Leben gerufen, der allerdings damals nur gelegentlich mit Instrumentalbegleitung musizierte.

Heute besteht Canzonetta aus Mitgliedern verschiedener Alterskategorien (etwa 9 bis 18 Jahre), die größtenteils im Johannes-Honterus-Lyzeum zur Schule gehen. Oft gesellen sich auch ehemalige „Canzonettisten“ hinzu. Es sind im Schnitt etwa 25 bis 30 junge Menschen, die den „harten Kern“ bei den Auftritten ausmachen; außerdem gibt es eine zahlenmäßig große Gruppe von Anfängern, die erst ihr Metier erlernen müssen, bevor es auf die Bühne (oder auf die Kirchenempore) geht.

Alle unter einen Hut bringen

Auch bei den regelmäßig Auftretenden ist das Niveau sehr unterschiedlich. Auf die Frage, wie es trotzdem möglich ist, ein homogenes Ensemble zu bilden, antwortet Ingeborg Acker: „mit sehr viel Fantasie - und mit meinem ‚Büro‘, das ich immer mit mir trage!“ Dabei zeigt sie auf ihren Laptop. „Die Musikbearbeitungsprogramme sind für mich ein Segen. Früher habe ich jede einzelne Stimme für jedes einzelne Kind mit der Hand geschrieben.“ Die Musikerin nimmt regelmäßig einfache Stücke ins Repertoire auf, damit die Mutigeren unter den Neulingen mitmachen können. Bei den anspruchsvolleren Werken wird aus der Partitur eine vereinfachte Stimme „herausgezaubert“, bei der die Debütanten nicht eingeschüchtert werden. „Das gibt ihnen das wunderbare Gefühl, sie seien diejenigen, die das Stück ‚machen‘. Dabei sind es natürlich die Fortgeschrittenen, auf die man sich musikalisch verlässt“, so Ingeborg Acker.

Der Leiterin ist es wichtig, dass die angehenden „Canzonettisten“ von Anfang an musiktheoretische Grundbegriffe mitbringen. „Wenn die kleinen Kinder völlig ohne Vorkenntnisse in die Ensembleprobe gelangen, erleben sie einen Kulturschock. Die ersten Schritte muss man sachte angehen“, erklärt sie. Selbst später sei es keine einfache Aufgabe, die Kinder motiviert zu halten und sie zum selbstständigen, regelmäßigen Üben zu ermuntern. Ein unterstützender Faktor sei hierfür die Tatsache, dass es bei Canzonetta keinen Schulkatalog und keine Drohung mit schlechten Noten gibt. Außerdem bildet sich eine gewisse Gruppendynamik, wie Ingeborg Acker erläutert: „Es kommt immer darauf an, welches Kind in der Gruppe den Ton angibt. Manche Kinder haben eine stärkere Ausstrahlung und ziehen die anderen mit. Entscheidend ist die Frage, in welche Richtung.“ Beispielsweise gebe es immer wieder Schulfreunde, die sich gegenseitig übertreffen wollen und einander beweisen wollen, wie gute Musiker sie sind. Natürlich profitiere Canzonetta davon, so die Leiterin. Aber manchmal gibt es auch negative Entwicklungen, zum Beispiel Meinungen wie „Chorsingen ist nicht cool.“

Musizieren stärkt  die Persönlichkeit

Fest steht, dass sich Canzonetta nicht als Vorbereitungskurs für ein Musikstudium versteht. Der Grundgedanke ist eher das Entfalten von Werten wie Kollegialität und Teamgeist jenseits des heute so verbreiteten Leistungsdenkens, wie Ingeborg Acker hervorhebt. Das Musizieren stärkt bei den Kindern Selbstbewusstsein und Kommunikationsfähigkeit, die Bühnenauftritte wirken sich positiv auf die persönliche Ausstrahlung aus. Zudem lernen sie die Tonkunst aktiv kennen und schätzen. „Dies ist auch mein persönlicher Protest gegen stundenlange Facebook-Sessions, mit denen die Kinder heutzutage ihre Zeit verschwenden“, fügt die Musikerin hinzu. Sie bedauert, dass sich der Musikunterricht in den Schulen auf „höchstens einige Kinderlieder und selten ein wenig Theorie“ beschränkt. Auch sei es in manchen Schulen Mode geworden, begabtere Kinder zu ‚Superstars’ zu stilisieren: „Sie singen als Solisten ins Mikrophon, fühlen sich völlig selbstsicher und rufen bei den Kollegen Neid hervor – doch als Kind kann man sehr leicht von diesem Sockel fallen, und die Freude an der Musik geht mit dem Selbstbewusstsein verloren“, so Ingeborg Acker.

Wie wertvoll das Heranwachsen in einem ausgeglichenen musikalischen Umfeld ist, weiß sie aus eigener Erfahrung. In ihrer Familie gehörte Musik zum Alltag – und abgesehen davon war das gesamte musikalische Leben der sächsischen Gemeinschaft in ihrem Heimatort Rosenau/Râşnov besonders reich. Die Musikerin erinnert sich heute noch an einen Schlüsselmoment ihrer Kindheit: „Als ich an einem Heiligen Abend erstmals selbst im Kirchenchor mitsingen durfte, tauchte ein Gedanke auf:  Wie schön es wäre, selbst einen Chor zu leiten!“ Der Wunsch ging in Erfüllung: Nach dem Abschluss des Honterus-Lyzeums besuchte Ingeborg Acker die Organistenschule in Hermannstadt/Sibiu, seit 1980 ist sie in der Kronstädter Honterusgemeinde tätig – unter der Berufsbezeichnung „Organistin mit Schwerpunkt für musikalische Kinder- und Jugendarbeit“. Bekannt ist sie außerdem als Vokalsolistin in Oratorien-Aufführungen des Hermannstädter und des Kronstädter Bachchors sowie als Lieder-Sängerin und Chansons-Interpretin.

Picknicks und moderne Musik als Motivation

In Rosenau findet auch heute ein wichtiger Teil ihrer Aktivität statt: Besonders beliebt sind bei den „Canzonettisten“ die Proben, Feiern und Picknicks, die Frau Acker auf dem Gelände des geräumigen ehemaligen Bauernhofs am Fuße der Rosenauer Burg organisiert. Hier oder im Kapitelzimmer des Kronstädter Pfarrhauses und im Rahmen von Probewochenenden in Wolkendorf/Vulcan werden die 15- bis 20 -jährigen  auf öffentliche Auftritte von Canzonetta vorbereitet. Die meisten davon finden im gottesdienstlichen Rahmen statt, doch gibt es auch regelmäßige Darbietungen auf Konzertbühnen und Festivals. Das junge Ensemble blickt bereits auf Tourneen nach Österreich, Deutschland und in die Schweiz zurück, sowie auf sieben CD–Aufnahmen und die Teilnahme an Fernsehproduktionen.

Die Leiterin sorgt dafür, dass die Kinder immer wieder auch „in ein größeres Ganzes“ eingebunden werden. Ob andere Kindergruppen oder gestandene Kulturensembles – Hauptsache, man arbeitet mit ihnen zusammen und lernt von ihnen, was gute Musik und gemeinsames Konzertieren ausmacht. Ein großer Pluspunkt in diesem Sinne waren 2012 und 2013 die Workshops und Konzerte mit dem Vibrafonisten Alexandru Anastasiu vom Bukarester Rundfunkorchester, ebenso die Kooperation mit den jungen Schlagzeugern Aron Ferencz und Robert Erdös und mit jenen ehemaligen „Canzonettisten“, die jetzt selber auf der Bühne stehen: Petra und Michael Acker, Alexandru Muntean, Alex Müntz, Georgiana Dumbravă u.a.

Für diese und viele andere Projekte wurde Ingeborg Acker 2011 mit dem Jugendpreis geehrt, der von der Siebenbürgisch-Sächsischen Jugend in Deutschland und dem Kreis Studium Transylvanicum verliehen wird. Canzonetta selbst erhielt 2012 den ersten Preis bei dem auf Landesebene organisierten Wettbewerb Art Braşov Estival.

Das alles bringt gelegentlich auch Schwierigkeiten mit sich. Selten, aber immer wieder ernten das Ensemble und seine Dirigentin Kritik in Bezug auf die Repertoirewahl. Die Unterhaltungsmusik neben Klassik zu stellen sei nicht angebracht und nicht erzieherisch genug, heißt es. Doch Ingeborg Acker erwidert: „Wenn ich nur mit Vorklassik und Klassik käme, könnte ich die Kinder nicht in diesem Maße begeistern. Mithilfe der leichteren musikalischen Kost kann man sie auch an die große klassische Musik heranführen.“ Auch der Umgang mit den Eltern stellt die Leiterin manchmal vor diplomatische Herausforderungen: Viele der Eltern sind beruflich überbeschäftigt und binden die Kinder ebenfalls von früh bis spät in unterschiedliche Aktivitäten ein, die von Nachhilfestunden und Sport bis Fremdsprachen-Zusatzunterricht und Tanzkursen reichen. „Oft ist es zu viel, und deshalb wird bei manchen Kindern die überdurchschnittliche musikalische Begabung einfach übersehen“, warnt Ingeborg Acker.

Doch von solchen vereinzelten Hindernissen lässt sich Canzonetta nicht stören. Gearbeitet wird zurzeit fleißig an den Auftritten zum 20. Geburtstag des Ensembles sowie an einer Festschrift. Bei den jungen Mitgliedern und der Leiterin geht es wie immer zu: im Crescendo.