Gedächtnis und Politik (I)

Platz der Deportation von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion in der Erinnerungspolitik

Dr. Cristian Cercel Foto: Cynthia Pinter

Der Vortrag, den wir in unseren folgenden Zeitungsausgaben in Fortsetzungen veröffentlichen, wurde im Rahmen der Konferenz „Die Deportation im kollektiven und individuellen Gedächtnis“, die am 10. und 11. März in Hermannstadt stattgefunden hat, gehalten. Veranstalter waren die Deutsche Gesellschaft e.V. (Berlin), das DFDR und die evangelische Kirchengemeinde A.B. Hermannstadt.

In meinem Vortrag werde ich versuchen, einen Überblick à vol d’oiseau, wie man auf Französisch so schön sagt, über den Platz der Deportation von Rumäniendeutschen in die Sowjetunion in der sogenannten Erinnerungs- oder Gedächtnispolitik vorzustellen. Ich verwende die beiden Begriffe „Erinnerungs“- und „Gedächtnispolitik“ abwechselnd. Im Englischen, meiner Hauptforschungssprache, gibt es sowieso nur einen Begriff, nämlich politics of memory.

Politics of memory bezieht sich hauptsächlich auf die top-down-Bemühungen und Bestrebungen institutioneller Akteure (also in diesem Fall Landsmannschaften, die Evangelische Kirche in Rumänien, staatliche Akteure usw.), gewisse Interpretationen der Vergangenheit in der Öffentlichkeit zu verbreiten und zu etablieren. Gleichzeitig gibt es aber auch die grassroots/bottoms-up-Perspektive, die Perspektive „von unten”, wie die Handlungen von Akteuren auf lokaler Ebene oder die Bemühungen und Bestrebungen von Randgruppen, gewisse Narrative über die Vergangenheit bekannt zu machen. Die beiden grob und vereinfacht skizzierten Kontexte sind aber eng verflochten und kommunizieren miteinander. Deswegen werde ich versuchen, soweit es möglich ist, beide in meinen Vortrag miteinzubeziehen.

Der historische Hintergrund der Verschleppung von Deutschen aus Südosteuropa im Allgemeinen und von Rumäniendeutschen im Besonderen ist bekannt und wurde auch auf dieser Konferenz präsentiert. Was ich betonen möchte, das ist die enge Verbindung zwischen 1) der Radikalisierung eines Großteils der Siebenbürger Sachsen und Donauschwaben in Rumänien unter der Führung der Deutschen Volksgruppe, 2) der Rekrutierung in die Waffen-SS und 3) der Verschleppung zur Zwangs-arbeit in die Sowjetunion im Jahre 1945. November 1940, April 1943 und Januar 1945 sind durch sichtbare und unsichtbare Fäden verbunden und es ist meine starke Überzeugung, dass die erinnerungspolitischen Diskurse über das letztere Ereignis, also über die Deportation, die Existenz dieser Verbindung nicht vermeiden sollten. Darauf komme ich aber später zurück.

Die rumäniendeutsche Geschichte und die Herstellung von rumäniendeutschen Identitäts- und Gedächtnisdiskursen finden schon seit der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht nur in Rumänien, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland statt. Im Kontext des Schwerpunkts dieses Vortrags lasse ich die Sachsen und Schwaben in Österreich und in anderen Ländern bewusst beiseite.

Mein Vortrag besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil spreche ich über das, was in Rumänien und der Bundesrepublik Deutschland vor 1989, zwischen 1950 und 1989, geschah. Im zweiten Teil spreche ich über die Periode nach 1989 in den beiden Ländern, vor allem aber in Rumänien. Die Entwicklungen in Rumänien und in Deutschland sind sowohl vor, aber vor allem nach 1989 miteinander verbunden, der Einfachheit halber stelle ich sie jedoch separat vor. Ich werde dann, im dritten Teil meines Vortrags, mit kurzgefassten Schlussfolgerungen schließen.

1950 – 1989 in Rumänien

Ich beginne also mit dem Geschehen in Rumänien nach 1950. Dieses Jahr verwende ich als Ausgangspunkt der Erinnerung, da die Grenzdaten der Deportation 1945 und 1949 sind. Das Allgemeingut über die Art und Weise, in der die Deportation während der kommunistischen Periode in Rumänien behandelt wurde, sagt, dass das Thema eher ein Tabu war. Falsch ist das nicht, aber auch nicht hundertprozentig richtig. Die Forscherin Annemarie Weber hat gezeigt, dass es am Anfang der 50er Jahre eine Art zentral gesteuertes „Integrationsangebot“ für die Rumäniendeutschen gab. In den Seiten des „Neuen Wegs“ sprach man am Anfang der 50er Jahre die Deportation an. Die Diskurse entwickelten sich am meisten in Übereinstimmung mit den damaligen ideologischen Bedürfnissen des kommunistischen Regimes, aber die bloße Existenz dieser Diskurse widerspricht zum Teil der Tabutheorie. Es gab z. B. positive Berichte von Heimkehrern über die Realitäten in der Sowjetunion. Die Deportation wurde selbstverständlich nicht als „Zwangsarbeit“, sondern als „Wiederaufbauarbeit“ geschildert: die Berichte von Deportierten lobten die Errungenschaften der Sowjets, sowie die Tatsache, dass sie die Chance hatten, den Aufbau des sowjetischen Sozialismus zu erleben.


Dr. Cristian Cercel, geb. 1984 in Bukarest, BA in Europäische Studien an der  Universität Bukarest, MA in Nationalism Studies an der Central European University in Budapest, 2012 Promotion an der Universität Durham mit einer Arbeit über den „Philo-Germanismus ohne Deutsche in Rumänien nach 1989“, 2012–2013 Fellow am New Europe College in Bukarest, 2013–2014 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Contemporary German Culture an der Universität Swansea (Großbritannien), zurzeit Fellow am Centre for Advanced Study in Sofia (Bulgarien).