Geradlinigkeit auf italienisch

Vor nicht allzu vielen Wochen mühte sich Matteo Salvini, der Führer der Lega Nord, ab, alle Verdachtsmomente wegzuräumen bezüglich seines geheimen Vorpreschens beim Versuch, mit „befreundeten“ Führungskräften Russlands auf eigene Faust im Aggressionskrieg gegen die Ukraine zu „vermitteln“. Brisant und misstrauenserhärtend: Zur gleichen Zeit verhandelte einer seiner Berater mit Diplomaten des Kreml in Moskau über das Schicksal der Draghi-Regierung, deren Mitglied die Liga damals noch war.

Die Draghi-Regierung fiel. Ende September gibt es nun in der drittgrößten Nationalökonomie der EU Neuwahlen. Und nach den „Kurskorrekturen“ dieses Sommers hat die Koalition der Rechten von Italien – die rechtsextreme Lega Nord des Matteo Salvini, die strammrechte Forza Italia (des Silvio Berlusconi) und die profaschistische Fratelli d´Italia der Giorgia Meloni – in den Umfragen einen bequemen Vorsprung und man rechnet ab Herbst mit einem starken politischen Rechtsschwenk im Stiefelland. Dies trotz der Tatsache, dass so etwas vor gut einem Jahr sich gar nicht abgezeichnet hat.

Damals hatten die Liga und die Brüder Italiens – zusammen mit mehreren anderen, kleineren, genauso euroskeptischen, national-zentristischen Parteien – eine Erklärung unterzeichnet und veröffentlicht, wo die EU als „Instrument der radikalen Kräfte“ bezeichnet wird, die „nichts anderes als kulturelle, religiöse und nationentransformierende Ziele“ verfolge, aufgrund derer der althergebrachte Nationsbegriff sinnentleert werden solle. Gefordert wurde eine Radikalreform der EU: Alle wichtigen politischen Hebel sollen den Nationalstaaten „zurückerstattet“ werden, Brüssel soll nur noch eine Nebenrolle spielen.

Inzwischen haben die drei Rechtskoalitionäre über dieses Papier Gras wachsen lassen. Und einen fast 180-Grad-Schwenk gemacht. Offensichtlich ein Lippenbekenntnis. Dies aus glasklarem finanziellen Interesse. Denn Italien ist mit rund 200 Milliarden Euro der größte Nutznießer der EU-Unterstützungen im Rahmen des post-pandemischen Resilienzplans. Demgemäß sanft und EU-freundlich – aber auch schmierig und verlogen, aber für viele Wählerschichten attraktiv – klingt das Wahlprogramm der drei rechtsradikalen Koalitionäre.

Die Richtungsumkehr hört sich nun so an, als hätten die drei (künftigen Regierungspartner) auf alle ihre antieuropäischen Zicken und Mucken verzichtet (oder sie soweit abgeschwächt, dass sie so gut wie salonfähig klingen). Italien soll und muss ein EU-Vollmitglied bleiben, heißt es da, eine künftige Regierung der Rechten Italiens werde ohne Zögern zu sämtlichen Werten stehen, die die EU fördert und definierten. Die bisher von Italien eingeschlagene Richtung im Ukrainekrieg werde beibehalten und noch betont/verstärkt, die Nato-Verpflichtungen als heilig betrachtet (sogar die Erhöhung der Rüstungsausgaben), die Unterstützung der Ukraine in ihrem Krieg gegen den Aggressor Russland werde hochgeschraubt usw. usf. – alles Honig auf der Brüsseler Zunge. Und auf der von Wählern, die zu Mitte-Rechts neigen.

Einer der Hintergründe: Die Schlussfolgerung der italienischen Rechten aus der Reaktion von Brüssel auf das bockige Verhalten Ungarns und Polens – die künftige rechte Koalitionsregierung Italiens will unbedingt an die 200 Milliarden Euro Resilienzhilfe rankommen (mit der die Regierung allerhand wählererfreuende Wohltaten zaubern kann). Und natürlich die Mitte-Rechts-Wählerschaft Italiens nicht düpieren. Genau nach dem rumänischen Sprichwort: Verbrüdere dich sogar mit dem Teufel, bis du den Steg überquert hast.

Souveränismus und Isolationalismus werden vergessen gemacht. Pragmatismus ist faktisch das neue Schlagwort der italienischen Rechten. Im Wahlkampf in Italien scheint es angenommen worden zu sein. Die Umfragen bestätigen das. Doch ist Zurückhaltung, ja Vorsicht anzuempfehlen.

Was kommt nach dem Wahlsieg?