Glück im Unglück

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Unglück gibt es nicht – nur etwas verschlungenere Wege zum Glück. Dies demonstriert ein Erlebnis, das mir nicht nur ein überraschendes Lieblingsgericht bescherte, sondern herzerwärmende Erinnerungen an einen ungewöhnlichen Kurzurlaub in einem ausgestorbenen Bergdorf in Haţeg. Unser Freund Cătălin hatte sich dort ein altes Holzhaus gekauft und meinen Mann und mich, sowie eine Freundin mit ihrem Jungen für ein paar Tage eingeladen. Wir hatten keine Ahnung, was uns erwartete. Das Einzige, was wir wussten: Da oben gibt es nichts zu kaufen. Also vorher ab in den Supermarkt, und da man den anderen schlecht etwas voressen kann, kauften wir gleich für fünf Personen ein. Doch herrje! Als wir oben ankamen, stellte sich heraus, dass jeder der drei getrennt angereisten Parteien so gedacht hatte, und so verfügten wir über einen beachtlichen Lebensmittelvorrat, der fürs Überwintern in dieser Einöde gereicht hätte. Es war schon später Oktober und wir hängten die Plastikbeutel mit den Köstlichkeiten an einen Haken außen unter das Dach.

Dann wurde die Unterkunft beschnuppert: Das Häuschen bestand aus einem einzigen Raum mit einem primitiven Lehmöfchen, einem Tisch, zwei Holzbänken und zwei Betten mit krummbuckligen Strohmatratzen drin. Abgesehen von der Glühbirne also nicht mehr Komfort als die Daker hatten. Nach dem etwas mühevollen Anfeuern wurde es schnell behaglich warm, und auch die Bettenfrage klärte sich: Mein Mann und ich bekamen das schmale Bett, die anderen drei wollten sich das breitere teilen. Nach reichlich Glühwein, diversen Köstlichkeiten aus dem improvisierten „Außenkühlschrank“ und mehrmaligem Wasser-Hochzieh-Sport mit dem Eimer aus dem Kurbelbrunnen fielen wir weit nach Mitternacht in einen tiefen, traumlosen Schlaf, den nicht einmal die Tatsache störte, dass man die Füße in dem zu kurzen Bett gelegentlich senkrecht die Wand hochstellen musste, denn einrollen ging nicht wegen der Enge, oder höchstens beide in der gleichen Richtung.

Am nächsten Tag machten wir uns nach einem notdürftigen Frühstück auf, um das verlassene Dorf zu erkunden. Stundenlang stöberten wir in den Höfen der pittoresken, verfallenden Holzhäuschen auf Steinfundament, betraten die winzige, gemütliche Holzkirche, da und dort ein eingestürztes Scheunendach aus Schilf...nein, Skelette haben wir keine gefunden. Dafür trafen wir am späten Nachmittag in einem der Höfe auf eine Runde alter Männer, die längst im Dorf am Fuß des Berges wohnten. Sie kamen nur noch zum sonntäglichen Grillen gelegentlich hier hinauf. Die Alten hatten gerade ihre Mahlzeit beendet und luden uns zu einem Umtrunk ein. Bevor sie sich auf den Heimweg machen wollten, begleiteten sie uns noch, mit der Flasche in der Hand und immer wieder Schnapspausen einlegend, schwankend zu unserer Unterkunft. Es dämmerte bereits und in unseren Bäuchen grummelte der viele Alkohol und – ein Bärenhunger! So trotteten wir schweigend den Berg hinan, die Gedanken kreisten um würzigen Räucherfisch, fette Bratwürste, deftige Vierkornbrötchen, Käseranken und schwarze Oliven... 

Das Unheil kündigte sich schüchtern in Form von kleinen Plastikfetzen an. Zuerst zierten sie sparsam den Weg zum „Dakerhäuschen“. Dort lagen sie dann überall im Gras verstreut. Ein Blick unters Dach verriet sofort, was hier geschehen war: Hirtenhunde können viel, viel höher springen, als wir jemals gedacht hätten! Im Gras vor der Haustür kullerten noch ein paar verirrte Oliven herum, daneben eine angebissene Seife. Ansonsten war alles ratzfatz aufgefressen, sogar das Paniermehl mitsamt der Packung. Nun war guter Rat teuer! Im Haus fand sich nur eine Flasche Olivenöl, eine Knoblauchknolle, Gewürze und etwas sauer eingelegtes Kraut. Sonst nichts. Der Bub fing an zu weinen. Schnapsbedudelt ins Dorf zu fahren, kam natürlich auch nicht infrage. Da erinnerte sich einer der alten Männer, dass er noch ein Brot vom Grillen für die Hunde beiseite gelegt hatte und ging es holen. Die Köter waren ja nun pappsatt! Zur Sicherheit ließen sie sich erst gar nicht blicken. Während die anderen noch belämmert auf die Reste der Billa-Säcke starrten, begann mein Mann, das Feuer zu schüren, goss Öl in die Pfanne und versprach vollmundig das beste Abendessen der Welt! Der Junge begann beim Anblick des vertrockneten Brotlaibs hemmungslos zu schluchzen. Wie sollte daraus ein Abendessen werden? 

Doch es wurde! Und zwar eins zum Schlemmen, sodass sich noch heute alle in freudiger Erinnerung die Finger abschlecken: Das alte Brot wanderte mit Knoblauch gespickt und reichlich Öl übergossen in den Backofen, das Sauerkraut, zusammengeschnippelt mit viel Pfeffer und Thymian in die Bratpfanne, wo es lautstark zischend anröstete. Zu dem krossen Knoblauchbrot und dem würzigen Kraut gab es kräftigen Rotwein – einen Beruhigungsschluck auch für den nun glücklich schmatzenden Buben –, den die Hunde netterweise verschont hatten. Oder hatten sie bloß die Flasche nicht aufgebracht?

Heute erinnern wir uns gerne an das Unglück zurück, das dem Ausflug erst so richtig Erlebniswert bescherte! In einem Fässchen produzieren wir seither jeden Winter Sauerkraut, damit wir unser auf so tragische Weise geborenes Lieblingsgericht jederzeit wiederholen können. Und die Hunde? Die sind seither überzeugt, dass es auch Hundeweihnachten gibt – und das mitten im Oktober!