Hinterfragt: Totholz – eine moderne Fabel

Im Unterschied zum toten Holz, das quasi ziellos treibend irgendwo angeschwemmt wird, tobt im Totholz das Leben.

Es sind stehende oder liegende Bäume, die abgestorben und dennoch Lebensgrundlage – sagen wir doch einfach Heimat dazu - von Spechten, Insekten, Pilzen, Moosen und Flechten sind. Biotopbäume klingt doch viel passender und besser als Totholz. Wer will schon Totholz im Schatten der bröckelnden Kirchburgmauer haben? Aber so ein Biotop - klingt doch ganz schick auf der Höhe der Zeit! Noch dazu, wenn es früher ein Pflaumenbaum war, der zu Lebzeiten für so Vieles gut war: die Frä Motter machte Leckes aus den Früchten, wie sie zu sagen pflegte. Sie hätte es auch Marmelade nennen können, aber von ihrer ungarischen Nagymama her, blieb von „lekvár“ die Bezeichnung Leckes übrig. Beim Herrn Vuiter war es nicht so eindeutig festzustellen, ob „Pali“ aus den Pflaumen von „pălincă“ oder von „pálinká“ abzuleiten sei. Man müsste unter „P“-wie-Palukes im Siebenbürgisch-Sächsischen Wörterbuch, Bd. 8 (2002), nachschlagen.

Nach dem Wehrturm mit der Patina auf den urig alten Dachziegeln folgt in der Rangfolge der Fotomotive der Biotopbaum gleich auf Platz zwei, seit das durchnässte Deckengewölbe samt Dachstuhl einer Kirche eingestürzt ist. Die moosbewachsenen Rindenreste mit einer eng beieinander gewachsenen Pilzfamilie, die sich zusammendrängt als wären es frierende Roma im Winter, und dem emsigen Käferlein umherkrabbelnd als hätte es etwas zu tun - all das ließ sich doch wunderbar fotografieren. Später konnte man dazu erzählen: so zu tun, als hätte man etwas zu tun, war die beste Arbeitsmethodik, damals, im rumänischen Kommunismus. Hach, und dort unter den welken Laubresten eine Nacktschnecke, ein wirbelloses Getier ohne Rückgrat und Schleimspur zum Einschleimen des Weges. Im Totholz tobt das Leben, seit Frä Motter und der Vuiter weg sind - mit wenig Gepäck, da leichtes Gepäck das Wegbleiben erleichtert.

Als wohne sogar ein Gnom in den Resten des Wurzelwerkes ist das Totholz mit Mystik behaftet, riecht moosig-modrig, beflügelt die Phantasie und widerspiegelt sich im Volksgut. In schönster Mundart singen siebenbürgisch-sächsische Chöre aus Deutschland über ein klein wild Vögelein, das vermutlich auf jenem Ästchen saß. Statt seine Federchen mit Gold und Seide einkleiden zu lassen bevorzugte es die Freiheit - oder auch Schokolade, Jeans, BMW und die Freiheit.

Der Pflaumenbaum in voller Blüte ist noch auf einem Foto der Kirchburg in einem Buch zu sehen, wie es häufig mit Mitteln des Departements für Interethnische Beziehungen erscheint. Es muss ein altes Foto sein, aus jener Zeit, in der nur Sachsen im Dorfkern wohnten. Die Artenvielfalt ist heute beachtlich: es soll über 1350 totholzbewohnende Käferarten geben und über 1500 Pilzarten. Das lange - seit Urvaterzeiten - Aufgebaute wird nun von anderen verwertet.
Das Totholz ist, mit seinen vergangenen Geschichten aus Lebzeiten, zum Politikum geworden. Sein Wert wurde erkannt, nun, da es abgestorben ist. Es unterstützt neuerdings die Artenvielfalt und ist sogar als CO2-Speicher von Bedeutung. Was heute wichtig ist, daran wurde gestern noch gar nicht gedacht. Der abgestorbene Baum hat Platz für einen neuen, frischen Trieb geschaffen. Der wird wachsen und die im Wandel entstandene Blockade zwischen Bewahren und Neugestalten durchstoßen, jenen Hängezustand, zwischen am Gestern noch Festhalten und das Morgen noch nicht Annehmen, überwinden. Der neue Trieb wird sich verästeln, in einem nunmehr geänderten Umfeld zusammen mit weiteren Arten gedeihen, denen er bestimmt irgendwann Schatten spenden und mit geschmackvollen Früchten Genuss bereiten kann. Die ADZ wird berichten.