Ich und die Beatles

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Ich schrieb neulich einen Artikel über meine Rolling-Stones-Begeisterung zu Zeiten der Diktatur, als ich in Rumänien lebte, und nun muss ich der Wahrheit gemäß nachschieben: In der Tristesse Reschitzas, der grauen Industriestadt, in der ich meine Schulzeit verbrachte, brachten nicht bloß die Rolling Stones den Stein ins Rollen, sondern auch die Beatles sorgten für heftige Adrenalinschübe bei uns Teenies. Hörten wir deren Songs in den späten 60ern im Auslandsradio oder auf den aus dem Westen ins Land geschmuggelten Schallplatten, wurde die öde Fabriklandschaft mit ihren umherziehenden Ruß- und Rauchwolken zu „Strawberry Fields Forever“, zu ewigen Erdbeerfeldern. Und wie in dem Song „Lucy in the Sky with Diamonds“, schwebte ich dann plötzlich in einem funkelnden Diamantenhimmel. Trotz PCR und ganz ohne LSD. PCR war übrigens die Abkürzung für die Rumänische Kommunistische Partei und LSD nicht bloß eine halluzinogene Hippie-Droge, sondern auch die Abkürzung des obigen Beatles-Songtitels.

Apropos Drogen, es gab damals keine davon in Rumänien, doch viele Söhne des Arbeiter- und Bauernstaates ersetzten sie durch billigen Fusel in der Kneipe. Es nützte nichts: Der sozialistische Alltag war auch im hochbesoffenem Zustand kaum zu ertragen.

Aber zurück zu den Beatles! Nicht bloß deren geniale Songs katapultierten mich auf Wolke sieben, sondern auch der subversive, absurde Humor der Band-Mitglieder hatte es mir schwer angetan. Ja, mit diesen Jungs konnte ich mich identifizieren, und zwar bis zur Selbstaufgabe. So fühlte ich mich in der 11. Klasse einen Sommer lang nicht mehr als Jan, sondern nur noch als John Lennon. Konsequenterweise nannte ich mich dann auch John und reagierte nur noch auf diesen Namen. „Ist John zu Hause?“, wurde meine Mutter gefragt, wenn meine Freunde an unserer Wohnungstür schellten, und gerade als sie sich einigermaßen an meine neue Identität gewöhnt hatte und ebenfalls begann, mich John zu nennen, schaltete ich um auf Ringo. Denn von Ringo Starr war ich plötzlich noch beeindruckter als von Lennon, nicht nur, weil er den lustigen Song „Octopus’s Garden“ geschrieben hatte, in dessen musikalisch-psychedelischem Schatten tief auf dem Meeresboden ich stundenlang gedanklich herumhing, sondern auch weil er auf die Frage eines Reporters, wieso er so zahlreiche dicke Ringe an den Fingern tragen würde, aufschlussreich geantwortet hatte: „Damit ich mir die Finger nicht in die Nase stecken kann.“ Ja, das war ein Statement, mit dem ich wesentlich mehr anfangen konnte, als mit allen zu Hause und in der Schule beigebrachten Benimmregeln zusammen.

Beim langfristigen Herumtollen im Oktopusgarten auf dem Meeresboden hatte ich überhaupt keine Atemprobleme, meine Urururvorfahren hatten ja schließlich alle unter Wasser gelebt, und wenn ich mal die gedankliche Rückentwicklung zum Meereswesen nicht hinbekam, stieg ich ganz locker ins „Yellow Submarine“, das beste U-Boot der Welt, um damit unterzutauchen, die Ohren voller Beatles-Musik.

Der Zugang zu den Texten der Beatles-Songs war eine Sache für sich. Denn ich hatte damals leider zwar keinen Englischuntericht in der Schule, statt dessen mussten wir Russisch lernen, aber ich schnappte mal hier ein Wort eines Songtextes auf, mal da ein anderes, und irgendwann sang ich den ganzen Wortlaut des Liedes mit. Ich kann auch heute noch den Songtext von „I Am The Walrus“ („Ich bin das Walross“) auswendig aufsagen, besser gesagt begeistert nachträllern:

„I am you as you are he as you are me and we are all together.
See how they run like pigs from the gun...
Sitting on a cornflake,
waiting for the van to come.
I am the walrus
goo goo g’joob.“

Was auf gut Deutsch so viel heißt wie: 

„Ich bin er, denn du bist er, denn du bist ich,
Und wir sind alle zusammen.
Sieh wie sie laufen wie Schweine vor einer Flinte...
Sitz auf einer Haferflocke,
Warte auf den Lieferwagen.
Ich bin das Walross
gruu gruu gruunz.“

Ja, das war das komplette Kontrastprogramm zu den auswendig zu lernenden Gedichten über Vaterlandsliebe, den Sieg des neuen Menschen und der Partei und derlei lexikalischem Propagandamist. Jawohl, besser konnte man es nicht sagen! Aber was denn sagen? Was will uns der Dichter mit diesem Gedicht mitteilen, was lernen wir daraus? Nun ja, gar nichts! Nothing at all! Der Dichter pfeift auf die Botschaft, schööön! Der Dichter will bloß lachen, spotten, demontieren und jeden Oberlehrer auf Textsinnsuche in die Pfanne hauen. Alles, was zählt, ist Musik, Albernheit und Lebenslust. Bloß die hat man zu zelebrieren. Oder wie John Lennon es kurz vor seinem Tod einmal ausdrückte: „Als ich 5 Jahre alt war, hat mir meine Mutter immer gesagt, dass Fröhlichkeit das wichtigste im Leben ist. Als ich in die Schule kam, wurde ich gefragt, was ich sein will, wenn ich groß bin. Ich schrieb ‚fröhlich‘. Sie meinten, ich hätte den Arbeitsauftrag nicht verstanden. Ich sagte ihnen, sie hätten das Leben nicht verstanden.“
Dem bleibt nichts hinzuzufügen, und so setzen wir hier fröhlich einen Punkt.