Ich und die Beatles (2)

Lange Haare

Foto: sxc.hu

Foto: sxc.hu

Ja, die Beatles, sie waren zu meiner Schulzeit, Ende der 60er, mein großes, vierfaches Vorbild! Nicht nur ihre Musik und ihre zwischen Sinn und tiefem Unsinn schwankenden Songtexte waren fantastisch, bei den Fabulous Four stimmte einfach alles. Auch ihr Aussehen war perfekt, denn sie trugen ja lange Haare. Auf so etwas Geniales wäre ich von selbst nicht gekommen.

Meine Eltern und Lehrer fanden dies jedoch weniger toll. „Guck mal, so hat eine ordentliche Frisur auszusehen! Die Ohren und der Nacken müssen frei bleiben, wie bei mir“, belehrte mich mein düster dreinblickender Vater, wenn meine Haarlänge ihm zu missfallen begann. Doch es gab für mich nichts Erstrebenswerteres als ohren- und nackenbedeckendes Haar, und so konnte ich kaum erwarten, in Temeswar auf die Uni zu kommen, um dort meine Beatles-Gesinnung sichtlich zu machen.

Aber auch auf staatlicher Ebene war langes Haar ein Tabu, es war laut Staatspropaganda abartig, und wer es trug war angeblich arbeitsscheu. Der neue kommunistische Mensch hatte seine Heldentaten zum Wohle der Arbeiterklasse mit ordentlicher Frisur, also mit kurzem Haar, zu vollbringen. Und so mussten wir, die Studenten, unsere Haare im Versteck der erhobenen Jackenkragen gedeihen lassen, was aber nichts brachte. Die Polizei sammelte die Langhaarigen immer wieder ein, anhand eines durch die Stadt kurvenden Kleinbusses mit vergitterten Fenstern, und so brachte man auch mich alle paar Monate zum Frisör, wo man mir einen Kurzhaarschnitt verpasste, der sich im Einklang mit den Idealen des Kommunismus befand. Zum Nulltarif, denn was tat der Staat nicht alles, um dem neuen sozialistischen Menschen ein menschenwürdiges Outfit zu verleihen.

Ja, das war das tragische Schicksal eines jeden Langhaarigen: So wie der Weg allen Fleisches im Grabe endet, endeten seine Wege eines Tages unausweichlich in einem Frisörsalon.

Lediglich mein Kommilitone Kamo kam ungeschoren davon. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er kannte einen Filmregisseur in Bukarest, der ihn einen Sommer lang in einem historischen Streifen mitspielen ließ, als Komparse. Die Handlung spielte im Mittelalter. Kamo musste als Leibeigener eines Grafen zwei, drei Mal durch das Bild huschen, und das Drehbuch erforderte für seinen Auftritt lange Haare. Und dazu übrigens auch noch einen Vollbart. Aber der Requisiteur verfügte über lediglich ein Dutzend Perücken, die jedoch bereits alle an die restlichen Leibeigenen aus dem Film verteilt worden waren. Man bestellte zusätzliche Perücken, doch der restlos überforderte sozialistische Handel konnte noch nicht einmal die für den Markt erforderlichen Grundnahrungsmittel liefern, geschweige denn Perücken für historische Filme. Und so durfte, bzw. musste Kamo also seine Haare lang wachsen lassen, und auch seinen Bart. Dafür hatte er sogar einen offiziellen Wisch bekommen, mit dem Stempel des Filmstudios Bukarest, vom Zweitregisseur persönlich unterschrieben. Der Text lautete folgendermaßen:

„Berechtigung zum Tragen von langem Haar und Vollbart
Genosse Kamocsa Béla mit Wohnsitz in Temeswar spielt mit in unserem historischen Film ‘Die Mitgift der Prinzessin Ralu’ und ist daher verpflichtet, lange Haare und Vollbart zu tragen. Wir fügen hinzu, dass er dadurch keineswegs berechtigt ist, eine asoziale Haltung einzunehmen, weder auf der Straße noch an seiner Arbeitsstätte.“

Der Glückliche hatte es gut erwischt! Eines Tages machte sich Kamo einen Jux daraus, vor der Polizeidienstelle so lange hin- und her zu marschieren, bis man ihn schroff ins Gebäude bat, um ihm Fragen zu seiner abartigen Frisur zu stellen, worauf er ganz locker seinen Ausweis aus Bukarest herauskramte. Es sei ihm eine große Freude gewesen, das heruntergefallene Kinn des seinen Ausweis begaffenden Polizisten zu betrachten, wie er mir danach voller Stolz erzählte, während wir uns beide halbtot lachten. Ja, so war das damals, auch haarige Angelegenheiten konnten einem reichlich Spaß machen!

Und wie sieht es heute aus? Ich war kürzlich in Temeswar und sah, dass dort nun so gut wie alle Jungs mit kurzen Haaren herumliefen, und zwar freiwillig. Und auch in Düsseldorf sieht es leider nicht anders aus. Nur mein Freund Gerd aus Köln trägt noch seine alte, rebellische Hippie-Mähne. Sie ist zwar schon längst schlohweiß, doch das hat den Vorteil, dass Gerd nun für seinen Enkel den Weihnachtsmann machen kann, ganz ohne Perrücke. Meine Freunde Thomas, Matthias und Danko hingegen haben jede Form der haarigen Jugendrebellion schon längst aufgegeben. Nachdem sie alle auf dem Markt vorhandenen Haarwuchsmittel ausprobiert haben, tragen sie nun eine Glatze und trällern frustriert vor sich hin: Yesterday, all my troubles seemed so far away... Ach, die Beatles, sie sind immer noch voll da!