„In der Gesellschaft hat sich viel Hass angestaut“

Medientagung der Deutschen Botschaft: „Die Rolle der Massenmedien im Superwahljahr 2024“

Das Superwahljahr naht: 2024 stehen gleich vier Urnengänge an – Lokalverwaltung, Europaparlament, Parlament und Präsidentschaft. Die Herausforderung: Viermal eine informierte Entscheidung treffen. Viermal Manipulationsversuchen, Hetze und Fake News in sozialen Medien ausgesetzt sein. Doch wie informiert man sich richtig? Die Medienlandschaft ist riesig, seriöse Medien in der Masse kaum sichtbar. Für die Jugend haben Zeitung, Radio und Fernsehen als Info-Quelle  längst ausgedient, man guckt TikTok, liked auf Instagram. Doch das sind meist nicht die Kanäle, auf denen freier, seriöser Journalismus Information bereitstellt, diskutiert oder Fake News demontiert.

Mit diesem Dilemma vor der Befürchtung, dass sich populistische, extremistische Strömungen in der EU noch weiter verstärken, befasste sich die neunte Medienkonferenz der Deutschen Botschaft in Kooperation mit der Deutschen Welle (DW), die am 2. November im Bukarester Goethe-Institut stattfand. In Impulsvorträgen, Panel-Diskussionen und einer Frage-Antwort-Runde wurden vorwiegend Alarmsignale gesendet: Noch nie war die Demokratie so gefährdet. Statt öffentlicher Diskussionen wird  Hass geschürt. Fake News und politische Manipulation spielen eine subversive Rolle. Soziale Medien können mit einer einzigen Nachricht einen wütenden Mob mobilisieren. Dies alles vor dem Hintergrund zweier Kriege und der Gefahr einer Eskalation.

Bewährtes Info-Tool in Deutschland: der Wahl-O-Mat

„Demokratie lebt von Information und Beteiligung“, plädiert der deutsche Botschafter, Dr. Peer Gebauer. Medien geben den Wählern die Möglichkeit, fundierte Entscheidungen zu treffen, leisten einen Beitrag zur Meinungsbildung durch Kommentare und vielfältige Stimmen. Als Beispiel für standhaften Journalismus in Rumänien nennt er den Skandal um die Gazeta Sporturilor: Dutzende Redakteure wehrten sich gegen die Einmischung der Geschäftsführung in die journalistische Tätigkeit zugunsten von Spiel- und Wettsalons… (die ADZ hat berichtet). 

Als nützliches Tool, um auch Erstwähler an die Urne zu locken, nennt er ein bewährtes Instrument aus Deutschland: den Wahl-O-Maten. 2002 von der Bundeszentrale für Politische Bildung (bpb.de) ins Leben gerufen, hat sich der Wahl-O-Mat zu einer festen Informationsgröße etabliert: Über 115 Millionen Mal wurde das online Frage-und-Antwort-Tool im Vorfeld von Wahlen konsultiert. Mittels 38 Themenkomplexen wie Ukraine-Finanzierung, Migrationspolitik, Frauenquote, Radwege, Wohneigentum, Besteuerung, Umweltschutz etc., und der Möglichkeit einer Gewichtung bestimmter Themen kann der Nutzer innerhalb weniger Minuten ermitteln, welche Partei der eigenen Gesinnung am nächsten steht.  Der Wahl-O-Mat errechnet dann den Grad der persönlichen Übereinstimmung. Wichtig: Mitmachen dürfen alle zur Wahl zugelassenen Parteien.

Noch nie stand Demokratie so stark unter Druck

Zwei schlechte und eine gute Nachricht stellt der Moderator des Diskussionspanels „Unterstützung der Bevölkerung zur informierten Meinungsbildung im Vorfeld der Wahlen durch Massenmedien vor dem Hintergrund der Gefahr der politischen Manipulation“, Ion Ioni]², Chefredakteur der Adev²-rul, in Aussicht. Erstens: Die Lage mit zwei Kriegen sei extrem gefährlich hinsichtlich einer Ausbreitung. Zweitens: Die soziale und politische Situation sei mit den 1930er Jahren vergleichbar, als der Faschismus aufkam und der Zweite Weltkrieg ausbrach. Noch nie seien Demokratie und Menschenrechte weltweit derart unter Druck geraten durch extremistische, populistische Bewegungen und Manipulation. Noch nie seien Fake News und gezielte Hetze in diesem Ausmaß eingesetzt worden. Als Beispiel nannte er den Vorfall von Ende Oktober in Dagestan, einer islamisch geprägten russischen Republik im Kaukasus, wo ein wütender Mob ein Flugzeug mit israelischen Flüchtlingen angegriffen hatte. Der Aufruf zum gewalttätigen Protest wurde über Telegram-Kanäle verbreitet. Es gab mehr als 20 Verletzte und „nur mit Glück keine Todesopfer“, so Ioni]². Und mahnt: „Demokratie muss jede Minute verteidigt werden!“

Und die gute Nachricht? Die gibts nicht, meint er trocken. „Die Flasche Bier von der Botschaft“, scherzt er, mit Verweis auf die Besuchertüten mit Werbe-Bier für die Fußballeuropameisterschaft 2024 in Deutschland...

Fake News: Echte Gefahr seit der Pandemie

Die Rolle der DW, seit neun Jahren Partner der deutschen Botschaft bei der jährlichen Medienkonferenz, erklärt Marcel Fürstenau aus Berlin. Finanziert aus Steuergeldern, kontrolliert von einem politneutralen Aufsichtsgremium, informiert sie nach Artikel 5 des Grundgesetzes zur Pressefreiheit ohne Zensur ihre Zielgruppe im Ausland über Deutschland als „EU- und Kulturnation“, als „Rechtsstaat“, der den Austausch der Kulturen und die deutsche Sprache fördert – „wir sind ein journalistisches Goethe-Institut“. 

Fürstenau betont die Bedeutung der Neutralität der Aufsicht für öffentlich-rechtliche Medien, verweist auf ein spektakuläres Urteil von 2014 auf die Klage, im Aufsichtsgremium des Senders ZDF säßen „staatsnahe“ Mitglieder. Die Rundfunkabgabe ermögliche diese Unabhängigkeit; erbitterter Gegner derselben sei die rechtspopulistische, rechtsextremistische AfD, die den Begriff „Lügenpresse“ geprägt hat und weiter damit hetzt.

Die Zugriffszahlen der DW sprechen für sich: aktuell 320 Millionen Userkontakte pro Woche, 10 Prozent mehr als im Vorjahr, vermutlich der Zuspitzung der Weltlage zu verdanken. Inzwischen sind 80 Prozent des Contents Videofilme, meist kurze „Explainer“. Die meisten Zugriffe erfolgen in den Sprachen Englisch, Spanisch und Arabisch. Die Inhalte der DW dürfen übrigens von anderen Redaktionen übernommen und angepasst werden.

Seit 2020 verfügt die DW über ein zwölfköpfiges Team zum Faktencheck, dies nach einer Untersuchung zum Einfluss von Fake News im Jahr 2017, als man wissen wollte, ob die Bundestagswahlen davon beeinflusst waren. „Damals spielten sie aber, im Gegensatz zu den USA, noch keine große Rolle“. Was sich seit der Corona-Pandemie deutlich geändert hat, betont Fürstenau. Das Faktencheck-Team sei übrigens „für jeden erreichbar“ und arbeite auch interaktiv (www.dw.com/de/faktencheck/t-56578552). Fürstenau räumt aber auch ein, Faktencheck sei kein Allheilmittel: Ein gewisser Teil der Bevölkerung sei nicht zu überzeugen, weil man „nichts anderes glauben will“. 

Auch andere Medien bieten inzwischen öffentliche Faktenchecks an, so ein Einwurf aus dem Publikum: etwa der Faktenfuchs des Bayrischen Rundfunks, den man unter faktenfuchs@br24.de anschreiben kann. Zu überprüfende Behauptungen werden an  Experten geschickt, in „wahr“ und „nicht wahr“ zerlegt und auch auf Social Media gepostet. (Anm. Red.: Plattformen in Rumänien: factual.ro, antifake.ro, Newsletter „Misreport“)

Eine Herausforderung ist auch für die DW das Erreichen der Jugend: Laut einer durchgeführten Umfrage liest diese kaum Zeitung, digitale Strategien seien essenziell. So pflegt auch DW diverse soziale Kanäle. „Aber“, warnt Fürstenau, „damit macht man sich wieder abhängig von Konzernen wie Google, TikTok, Meta.“

Fürstenau präsentiert die aktuellen deutschen Zahlen zur Demokratiezufriedenheit in Deutschland: Nur 7,3% sind sehr zufrieden, immerhin 41,4% zufrieden, 34,1% sind weniger zufrieden. Alarmierende 17,2% zeigen sich völlig unzufrieden - Protestwählerpotenzial? 

Interessant auch die Statistik über die Beteiligung an den Bundestagswahlen: 2021 waren es 76,6%, 2009: 70,8%, 1990: 77,8% und 1972: 91,1% - Tendenz seit 2013 wieder steigend, möglicherweise im Zusammenhang mit der Gründung der AfD im Jahr 2013 und ihrem Einzug in den Bundestag 2017, mutmaßt der Journalist.

Presse als PR-Instrument der Lokalverwaltung

„Gestern hat die Sportzeitung Gazeta Sporturilor aufgehört, als Printmedium zu existieren, weil sich die Journalisten nicht beeinflussen lassen wollten“, beginnt auch Cristina Lupu, Direktorin des Zentrums für unabhängigen Journalismus (CJI), eine seit 28 Jahren mit Demokratieschutz und Journalismus befasste NGO in Rumänien, ihren Diskurs. Doch solche Einflussnahme seitens des Besitzers, fährt sie fort, sei in der Lokalpresse gang und gäbe. „Dabei brauchen wir seriöse Lokaljournalisten, denn sie sind die ersten, die etwas erfahren.“ 
In Rumänien seien öffentliche Zuwendungen für die Presse gering, Finanzierung geschehe über die Kombination von Werbung, Parteiengelder und Zuwendungen der Lokalverwaltung. So manches Medienprodukt sei daher maskierte Werbung, die Presse ein Vehikel zum Kauf der öffentlichen Meinung. „Viele journalistische Produkte sind eigentlich PR-Instrumente der Lokaladministration.“ In Kooperation mit der deutschen Friedrich Naumann-Stiftung wurde 2020 ein Bericht zur Lage der Medien in Rumänien erstellt: „Starea Mass media in România“. Ihr Fazit: „Es gibt so viel schlechten Journalismus in Rumänien, dass man den ehrlichen nicht sieht.“ 

Außerdem räumt Lupu ein, auch das CJI müsse eine Kommunikationsform finden, die die Jugend nutzt. „Ich habe kein Tiktok - und damit bin ich, egal was ich sage, von vorne herein eine langweilige Oma.“ Immerhin seien die Medienkompetenz-Trainings für Lehrer ein Erfolg: „Sie lesen unsere Produkte weiter und geben uns Likes.“ Um die Wirkung solcher Bildungsmaßnahmen auf die Schüler zu testen, werden diese vorher befragt. Kein Witz ist die folgende Antwort eines Kindes zum Thema Journalismusfinanzierung, sie erfolge „durch Erpressung von Leuten, über die man dann nicht schreibt“...

Koalition hat Schweigen der Mainstream-Presse erkauft

Mit zwei guten Nachrichten und einer katastrophalen wolle Cristian Pantazi, Chefredakteur des Online-Mediums G4Media, seinen Impulsvortrag beginnen. Erstens: „Wir sind hier. In anderen Ländern ist so etwas viel schwerer möglich. Wir können über Lösungen diskutieren.“ Zweitens: Egal wie schlecht auch die schlechte Nachricht sei, „Rumänien hat Ressourcen, im letzten Moment gegen Autoritarismus zu kämpfen“. Es gebe seriöse Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen und ethischen Regeln folgten. Nun aber die katastrophale Nachricht: „Die Desinformation ist so stark, dass man bis zu den Wahlen nichts zurechtrücken kann.“

Was Pantazi besonders anprangert, ist das Schweigen der Mainstream-Presse zu Vorgängen, die dringend diskutiert werden müssten. Beispiel: Das Verteidigungsministerium hat einen neuen militärischen Geheimdienst vorgeschlagen. „Sowas führt normalerweise zu großen Diskussionen, das ist normal, aber diese Debatte fehlte in Rumänien“. Eine „schwere Distorsion“, meint er. „Denn das bedeutet, dass es einen Mechanismus gibt, der das Schweigen der Mainstream-Presse kauft.“ Die Ursache für die fehlende Diskussion sieht der Journalist in der Regierungskoalition. Denn wo Rechts und Links als Gegner aufeinanderprallen, hat die Presse viel zu tun! Die Koalition aber führe dazu, dass beide Parteien am Schweigen interessiert seien. Themen, die die Koalition stören, würden gemieden - „das ist extrem gefährlich!“ Wie man das reparieren könne? - „Keine Ahnung!“

Die ständige Wahlbehörde AEP, der Hörfunk- und Fernsehrat (CNA), könnten nicht viel unternehmen, solange die Leitung politisch unterstützt sei. Doch wenn die Mainstream-Presse die politischen Entscheidungen nicht diskutiert, fehlen dem Bürger die nötigen Informationen für die Wahlen, kritisiert Pantazi, der zum Schluss dann doch noch eine gute Nachricht liefert: Der unerwartete Erfolg der unabhängigen Presse, die nicht politisch, sondern durch Abos, Spenden und Werbung finanziert wird, wie G4media und wenige andere - zeigt: Sie hat einen Platz auf Rumäniens Medienmarkt! 

Wir brauchen diese öffentliche Debatte!

Es braucht diese offene Debatte in der Gesellschaft, bekräftigt auch Ion Ioni]². Als Beispiel nennt er die dringend nötige Diskussion über die Einschränkung der Barzahlungen zur Vermeidung von Geldwäsche. Ein Thema, das die Menschen bewegt, denn aus verschiedenen Gründen lehnen manche die bargeldlose Zahlung ab. Weil die Mainstream-Presse dazu schweigt, hat statt dessen die AUR das Thema „besetzt“. 

Ein weiteres Beispiel kommt aus dem Publikum: „Das Gesetz, das unsere Kinder stiehlt“, behauptete die AUR vollmundig – „ein Körnchen Wahrheit und der Rest ist Manipulation, denn in dem Gesetz steht ja schon in der Überschrift, dass es um die Prävention der Entfernung von Kindern aus Familien geht!“, erbost sich eine Digi24-Journalistin.

„Wenn die Debatte nicht in den Medien geführt wird, brodelt sie im Untergrund, angeheizt von radikal-extremistischen Kreisen“, warnt Ioni]². Und: „In der Gesellschaft hat sich viel Hass angestaut.“ Dann, formuliert er ganz, ganz vorsichtig, könne Rumänien eine böse Überraschung erleben – eine „Abweichung vom Trend der letzten 30 Jahre“...