Jahrelange Forschung ignoriert

Eine Replik auf die Rezension von „Hans Bergel. Immer auf Rumänien zurückblickend“

Eine Wortmeldung zur Rezension: „20 Lebensjahre ungeschriebener Bücher auf dem Altar der siebenbürgischen Tradition geopfert. Rezension des Buches ‚Hans Bergel. Immer auf Rumänien zurückblickend‘ und Hommage“ von Cristiana Scürlütescu

Am 23. Juni 2023 erschien unter dem Titel „20 Lebensjahre ungeschriebener Bücher auf dem Altar der siebenbürgischen Tradition geopfert“ in dieser Zeitung eine Rezension von Cristiana Scărlătescu. Viel wäre zu diesem Text zu sagen, auf zwei Sachverhalte möchte ich den Fokus lenken: Das Buch „Hans Bergel. Privind mereu spre România“ ist eine Quellenedition, die aus Geheimdienstakten aus dem Umfeld Hans Bergels und einem längeren Interview mit dem im vergangenen Jahr Verstorbenen besteht. Bei beiden Arten von Quellen, den Securiate-Akten auf der einen und der persönlichen Erzählung auf der anderen Seite, handelt es sich um unbedingt kritisch zu betrachtende Texte. Schon im ersten Absatz seines Vorworts verweist Florian Kührer-Wielach darauf, wenn er schreibt: „În această carte se întâlnesc două forme de narațiune biografică, ce se dovedesc a fi deosebit de provocatoare pentru istoric. Astfel, pe de o parte avem nara]iunea unei vieți ‘rupte’ de o serie de evenimente, așa cum se reflectă ea în dosarele Securității, iar pe de altă parte, în contrast, o poveste de viață extrem de personală, structurată de întrebările unui interviu, dar liberă în formularea răspunsurilor.“ (dt. „In diesem Buch treffen zwei Formen der biografischen Narration aufeinander, die sich für den Historiker als besonders herausfordernd erweisen. Einerseits stellt sich die Erzählung eines Lebens von den durchweg niederen Motiven, die den Dosaren der Securitate zugrunde liegen, gebrochen dar. Dem wird eine höchstpersönliche Form der biografischen Erzählung entgegengestellt: das Lebensinterview, zwar strukturiert von den Fragen des Interviews, aber höchst frei in der Formulierung der Antworten.“)

Hans Bergels Biografie wurde, wie die vieler seiner Zeitgenossen, durch die Ereignisse und Brüche des 20. Jahrhunderts geprägt: Nationalsozialismus, Krieg und Nachkriegszeit, Kommunismus, Verhaftung und Verurteilung in politisch motivierten Prozessen haben tiefe Spuren in seinem Leben und seinem Werk hinterlassen. In Interviews und autobiografischen Texten hat sich Bergel wiederholt dazu geäußert. Dass diese Äußerungen ein eigenes Narrativ haben, welches nicht zwingend wissenschaftlich fundiert sein muss, liegt in der Natur der Textart „Autobiografie“ begründet. Kührer-Wielach verweist hierauf, wenn er weiterhin schreibt, Hans Bergel „hat sein Leben selbst erzählt“ („ți-a povestit el însuți viața“). Autobiografische Erzählungen, und das sei hier unterstrichen, sind keine historisch-wissenschaftlichen Texte, genauso wenig, wie in Geheimdienstakten „die Wahrheit“ stehen kann. 
Es bedarf also im Umgang mit diesen Quellen ihrer historisch-wissenschaftlichen Verortung und kritisch-distanzierten Sichtung, die ein Mindestmaß an Reflexionsvermögenvoraussetzt. Genau dieser Vorgang ist nun wiederum, und hier komme ich zum zweiten Punkt, in Bezug auf das Narrativ „Eginald Schlattner verrät Hans Bergel“ wiederholt und mit Nachdruck geschehen. Unter anderem William Totok, Corina Petrescu und ich haben den Fall ausführlich und auf Grundlage eines breiten Quellenfundaments beleuchtet. 

Mehrfach wurde entsprechend da-rauf hingewiesen, dass die These, Hans Bergel sei, wie es Scărlătescu formuliert, „anhand des Zeugnisses von Eginald Schlattner zusammen mit vier anderen (…) zu 15 Jahren Zwangsarbeit verurteilt“ worden, nicht zutrifft. Genauer gesagt: Die Aussage ist nicht nur stark verkürzt, sondern schlichtweg falsch, was ein Blick in die Forschungsliteratur der vergangenen Jahre sofort gezeigt hätte. Es stellt sich hier zudem die Frage, warum die Autorin der Rezension Eginald Schlattner in das Zentrum einer Aussage rückt, die dieses Punktes gar nicht bedurft hätte. Warum werden Antipoden aufgemacht, die genau genommen gar keine sind? 

Denn, und für diese Information hätte eine einfache Suchmaschinenabfrage gereicht, Schlattner ist selbst ein mehrfach anerkanntes Opfer des Kommunismus. Auch er war inhaftiert und verurteilt und konnte – übrigens im Gegensatz zu Hans Bergel – erst nach 1990 wieder Texte veröffentlichen. Zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben entsprechende Akten aus den Archiven der Securitate ausführlich ausgewertet. Die seit den 1950er-Jahren kursierenden Gerüchte um eine angebliche Securitatemitarbeit Eginald Schlattners haben sie widerlegt. Und so ist es grob fahrlässig, wenn diese ganz offensichtlich jeder Grundlage entbehrende Behauptung 2023 reproduziert und erneut in die Öffentlichkeit gebracht wird.