„Kulturelle Vielfalt ist Freiheit“

ADZ-Gespräch mit Dr. Joachim Umlauf, Leiter des Goethe-Instituts Bukarest

Wie bereits berichtet, steht dem Goethe-Institut Bukarest ein neuer Direktor vor: Dr. Joachim Umlauf leitete die Institute in Paris, Lyon und Marseille, bevor er vor wenigen Wochen Dr. Evelyn Hust in Bukarest ablöste, die ihrerseits nach Budapest ging. Nach seinem Studium der Germanistik und Romanistik und seiner Promotion 1993 in romanistischer Literaturwissenschaft war er für den DAAD als Lektor sowie in der Zentrale in Bonn tätig, bis er 2005 die Leitung des Goethe-Instituts in Amsterdam übernahm. Daneben fungierte er als Herausgeber zahlreicher literatur- und kulturwissenschaftlicher Publikationen und war als Gastprofessor an verschiedenen Universitäten in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Italien tätig. Wie dieser sehr europäische Lebensweg sich auf die Arbeit des Goethe-Instituts in Bukarest niederschlägt, über seine ersten Eindrücke und Pläne erzählt Joachim Umlauf im Interview ADZ-Redakteurin Veronika Zwing.

Herr Umlauf, Sie sind erst vor wenigen Wochen nach Bukarest gekommen – wie ist Ihr erster Eindruck der Stadt?
Ich war zuvor nur zwei-, dreimal in Rumänien – ich möchte also betonen, dass das wirklich „erste“ Eindrücke sind, ich kenne das Land und die Stadt noch nicht sehr gut! Wenn man wie ich lange in Frankreich war, dann muss man sich natürlich erst einmal an das heterogene Stadtbild gewöhnen: Es gibt wenige Ecken, wo Sie einheitliche Architektur haben, wie beispielsweise die der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris. Doch dies hat auch seinen Reiz. Man bemerkt natürlich auch gesellschaftliche Probleme, wie die Restitutionspolitik, oder den Verkehr, gerade hier im Innenstadtbereich. Ich habe selten in einer Großstadt so viele teure, große Autos gesehen wie hier in Bukarest, was auch auf eine gewisse gesellschaftliche Verfasstheit hinweist – dass für bestimmte Leute Autos sehr wichtig sind. Das haben wir auch in Deutschland, aber wenn man sich dann das Durchschnittsgehalt des Rumänen anschaut, ist man doch etwas erstaunt. Ich vermute auch, dass zum Teil in den ländlichen Gebieten ein ganz anderer Lebensstandard herrscht als in den Städten. Zumindest hier im Zentrum können Sie Ihren Cappuccino trinken, in Restaurants mit internationaler Küche gehen – genau wie in allen großen europäischen Städten.

Konnten Sie sich bereits ein Bild von der lokalen Kulturszene machen?
Mein erster Eindruck ist sehr gut, ich finde es sehr anregend hier. Schon nach wenigen Wochen wird einem klar, dass es hier eine andere Ausgangssituation als in West-europa gibt: Die Kulturszene ist lange nicht so saturiert.
Die Kulturschaffenden haben nach meinem Dafürhalten in der Regel nicht die gleichen finanziellen Möglichkeiten wie in westeuropäischen Staaten, dazu kommt, dass ja in Bukarest eine Reihe von Kulturorten vor einiger Zeit aus Sicherheitsgründen geschlossen worden sind. Wir können uns deshalb vor Anfragen auf Bespielung unserer schönen neuen Räumlichkeiten kaum retten. Das ist sehr positiv, man kann aus einer Vielzahl möglicher Partnerschaften aussuchen.
Die Kulturszene ist sehr jung, viel Neues ist im Entstehen – und das ist eigentlich unser Fokus. Es ist ja so, dass wir zumeist bei den richtig großen Festivals, die mit den entsprechenden Finanzmitteln ausgestattet sind, kaum mitarbeiten, sondern eher schauen: Was ist im Entstehen, und inwiefern macht es Sinn, aus der deutschen Kulturszene interessante Aspekte hinzuzufügen?

Planen Sie auch Kooperationen mit beispielsweise Kulturvereinen der deutschsprachigen Minderheit?
Da gibt es häufig ein Missverständnis – ich werde oft gefragt „Richtet sich das Goethe-Institut an die Deutschen?“ – aber das ist nicht das eigentliche Zielpublikum, sondern alle, die vor Ort leben.
Hier in Rumänien gibt es aber eine besondere Situation durch die Strukturen, die die deutschsprachige Minderheit hervorgebracht hat, und das Goethe-Institut bekommt deshalb auch Finanzmittel, die dafür gedacht sind, Infrastrukturen durch Deutschlehrer-Ausbildung oder die deutschsprachigen Studiengänge zu stärken. Davon profitieren die Angehörigen der Minderheit, aber natürlich nicht nur sie.

Wie schätzen Sie diese Infrastrukturen in Bezug auf Deutschlernen und -lehren ein?
Stichwort DeutschlehrerInnen (und ich betone das „Innen“!) – das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil es wie in vielen Ländern auch hier eine Krise bei den Lehrberufen gibt: Wir haben häufig einen höheren Bedarf, als durch die Lehrkräfte erfüllt werden kann, auch teils an unserem Institut hier; die zweite Herausforderung ist natürlich die Ausbildung und deren Qualität. In vielen Ländern hat der Beruf an Prestige verloren. Und gerade in den ehemals sozialistischen Ländern sind auch die Gehaltsgefüge sehr schwierig, man verdient erfahrungsgemäß in der freien Wirtschaft viel besser. 
Über unsere Bildungsabteilung gibt es viel und enge Zusammenarbeit, Lehrkräfte werden geschult und fortgebildet. Aber das muss vielleicht noch intensiviert werden.

Gibt es noch weitere Herausforderungen auf dem Gebiet der Sprachkurse am Goethe-Institut?
Für die größte Herausforderung halte ich die gute Mischung aus Online-Elementen und sogenannten Präsenzkursen: Einer-seits gibt es immer mehr internetbasierte Programme und Applikationen zum Sprachenlernen, und dann gibt es die Übermacht des Englischen, die es (nicht nur) dem Deutschen schwer macht. 
Das Goethe-Institut bietet deshalb nicht nur Kurse und die dazugehörigen Prüfungen auf allen Niveaustufen an, sondern in letzter Zeit mit Erfolg auch sogenannte Hybrid-Kurse. Das heißt, dass Sie zuhause mit Online-Elementen lernen und nur ab und zu ins Institut kommen, das ist natürlich gerade in einer Stadt wie Bukarest mit dem bekannten Verkehrsproblem eine interessante Variante.

Sie sind also ein Verfechter von Online-Sprachkursen?
Dass man eine Sprache ausschließlich Online lernen kann, ist meines Erachtens eine Illusion – die Lehrkraft, die Gruppe sind notwendig zur Interaktion und emotionalen Teilnahme. Wie das in Zukunft aussieht, was die Möglichkeiten der Mischungen sind, wie das eine zum anderen passt, das ist, denke ich, die große He-rausforderung für solche Institute wie unseres, aber nicht nur für uns, auch für die Franzosen, die Spanier – wie gestalten wir das zukünftig? 
Das, würde ich zusammenfassend sagen, sind für mich die beiden großen Zukunftsfragen für die deutsche Sprache – es zu schaffen, den Deutschlehrerberuf attraktiver und erfolgreich zu machen, zum anderen die richtige Mischung aus online-basierten und Kursen im Klassenraum anzubieten.

Wie sieht es mit dem Kulturprogramm aus – welche Pläne haben Sie in diesem Bereich?
Mein Ziel ist es zunächst, dass das Institut, nachdem es in der Vergangenheit mehrmals umgezogen ist, hier weiter etabliert wird, dass die Calea Doroban]i 32 auf der kulturell-intellektuellen Landkarte der Stadt Bukarest präsent und nicht mehr wegzudenken ist. Neben den sehr funktionalen und ansprechenden Räumlichkeiten habe ich den Vorteil, dass man als Leiter eines Goethe-Instituts eine relativ große Gestaltungsfreiheit hat und nicht, wie manche andere Kulturinstitute, durch große Programmlinien beschränkt ist. In diesem Sinne ist es angeraten, die Arbeit der Vorgänger fortzuführen und dann selber Akzente zu setzen. Insbesondere die Stärkung der Zivilgesellschaft durch Kultur liegt mir dabei am Herzen.

Wird es in Zukunft Schwerpunkte geben, inhaltlich oder im Sinne einer bestimmten Kunstform?
Was die allgemeine Orientierung angeht, da bin ich ein Anhänger des Eklektischen: Man kann alles mal ausprobieren, vom Konzert über Theater, Tanz und Literatur, und es müssen auch nicht nur die neuen Sachen sein, es kann auch durchaus mal etwas Traditionelles sein, wie Konzerte und Lesungen.
Wichtig ist mir dabei, den Partnern vor Ort zuzuhören, herauszufinden, was deren Bedürfnisse sind – wir arbeiten ja nicht im luftleeren Raum. Und dann würde ich sagen, die Herausforderung ist, die richtige Mischung hinzubekommen aus Nachfrage-orientiertem Verhalten – welche Festivals wollen mit uns zusammenarbeiten, sind das gute Festivals, lohnt sich die Zusammenarbeit – und den Akzenten, die man selbst setzen möchte.

Welche Partner hier in Bukarest werden das in nächster Zeit sein?
Im Moment beispielsweise planen wir mit dem neuen Museum MARe (Anm. Muzeul de Artă Recentă) eine große Aktion mit dem international renommierten Performance-Künstler Tino Sehgal, und nächstes Jahr ist der 100. Geburtstag von Paul Celan – da wird es eine Zusammenarbeit mit der Universität Bukarest geben.
Jubiläen großer Gestalten des kulturellen Erbes sind oft Schnittstellen, aus denen sich Zusammenarbeit ergibt – nächstes Jahr ist Beethoven-Jahr, und da wird es mehrere Projekte mit dem Österreichischen Kulturforum und der „Klangwoche“ geben. Ganz wichtig ist mir dabei, dass wir so etwas als Aktualisierung gestalten – es ist überhaupt nichts dagegen einzuwenden, zwei, drei Konzerte mit Musik Beethovens zu veranstalten. Aber wir fragen uns dann – wie schaffen wir es denn jetzt, Beethovens Thematiken, seine Kunst zu aktualisieren, auch für die jüngere Generation greifbar zu machen? Deshalb wird es unter anderem einen Wettbewerb namens „Quoting Beethoven“ geben: Es wird da-rum gehen, sich auf irgendeine Weise musikalisch auf ihn zu beziehen – es darf nur nicht die „normale“ Form mit klassischen Instrumenten sein. 

Gehen Sie auch bei der Auswahl der Kunstschaffenden nach dem Kriterium der Aktualität vor?
Ich sehe es als eine unserer wichtigsten Aufgaben an, hier noch nicht bekannte Akteure der deutschen Kunstszene zu fördern. Also, mit anderen Worten, wir würden wahrscheinlich, unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten, die Berliner Symphoniker nicht fördern, dafür aber vielleicht ein junges Ensemble, das gerade dabei bekannt zu werden und künstlerisch wichtig ist. Ob das dann sofort beim Publikum ankommt, weiß man im Vornherein nicht. Aber das ist unsere Aufgabe: Was der freie Markt regelt, brauchen wir nicht mehr zu fördern. Wir versuchen Kultur in einem weiten Sinn, was auch Populärkultur einschließt, hierher zu bringen, die wir für interessant und neu halten.

Sie arbeiten schon recht lange für verschiedene Goethe-Institute – gibt es dabei langfristige Entwicklungen, die Sie beobachten können?
Dazu gehört zum Beispiel, dass wir immer mehr zu einem Verständnis von Kulturarbeit mit gesellschaftlich-sozialer Orientierung kommen. Angesichts der aufstrebenden Populisten oder nationalistischen Bewegungen fühlen wir uns immer mehr verpflichtet, eine gewisse aufklärerische Wirkung zu haben. Beispielsweise haben wir ein Vorhaben in der Republik Moldau, bei dem junge Kulturjournalisten fortgebildet werden – mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft zu stärken. In solchen Projekten arbeiten wir übrigens eng mit den anderen deutschen Kulturzentren in Rumänien zusammen. 

Essentiell für unser Zusammenleben ist die Fähigkeit der Menschen, andere, die anders denken, anders geprägt sind, zu tolerieren und zu respektieren, Unterschiede als Chance und nicht als Gefahr wahrzunehmen. Auch kulturelle Vielfalt ist Freiheit – es ist wichtig, und das ist die Rolle ausländischer Kulturinstitute, Unterschiedliches zu präsentieren, verschiedene Formen und Haltungen zu präsentieren und nicht nur eine Sicht. Und zur Klarstellung: Natürlich verzichten wir nicht auf ästhetische Projekte ohne direkten gesellschaftlichen Zusammenhang, aber das zivilgesellschaftliche Engagement ist ein wichtiger Punkt.

Haben Sie selbst einen Grundsatz, nach dem Sie Ihre Arbeit gestalten?
Ich habe immer europäisch gearbeitet, nicht bilateral deutsch-französisch oder -rumänisch. Das heißt für mich zum Beispiel, hier im Verbund der Kulturinstitute zu arbeiten. Vor allem mit den Franzosen wird die Zusammenarbeit sehr eng, es wird bald weltweit 20 gemeinsame Kulturinstitute geben. Hier in Rumänien wollen wir auch ein mehrtägiges Festival mit dem Schwerpunkt „Afrika“ machen. Dabei wollen wir gemeinsam mit Rumänen und Franzosen ohne den vorherrschenden Alar-mismus einen Blick darauf werfen, was dieser Kontinent für konstruktive Dinge hervorbringt – kulturell, aber auch beispielsweise an Start-Ups.
Wichtig ist mir also nicht nur das Europäische, sondern wir müssen auch darüber hinausgehen – wir müssen uns mit dem Rest der Welt befassen, wenn wir nicht wollen, dass wir überall Mauern um uns herum bauen in Europa.