Kulturschock Restaurant

Bild: sxc.hu

Wenn ein Deutscher erstmals in einem Bukarester Lokal speist, erleidet er nicht selten einen Kulturschock. Es kann nämlich durchaus passieren, dass der sich angeregt mit seinem Gegenüber unterhaltende Gast, die Gabel mit dem letzten Bissen noch in der Hand, auf einmal seinen Teller nicht mehr vorfindet, weil ein übereifriger Ober ihn längst weggerissen hat. Vielleicht wollte er ja noch mit einem Stück Brot die Soße auftunken... doch halt, so was ziemt sich in Rumänien nicht! Gilt es hier doch eher als schick, noch etwas auf dem Teller zurückzulassen. Oder vielleicht hätte ihm seine noch essende Partnerin gerne einen Teil ihrer bereits schwer zu bewältigenden Portion angeboten? Besonders Ehepartner tauschen gerne untereinander Genusshäppchen aus: „Darf ich mal ein Stückchen Fisch kosten?“ „Magst du noch ein bisschen von meinem leckeren Spinat?“ Zu spät, denn – wohin damit? Für den verbleibenden Esser ist es zudem recht ungemütlich, den Rest des Mahls zu genießen, wenn einem der ungewollt Tellerlose von nun an gelangweilt aufs Maul starrt. Oder schon das Hauptgericht in sich hineinschlingt, wodurch sich das gelangweilte Anstarren um einen Gang nach hinten verschiebt. Ohnehin stellt die Synchronisation des Servierens der verschiedenen Hauptspeisen an einem Tisch eine schier nicht zu bewältigende Herausforderung für fast jedes Lokal dar. Meist ist der Erstbediente schon fertig, bevor der Letzte überhaupt seinen Teller bekommt. Oder die Zubereitungszeit des grünen Salats übersteigt aus unerfindlichen Gründen die der Lachs-Auberginen-Terrine mit Sahneklecks, Kirschtomaten und Ruccolagarnitur ums Dreifache.

Eine andere rumänische Merkwürdigkeit betrifft die Verwaltung der gemeinsamen Weinflasche. Die obliegt nämlich dem Kellner und nicht etwa dem zahlenden Gast. Um die Sabotage dieser Regel zu verhindern, deponiert er sie daher voraussehend so weit wie möglich vom Gast entfernt. Auf dem Servierwägelchen hinter der nächsten Säule, oder zumindest außerhalb der Armreichweite. Auch bestimmt allein der Ober den Weinkonsum eines jeden Gastes. Bei einer größeren Runde erhält auch derjenige ein Glas, der schon vorher kundtut, dass er nichts möchte. Beim Einschenken ist es ebenso. Die Gläser der Nichttrinker füllen sich, zumindest am Anfang, gleichermaßen wie die der Trinker, die den Wein eigentlich bestellt haben. Wem der Sinn nach einem süffigen Viertelchen steht, aber das Pech hat, seinen Tisch mit gelangweilten Genussnippern zu teilen, muss oft sehr, sehr lange warten, bis sein leeres Glas nachgefüllt wird – denn die anderen haben ja noch. Und das schon seit Stunden...

Erstaunte Blicke erntet man auch, wenn man sich mit jemandem eine Portion teilen möchte. Den Nachtisch etwa, den man – von Vorspeise und Hauptgericht längst übervoll – eigentlich nur noch aus geschmackspapillentechnischer Neugierde bestellt. Ein Rumäne würde das niemals tun. Es könnte ja als Geiz interpretiert werden, oder dass man sich keine zwei Portionen leisten kann! Außerdem gibt es hier keinen moralischen Zwang zum aufessen. Man darf ruhig ein Löffelchen Tiramisu probieren und den Rest elegant stehenlassen, weil man spontan entdeckt, dass Mascarponecreme eigentlich dick macht. So macht man das hier bei Neureichs, oder wenn man eingeladen ist.

Was die rumänische Seele aber zutiefst verwirrt, ist das getrennte Begleichen der Rechnung. „Auf deutsch bezahlen“, nennt man diese krasse Kuriosität hierzulande. Unter Deutschen ganz normal, vor allem dann, wenn man mit seinem Tischgefährten weder verheiratet noch ersten Grades verwandt ist und auch nichts Besonderes feiert, sondern lediglich in Gesellschaft mittagessen möchte. Und irgendwie angenehm, weil man sich keine Gedanken über eine Revanchegelegenheit machen muss, oder darüber, dass das bestellte Gericht den Geldbeutel des Einladenden sprengen könnte.

Andere Länder, andere Sitten. Und wer sich dem Kulturschock Restaurant nicht immer wieder aufs Neue stellen möchte, der macht es ganz einfach wie die meisten Rumänen: entspannt im Grünen picknicken und grillen!