Lebenselixier Milch?

Alte Mythen und neue Wahrheiten rund um die Kuhmilch

Das tägliche Glas Milch... gesund oder ungesund?

Fermentierte Milchprodukte gehören seit jeher zur balkanischen Esstradition.

Ist Kuhmilch für Erwachsene gesund – oder Teil einer wohlstandsbedingten Fehlernährung und damit Ursache zahlreicher Zivilisationkrankheiten? Ist  Milchunverträglichkeit eine Krankheit, kulturbedingt oder eher normal, denn Milch ist ja von Natur aus Babybnahrung? Müssen wir Milchprodukte reduzieren oder mit schlechtem Gewissen genießen, weil ihre Herstellung nachweislich den Klimawandel antreibt und landwirtschaftlich alles andere als nachhaltig ist? Viele Fragen, einige Antworten – und ein paar überraschende neue Erkenntnisse!

Seit einigen Jahren mehren sich skeptische Stimmen, die Milchprodukte als für Erwachsene ungeeignete Lebensmittel anprangern. Einige Studien suggerierten sogar eine ursächliche Rolle bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Stoffwechselstörungen oder gar Krebs. Ist Milch also tatsächlich eher ungesund?

Kein modernes Zivilivationsprodukt

Milch, Joghurt und Käse gehören seit 8500 Jahren nachweislich zum Speiseplan des Menschen. Auch in unseren Breiten waren sie schon den nomadischen Urvölkern bekannt. Die Thraker trugen milchgefüllte längliche Beutel aus Lammfell am Gürtel, denn zu Fermentierung von Joghurt ist Wärme nötig: mindestens 20 mollige Grad. Auch das Wort hat seinen Ursprung in der indogermanischen Sprache der Urbevölkerung des Balkans – und verweist auf seine Herstellung: „urd“ bedeutet Milch und „yog“ so viel wie schnittfest. 

Auch von den Dakern weiß man, dass sie viel mehr Käse, Molke und Milchprodukte verzehrten als Fleisch. Viele Getreide oder Gemüse wurden in Milch oder Molke gegart. Lucius Junius Moderatus Columella aus dem 1. Jh. n. Chr. bezeichnete sie gar als „Milchtrinker-Volk“. Größere archäologische Knochenfunde vor allem von Rindern, aber auch Schafen und Ziegen, scheinen dies zu bestätigen, so der Kulinarik-Experte Radu Popovici in seiner Artikelserie „Zu Tisch mit unseren Vorfahren“. Von dieser Vorliebe für Milchprodukte zeugen die rumänischen Worte „brânză“ (Käse) oder „zer“ (Molke) - mit eindeutig dakischer Herkunft. Von „urd“ kommt wahrscheinlich auch der „urdă“-Käse: die hiesige Version des aus erhitzter Molke gewonnenen Ricotta-Frischkäses.

Seit wann verträgt der Mensch Milch?

Milch ist von Natur aus Babynahrung. Nur trächtige Säugetiere produzieren Milch. 

Dennoch haben die Menschen im Laufe der Zeit die Fähigkeit, auch im Erwachsenenalter Milch zu verdauen, in unterschiedlichem Maße erworben. Während auf der Südhalbkugel und in Südostasien die meisten Menschen mit dem Erwachsenwerden diese Fähigkeit verlieren, ist der Prozentsatz der Milchverdauer in Europa und in kalten Gebieten, etwa der Mongolei oder Nepal, mit rund 85% deutlich höher. Hierfür ist das Enzym Laktase verantwortlich, das den Milchzucker zersetzt. Fehlt es, weil der Darm nach den ersten Lebensjahren die Produktion normalerweise einstellt, treten Beschwerden wie Durchfall, Blähungen und Bauchschmerzen auf. Man spricht von Laktoseintoleranz – keine Krankheit, sondern eigentlich der Normalzustand. 

Weil vergorene Milchprodukte keine Laktose enthalten – diese wird bei der Fermentierung aufgespalten – sind Joghurt, Käse und Co. aber auch für Erwachsene gut verträglich. Daher also der weit verbreitete Brauch der Fermentierung! 

Für diese benötigt man jedoch Wärme. Käse und Joghurt werden nichts in kalten Gefilden und so ist es dort ein evolutionärer Vorteil, Rohmilch zu vertragen. Vermutlich haben Hungersnöte einen entsprechenden Selektionsdruck ausgeübt, was das erhöhte Vorkommen milchverdauender Erwachsener in Kaltregionen erklärt. 

Doch die Symptome von Milchintoleranz sind lediglich unangenehm. Mit dem natürlich angeborenen Enzymmangel lässt sich nicht begründen, warum Milch angeblich generell krank machen soll.

Milch und Krankheit – die jüngsten Studien

Die Plattform ernaehrungsradar.de präsentiert den aktuellen Forschungsstand mit Angaben sämtlicher Studien, die allerdings meist Trinkmilch (Kuhmilch) und Milchprodukte wie Käse oder Quark gemeinsam erfassen. Die neuesten Daten geben Entwarnung: Milchprodukte schaden der Gesundheit nicht – im Gegenteil! In Bezug auf manche Krankheiten haben Milchtrinker sogar einen Vorteil. 

Der anfängliche Verdacht etwa, dass Milch den Stoffwechsel entgleisen lässt und das Metabolische Syndrom (hoher Blutdruck, gestörter Fettstoffwechsel, hohe Blutfette und Blutzuckerwerte mit Insulinresistenz) begünstigt, ließ sich nicht erhärten. Im Gegenteil: „Milch und Milchprodukte senken das Risiko für ein metabolisches Syndrom, zeigten große Übersichtsstudien“, heißt es dort. Und zur Rolle der Milch für die einzelnen Störungen innerhalb des Metabolischen Syndroms: „Menschen, die regelmäßig Vollmilch trinken, haben weniger häufig hohen Blutdruck, Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen.“

Milchfette schaden auch dem Herzen nicht

Ähnlich gute Nachrichten gibt es zu Herzinfarkt, Schlaganfall und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Obwohl Milchfett zu rund zwei Dritteln aus gesättigten Fettsäuren besteht, die als Risikofaktoren für Arterienverkalkung und koronare Herzkrankheit gelten, geht die Wissenschaft heute davon aus, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Fetten der Milch und diesen Erkrankungen gibt. 

Als mögliche Gründe werden angegeben: die gesättigten Fettsäuren der Milch sind in spezielle Komplexe eingeschlossen; die Phospholipide der Milchfetttröpfchen senken das schädliche LDL-Cholesterin; das Kalzium in der Milch neutralisiert die negative Wirkung gestättigter Fettsäuren; spezielle Milchfettsäuren wirken entzündungshemmend; kleine Eiweißbausteine in Käse und Joghurt haben blutdrucksenkenden Effekt; etc. 

Das Fazit: Der Verzehr von Milch und Milchprodukten zieht kein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall nach sich. Im Gegenteil, so das Bundesforschungsinstitut Max Rubner (MRI) in Karlsruhe: „Wer Milch trinkt, hat ein signifikant niedrigeres Risiko für Schlaganfälle und ein erniedrigtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ 

Milch senkt nachweislich das Darmkrebsrisiko

Frühere Hinweise, dass Milch an der Entstehung von Krebs beteiligt sein könnte, haben sich ebenfalls nicht bestätigt. Statt dessen gilt inzwischen als wissenschaftlich erwiesen, dass der regelmäßige Verzehr von Milchprodukten das Dickdarmkrebs-Risiko senkt. Dabei spielen Kalzium, die Zellwachstumshemmer im Tierversuch wie Lactoferrin und konjugierte Fettsäuren, aber auch Milchsäurebakterien eine Rolle. 

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt zur Prophylaxe den Verzehr von 250 Gramm Milch am Tag. Für diese Menge seien keine schädlichen, wohl aber günstige Effekte wissenschaftlich bewiesen.

Auch Studien zu Typ-2-Diabetes zeigten übereinstimmend eine gesundheitsfördernde Wirkung von Milchprodukten. 

Die Aussagen beziehen sich auf Vollmilchprodukte, nicht auf fettarme Milch. Für letztere fielen die Studienergebnisse nicht eindeutig aus.

Milchmythen auf den Zahn gefühlt

1. „Milch ist gut für die Knochen“ – JA,  wegen des hohen Kalzium-Gehaltes, aber nur in Verbindung mit Vitamin D3 als „Einbauhelfer“. Dieses wird in der Haut bei Einwirkung von Sonnenlicht gebildet. Mit dem Alter nimmt diese Fähigkeit ab, weswegen ältere Menschen öfter unter Osteoporose leiden.

2. „Milch verschleimt“ – NEIN, in keiner einzigen Studie konnte bestätigt werden, dass der Konsum von Milch zu Schleimbildung führt, weder im Bereich der Atemwege noch im Verdauungstrakt. Entwarnung also für heiße Milch mit Honig bei Erkältungen. Der Honig lindert außerdem Halsschmerzen, wirkt leicht antibakteriell und entzündungshemmend.

3. „Milch macht Kinder groß und stark“ – JA, zumindest groß! Darin ist sich die Wissenschaft einig. Kinder, die Milch konsumieren, weisen ein höheres Längenwachstum auf. Das konnte insbesondere in Ländern festgestellt werden, in denen traditionell keine Milch verzehrt wurde, etwa in Asien. Seit dort die westliche Ernährung Einzug gehalten hat, steigt auch das Längenwachstum.

4. „Milch macht Tabletten unwirksam“ – JA, aber nur bestimmte! Das steht dann auch im Beipackzettel. Schuld ist allerdings nicht die Milch, sondern das Kalzium darin. Es bindet bestimmte Wirkstoffe, verklumpt sie und macht sie wasserunlöslich, so dass sie nicht mehr aufgenommen werden können und  ausgeschieden werden. Gefährlich werden kann das bei Antibiotika. Auch Osteoporose-Mittel dürfen nie mit Milch eingenommen werden. Dieselben Probleme verursachen aber auch andere kalziumreiche Lebensmittel! Deshalb sollen Arzneien, die man nicht mit Milch einnehmen darf, auch nicht mit kalziumreichem Minderalwasser heruntergespült werden. Und zur letzten Mahlzeit lässt man besser drei Stunden Abstand.

5. „Milch fördert den Schlaf“ – JA, dafür ist das darin enthaltene Tryptophan verantwortlich. Auch Kakaopulver enthält viel Tryptophan, weswegen ein heißer Milchkakao am Abend Wunder wirken kann!

Gesund, aber nicht nachhaltig

Nach soviel positiven Neuigkeiten über Milch und Milchprodukte stellt sich die manchem sicherlich die Frage, ob man es den Dakern nicht nachtun solle. Mehr Milch also, und weniger Fleisch? 

JEIN - vom Standpunkt der Nachhaltigkeit: Die Produktion von Fleisch ist zwar deutlich klimaschädlicher als die von Milchprodukten, doch müsste die Welternährung dringend veganer werden, um eine nachhaltige und ausreichende globale Versorgung langfristig sicherstellen zu können. 

Würde die Menschheit auf Fleisch und Milch sogar ganz verzichten, würden ein Viertel aller landwirtschaftlich genutzten Flächen genügen, um alle satt zu bekommen, so eine Studie der Oxford-Universität (2018), die 40.000 Agrarbetriebe in 119 Ländern untersuchte. Denn Fleisch- und Milchprodukte liefern nur 18 Prozent aller Kalorien und 37 Prozent der Proteine, benötigten aber für ihre Produktion den meisten Platz. Außerdem verursacht diese über 60 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft. Auch die weltweite Übersäuerung der Böden und die Überdüngung der Gewässer ließe sich nur mit einer weitgehend veganen Welternährung in Schach halten, erklärte der Leiter der Studie, Joseph Poore, der britischen Tageszeitung „The Guardian“. 

So ist Milch zwar als Gesundbrunnen rehabilitiert – doch mit diesem bitteren Wermutstropfen werden wir umgehen lernen müssen.