„Lesen bedeutet Leben“

Interview mit der Dichterin und Deutschlehrerin Anca Şerban

Die junge Dichterin Anca Şerban
Foto: privat

Anca [erban: „Cineva din afara lumii“: Erschienen im Jahr 2018 im AIUS-Verlag. 68 Seiten, erhältlich um 15 Lei.

Hinter dem Auftreten der jungen Dame, die Kaffee, Bücher, Blumen und die Bilder des rumänischen Künstlers [tefan Câl]ia mag, verbirgt sich eine komplexe, tiefsinnige Persönlichkeit. Die in Craiova gebürtige Dichterin Anca [erban ist Germanistikabsolventin, Doktorandin und wirkt als Deutschlehrerin in ihrem Heimatort. Ihre Gedichte kreisen um „den Anderen“. Dem Literaturkritiker Mihai Ene zufolge „ist oft der Andere nicht ein anderer, sondern er wohnt im Inneren, und dies macht den Weg zu ihm noch schwieriger. Weil der Andere nicht direkt erreicht werden kann und sich nicht so einfach offenbart, war zu seiner Entdeckung immer eine besondere Rhetorik der Poesie mit unerwarteten Kombinationen in der Ordnung der Wirklichkeit nötig. Daher das signifikante Vorhandensein von Schneckenhäusern, Muscheln usw. in Anca [erbans Lyrik – eine harte Beschichtung, die aber, einmal durchbohrt, etwas Zerbrechliches oder Kostbares ans Licht bringt“. Anca [erban erzählt in einem Gespräch mit der Redakteurin Cristiana Sc²rl²tescu den Leserinnen und Lesern der ADZ mehr über ihre Inspirationsquellen, ihre Leidenschaft für Literatur sowie Hingabe für ihre Schülerinnen und Schüler.

Sie sind Germanistin, Essayistin, Dichterin, Doktorandin und Lehrerin. Wie schaffen Sie ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen, jedoch miteinander durch die deutsche Sprache verbundenen Hypostasen in Ihrem Alltagsleben?
Ich kann eigentlich nicht sagen, dass ich ein Gleichgewicht zwischen all dem finde, aber es sind alles Teile meines Wesens. Jede Hypostase hilft mir, mich intellektuell zu entwickeln, und natürlich ist die deutsche Sprache, die ich sehr liebe, diejenige, die alles einfacher und zugleich interessanter macht. Ich habe immer den Eindruck gehabt, dass die deutsche Sprache mich gewählt hat und nicht umgekehrt. Es macht mir wirklich Spaß, etwas Neues zu entdecken und dann weiterzuvermitteln.

Sie haben sich für eine Karriere in Ihrem Geburtsort Craiova entschieden. Wieso sind Sie nicht wie viele andere Landsleute ausgewandert, und wer hat Sie dabei unterstützt?

Ich muss zugeben, dass ich eine Karriere in meinem Geburtsort Craiova gewählt habe, weil ich meine Familie in der Nähe haben wollte. Und es ist auch ganz zufällig passiert, dass ich jetzt Deutschlehrerin am „Mircea Eliade“-Gymnasium bin, das ich als Kind und Jugendliche besucht habe. Ich hatte mal die Absicht, nach Deutschland zu ziehen, aber ich zog vor, in meiner Heimatstadt zu bleiben und den Kindern die wunderschöne deutsche Sprache beizubringen. 

Meine Deutschlehrerin und meine Familie haben mich dabei unterstützt und auch ermutigt, aber meine Liebe für die Kinder hat mir auch Kraft und Mut gegeben, diesen Beruf auszuüben.

2018 ist Ihr Gedichtsband „Cineva din afara lumii“ (deutsch: Jemand jenseits der Welt) beim AIUS-Verlag veröffentlicht worden, das Ergebnis vieler Jahre dichterischer Arbeit. Was hat Sie dazu inspiriert und motiviert?

Inspirationsquellen waren es mehrere, und ich weiß nicht, womit ich beginnen soll –  vielleicht mit der Tatsache, dass ich gern Gedichte lese. Nur keine falsche Bescheidenheit, ich habe sehr viel rumänische und fremde Lyrik gelesen und es gibt Dichterinnen und Dichter, deren Werk ich immer wieder gern lese, wie zum Beispiel Paul Celan, Rainer Maria Rilke, Johann Wolfgang von Goethe, Gellu Naum, Odysseas Elytis, Nora Iuga, Nina Cassian und viele andere. Auch meine Lebenserfahrung hat dabei eine große Rolle gespielt, sowie Kunst und Natur, Musik... Oder einfach eine Tasse Kaffee und ein Stückchen leckeren Kuchens oder ein Spaziergang im Park könnten manchmal inspirierend für mich wirken. 

Gedichte habe ich von früh auf geschrieben, denn ich fühlte mich frei, und Dichterin zu werden ist schon immer mein Traum gewesen. Vielleicht hätte ich nie den Mut gehabt, meine Gedichte zu veröffentlichen, wenn meine Freunde mich nicht dazu ermutigt hätten. 

Welcher Strömung ordnen Sie Ihren Schreibstil zu?

Um ehrlich sein, glaube ich nicht, dass man in Rumänien nach den 2000er Jahren noch Texte in eine literarische Strömung einordnen kann. Es handelt sich eigentlich um Konventionen. Ich könnte nur sagen, dass es in meinem Fall um eine vertraute, traumhafte Lyrik geht. Irgendwelche Zuordnung würde meine Lyrik einschränken, das könnte sie wie beim Prokrustesbett deformieren. 
Für einen Dichter bzw. eine Dichterin ist es schwer, die eigene Lyrik zu beschreiben, das wäre die Aufgabe der Literaturkritik und -geschichte. Für mich ist Gedicht etwas Ähnliches wie das, was Karl Sandburg darunter versteht: „Das Gedicht ist das Tagebuch eines Meerestieres, das auf der Erde lebt, während es danach trachtet, durch die Luft zu fliegen“.

Welches sind die Hauptthemen und Leitmotive Ihrer Gedichte?
Die Hauptthemen und Leitmotive meiner Gedichte kann man sehr leicht entdecken, wenn man meine Gedichte liest. Sie stehen in enger Verbindung mit meiner Lebens- und Leseerfahrung und mit mir selbst. Zugleich will ich den Leserinnen und Lesern die Freiheit geben, meine Gedichte so zu interpretieren, wie sie diese spüren. Das fand ich immer faszinierend: Zwei Personen, die das gleiche Gedicht lesen, empfinden es ganz unterschiedlich.

Wo findet Ihre Liebe zur Dichtung und vor allem für das Werk des Czernowitzer Dichters Paul Celan, dessen Briefverkehr mit der österreichischen Dichterin Ingeborg Bachmann Sie als Sujet Ihrer Masterarbeit behandelt haben, ihren Ursprung?

Paul Celan habe ich an der Uni entdeckt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich habe natürlich mit dem Band „Mohn und Gedächtnis“ begonnen, aber bald fand ich in der Bibliothek auch den Band „Der Sand aus den Urnen“ in rumänischer Übersetzung. Die Gedichte haben mir so gut gefallen, dass ich mehr über den Dichter wissen wollte. Deshalb habe ich als Sujet für meine Masterarbeit den Briefwechsel zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann gewählt. 

Eigentlich handelte es sich um eine komparative Untersuchung zwischen diesem Briefwechsel und der Korrespondenz zwischen Emil Cioran und Friedgard Thoma. Dieses Thema untersuche ich jetzt weiter in meiner Doktorarbeit, weil ich finde, dass der Briefwechsel immer faszinierend war und bleibt, wenn man Biografie, Werk und Denkweise eines Schriftstellers in ihrer Vielseitigkeit verstehen will. Meiner Meinung nach sind die Briefe als eine literarische Äußerungform zu betrachten, die ein helleres Licht auf Autor und Werk werfen, aber eben auch Teil davon sind.

Sie haben als Redakteurin bei der Entstehung vieler Nummern der Literaturzeitschrift „Mozaicul“ in Craiova mitgewirkt. Mit welchen anderen Zeitschriften kollaborieren Sie noch?
Mit vielen Zeitschriften habe ich zusammengearbeitet, wie zum Beispiel: „Bucovina Literară“, „Revista Vatra“, „Actualitatea literară“, „Paradigma“, „Egophobia“, „SpectActor“, „Prăvălia culturală“, „Sisif“, „OPT Motive“ und andere. 


Seit Kurzem wirke ich auch als Betreuerin einer deutschen Schülerzeitschrift mit dem Titel „Deutsche Meridiane“, welche die Kreativität und das Interesse der Schüler und Schülerinnen für die deutsche Sprache, Literatur und Kultur wecken will.

Wie pflegen Sie Ihre Leidenschaft und Liebe zur Literatur den Schülern zu vermitteln, und welche Botschaft möchten Sie der jungen Generation geben?

Ich kann nicht einfach „meine Schüler“ sagen, ich nenne sie meine Kinder. Im Deutschunterricht versuche ich immer, ihnen mög-lichst viel über die deutsche Landeskunde, Literatur und Kultur beizubringen. 
Der Lehrstoff im DaF-Unterricht ist sehr umfangreich, aber die Freude am Lernen darf keineswegs vergessen werden. Ich finde es wichtiger, in meinen Kindern die Neugierde zu erwecken, mehr zu erfahren. Das hat auch meine Deutschlehrerin mit mir gemacht. Bei ihr habe ich zum ersten Mal die ADZ entdeckt und gelesen und ich war einfach verzaubert. So habe ich viele interessante Informationen erfahren und meinen Wortschatz erweitern können. Es war für mich eine besondere Leseerfahrung.

Das wünsche ich mir auch für meine Kinder. Auch deshalb machen wir zusammen unsere Schülerzeitschrift in deutscher Sprache. Meine Botschaft für die junge Generation wäre: „Lest! Lest! Lest! Lesen bedeutet Leben“.

Wir bedanken uns herzlich für das angenehme und informationsreiche Gespräch und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg in Ihrem Berufsleben und beim Doktoratsstudium!

2013 wurde die Lyrik Anca Şerbans mit dem ersten Preis in der Kategorie Poesie der Zeitschrift „Tribuna“ und dem zweiten Preis beim Nationalen Poesie-Festival „Alexandru Macedonski“ ausgezeichnet. Im Jahr darauf gewann sie den ersten Preis beim Nationalen Poesie-Wettbewerb „Traian Demetrescu“, 2015 folgte der „Ion T. Şovala-Preis“ beim Nationalen Literaturwettbewerb „Geo Bogza“. Zwei weitere Preise erhielt sie 2016: den Preis der Zeitschrift Caiete Silvane beim „Vasile Lucaciu“-Literaturfestival und den Preis der Zeitschrift „Zona Literar²“ beim Nationalen Festival für Literatur „Rezonanţe Udeneşene“. Der Band „Cineva din afara lumii“ wurde 2018 mit dem Constantin-Nisipeanu-Preis ausgezeichnet.