Mamma mia!

Nachrichten-TV und Politainment statt politischer Bildung?

In der Sprachwissenschaft definiert Kontamination die Verschmelzung von Bestandteilen zweier oder mehrerer Wörter. So betrachtet, bedeutet Politainment, entstanden aus den Begriffen Politik und Entertainment, eine Verknüpfung von Politik, Journalismus und Unterhaltungskultur. Dieses politische Entertainment ist im übrigen eine ernste Geschichte; sie steht schon seit Beginn der 40-er-Jahre, dank dem österreichisch-amerikanischen Soziologen Paul Felix Lazarsfeld und seiner für die Kommunikationsforschung bahnbrechenden Studie „The People’s Choice“ (über den besonders starken Einfluss der interpersonalen Kommunikation auf das spätere Wahlverhalten) im Mittelpunkt der Diskussion. Weltweit unterscheiden die Medienwissenschaftler heute zwischen der unterhaltenden Politik und der politischen Unterhaltung, das heißt im Klartext: entweder die politische Bühne bedient sich der Mittel der Unterhaltungskultur, um die Information attraktiver zu gestalten und ihre Ziele dadurch effizienter zu erreichen, oder das Entertainment greift auf politische Themen und Figuren zu, um anlockender zu wirken auf das breite Publikum.

Was uns die meisten TV-Programme hierzulande im Bereich der Politik bieten, ist allerdings journalistisch schwer, wenn überhaupt, in irgendeine Kategorie einzugliedern. Konkrete Inhalte oder Aussagen mit einem eventuell erzieherischen Wert im Bereich der politischen Bildung dürfen wir gleich vergessen. Das geht einfach nicht. Jeder Nachrichten-TV-Konsument weiß inzwischen, dass Realitatea und die Antennen, beispielsweise, für „die Einen“ stehen, B1 dafür für „die Anderen“, und hat dementsprechend die Möglichkeit, genau das zu hören, was seine Favoriten – seien es Oppositions- oder Regierungsleute – behaupten, ohne natürlich am Ende des Tages genau sagen zu können, was überhaupt Sache ist. Als unterhaltsam kann die (Inkompetenz tarnende) Lawine von Schimpfwörtern nicht beschrieben werden. Was bleibt übrig? Politische Unterhaltung. Gilt auch nicht, denn sämtlichen Zuschauern ist es am Programmende eher nach Weinen als nach Lachen zumute.  
Um nur ein Beispiel zu nennen: Eines der wichtigen Themen auf der rumänischen innenpolitischen Agenda letzte Woche war die Fiskal- und Haushaltsstrategie für den Zeitraum 2012 bis 2014. Die immer häufigeren Schwankungen auf den Finanzmärkten weltweit, die in diesem Kontext verständliche Angst vor einer zweiten Krisenwelle auslösen, aber auch ein anscheinend schwächer als erwartetes Wachstum der einheimischen Wirtschaft bewegte das Kabinett Boc, dem Parlament im Herbst neue Sparmaßnahmen zur Verabschiedung unterbreiten zu wollen. Es geht dabei, so die Nachrichtenagentur Mediafax, um die Einleitung  weiterer drei Sparjahre: In sämtlichen Staatsunternehmen soll es zunächst keine Neueinstellungen geben, die Renten für die ersten zwei Arbeitsgruppen sind eingefroren und bis 2015 werden den Staatsbediensteten weiterhin keine Bonifikationen oder Entlohnung von Überstunden ausgezahlt (diese können ausschließlich durch freie Tage abgeglichen werden). Staatsunternehmen müssen auf neues Büromobiliar, Autopark etc. verzichten. Steuerpolitisch wird eine höhere Besteuerung von Liegenschaften angekündigt und die Vertagung der sechs BIP-Prozente für das öffentliche Bildungssystem auf frühestens 2015. Anders ausgedrückt, kein leicht zu verdauender Brocken für den rumänischen Bürger.
Was konnte dieser aus den Programmen der verschiedenen Nachrichtensender erfahren? B1 informierte ihn prompt, dass es eine Strategie gibt, mit der Präsident und Ministerpräsident einverstanden sind, dass die Regierung trotz der anstehenden Wahlen  populistische Maßnahmen ablehnt, um ein generelles Fiasko zu vermeiden, um die Wirtschaft genesen zu lassen, sodass der Staat sich nicht mehr ständig verschulden muss für die Begleichung von Gehältern und Renten. Vor die Kamera traten ein Koalitionsmitglied nach dem anderen. Der eine kündigte Lohn- und Rentenerhöhungen an, der andere dementierte die Info und beschrieb den Sparkurs, ein weiterer erwähnte das allgemeine Einfrieren von Renten, Arbeitsminister Lăzăroiu widersprach... Schlussfolgerung: Alles in Butter, aber die Opposition ist nur am Wahlbonus interessiert.

Realitatea und Antena 3 griffen die Information ihrerseits genauso prompt auf. Was teilten die Oppositionsleute hier ihren Zuschauern mit? Dass eine inkompetente Regierung und ein verantwortungsloser Staatschef eine nie umsetzbare Strategie durchsetzen wollen, dass die eigenen Antikrisenmaßnahmen bestimmt wirksamer sind. Welche? In erster Linie die Ernennung einer neuen, von einem Technokraten geleiteten provisorischen Regierung und die Organisation von vorgezogenen Wahlen, mit dem Ziel, einen frischen Start zu ermöglichen, aber auch die Reduzierung der Mehrwertsteuer und der Sozialabgaben, parallel mit der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, der Förderung von Investitionen (andere als die jetzigen), der Gewährung der 6 Prozent für die Erziehung, usw. Fazit: Die Regierenden würden nichts scheuen, um an der Macht zu bleiben.

Experten sind der Meinung, dass Politainment als eine Kombination von sich gegenseitig nicht ausschließenden Information und Unterhaltung dazu beitragen könnte, die immer weiter verbreitete Politikverdrossenheit des Durchschnittsbürgers einzudämmen – umso mehr die politische Bildung in letzter Zeit, hierzulande aus gut verständlichen Gründen, eher verschwunden ist von der organisatorischen, institutionellen und gesellschaftlichen Ebene. Unterhaltung (lies: Zirkus) ist hingegen reichlich vorhanden. An der Information hapert es allerdings. In diesem Kontext sollten die Medien diejenigen sein, die eher politische als parteipolitische Inhalte und Bildung transportieren, die eine korrekte Berichterstattung sichern und auf tragikkomische, aggressive und vulgäre Äußerungen über Politiker und Politikerinnen, egal welcher Couleur, verzichten.

Zurzeit weiß ein normaler Bürger, der sich nach einem höchstwahrscheinlich anstrengenden Arbeitstag noch über den politischen Alltag informieren möchte, mit Sicherheit eins: Sorgen muss er sich keine machen. Für seine Zukunft sorgt diese ungesunde Kombination aus korrupter Politik und (nur) ratingsüchtigem TV mit Sicherheit nicht.