„Maybot“ geht

Man hört kaum noch etwas von jener Frau, die bis zum 7. Juni die EU mit ihrer steifen Sturheit in Sachen Brexit in Atem hielt – und ihre Partei, die Torys, mit. Theresa May übt aber immer noch auf Downing Street 10 das Interimsamt aus. Bis (wahrscheinlich) der Politclown Boris Johnson ihr am 22. Juli die Türe weisen wird.

Wonach Großbritannien einen Regierungschef in bester Gesellschaft des clownesk auftretenden Mr. Unberechenbar aus den USA haben wird und Theresa „Maybot“, so bespitznamt wegen ihres oft roboterhaft anmutenden Auftretens, einen wahrscheinlich unruhigen Ruhestand nach ihrem schwierigen dreimaligen Scheitern, das sie in erster Linie ihren Parteifreunden zu verdanken hat, verkraften muss. Zu beneiden ist sie nicht, die tapfer uneinsichtige großbritannische Premierministerin „Maybot“, die beim Abschiedsauftritt in der Downing Street 10 eine güldene Regel britischen öffentlichen Benehmens brach: Sie zeigte Emotionen und konnte ihre Tränen kaum zurückhalten. Damit positionierte sie sich eigentlich in bester Gesellschaft: die „eiserne Lady“ Margaret Thatcher hatte ebenfalls Tränen in den Augen, als sie den britischen Regierungssitz verließ und May-Vorgänger David Cameron konnte das Tremolo seiner Stimme kaum in den Griff kriegen, als er nach dem 23. Juni 2016 Adieu sagte. Emotionen zeigten sie alle, obwohl, von außen gesehen, der Job eines britischen Premierministers in dieser bizarren Demokratie ohne schriftlich festgelegte Regeln (Verfassung) so gut wie unmöglich zum Erfolg führen kann (siehe „Maybots“ Bemühungen um Brexit-Mehrheit im Parlament), dafür aber voller Erniedrigungen ist und von Hohn gekrönt.

Theresa May konnte fast nichts von den Versprechungen umsetzen, mit denen sie angetreten ist. „Das Brexit-Referendum drehte sich nicht nur um den Ausstieg aus der EU“, sagte sie, „es war gleichzeitig ein Appell für tiefgreifende Veränderungen in unserem Land. Zur Transformation des Vereinigten Königreichs“. Nichts davon setzte sie um. Die sozialen Frustrationen sind nicht geringer geworden (vergleiche die jetzigen Versprechungen des Wirrkopfs Boris J.). Die soziale Schlucht zwischen Norden und Süden vertiefte sich. Reformen zugunsten der Armen haben nicht stattgefunden. Die Förderung anderer Regionen als London und des britischen Südostens blieb aus. 50 Prozent aller künftigen neugeschaffenen Jobs bis 2070 wird es weiterhin im überentwickelten Raum London – Südosten geben, verheißt die Prognose (übrigens: auch die Arbeitsproduktivität ist in diesem Raum um 50 Prozent höher als in Restbritannien…). Und die Lebenserwartung der Armen liegt in Großbritannien weiterhin um 19 Jahre unter jener der Mittelschicht, sagt die Statistik. Über eine Million Jugendliche mehr als vor 20 Jahren, die in anderen Ländern ab einem gewissen Alter ausziehen und sich ein eigenes Leben aufbauen, leben in Großbritannien weiterhin bei ihren Eltern. Was andres können sie sich nicht leisten.

Andrerseits ist die Arbeitslosigkeit mit 3,8 Prozent so niedrig wie seit 45 Jahren nicht mehr. Nur: die „work powerty“, die „Arbeitsarmut“ ist in umgekehrtem Verhältnis zur Verringerung der Arbeitslosigkeit gestiegen… Dafür aber ist die Staatsverschuldung gesunken. Großbritannien ist ein finanziell solides Land. Staatsanleihen („gilts”) gehören zu den besten Anlagen und sind bei in- und ausländischen Finanzinvestoren beliebt.

Das Auf und Ab in Großbritannien scheint bei Shakespeares „Titus Andronicus” abgekupfert zu sein: von 13 Nachfolgekandidaten der „Maybot“ blieben erst zehn, dann sechs, zuletzt zwei, Clown Boris und Jeremy Hunt, auch ein (Ex-?)Außenminister. Für einen von ihnen müssen sich die rund 160.000 Parteimitglieder der britischen Konservativen (Torys) entscheiden. Dann zieht der „Sieger“ Ende Juli in die Downing Street und will den Brexit bis Ende Oktober meistern. Ohne Emotionen zeigen zu müssen?