Mein ganz persönliches Schwein

Schon von Weitem sah ich es daherkommen. Das wird doch jetzt nicht...? Ich begann zu rennen, doch mir war klar – viel zu spät! Nur ein kurzes Zögern vor der leeren Haltestelle, der ich mich von Weitem im Laufschritt näherte, dann brauste das Maxitaxi an mir vorbei. Mist! Ein Fluch lag mir auf den Lippen. Doch als ich meine Schritte verlangsamte und mir die Morgensonne so schön ins Gesicht schien, verwandelte er sich in ein Lächeln. Na gut. Da war eben mal wieder eine „Einzahlung“ fällig. Das bekomme ich schon irgendwann wieder heraus – aus dem Sparschwein meines persönlichen Schicksals.

Jeder Mensch hat so ein Schwein, da bin ich mir ziemlich sicher. Ob daher wohl der Ausdruck „Schwein gehabt“ kommt? Was wir nicht kennen, ist der Füllstand unseres Schicksalsschweins. Ist es voll, halbvoll oder fast leer? Muss ich demnächst mal wieder eine kräftige Einzahlung leisten oder springt ein Bonus für mich heraus? An welchen Währungen herrscht Mangel, an welchen vielleicht sogar Überfluss? Gesundheit, Lebensfreude, intellektuelle und geistige Erfüllung, Liebe, Verbundenheit, Geborgenheit... dies sind neben gewöhnlichem Geld die Zahlungsmittel, die das Schwein bereitwillig annimmt, abgibt – und gelegentlich auch, allerdings zu recht undurchsichtigen, eigenwilligen Wechselkursen, die irgendwie von unserer inneren Einstellung abhängen, ineinander umwandelt. Bei mir reicht jedenfalls schon der Anblick einer schönen Naturlandschaft, das Gefühl des „Flows“ beim Schreiben oder ein feuchtes Hundeküsschen – erst recht ein ebensolches von meinem Mann – aus, damit das Schwein am laufenden Band Lebensfreudescheinchen speit.

Freilich mangelt es manchmal auch spürbar an einer Währungsart. Was nützt es, wenn das Sparschwein voller glitzernder Gulden und Taler ist, wenn die Stromrechnung in schnöden Lei daherkommt? Und weil man den Wechselkurs von Gesundheit, Lebensfreude, Erfüllung, Liebe, Verbundenheit, Geborgenheit etc. in Lei eben nicht kennt, muss man einzahlen, was man zu bieten hat, notfalls auch im Überfluss: Mühe, Extra-Zeitaufwand, Fleiß, Arbeit, guten Mut.
Auch der gelegentlich unvermeidliche Ärger, der oft so unverhofft und unverdient daherkommt – warum ausgerechnet jetzt eine Magenverstimmung, wo ich doch so vernünftig esse; wieso kann das Maxitaxi nicht eine Minute später kommen – findet irgendwo seinen Ausgleich im Bauch dieses Schweins. Vielleicht braucht es ja gerade eine kleine Einzahlung, um den Betrag für die Auszahlung eines anderen, größeren Glücksgutes voll zu machen?

Missgunst, Neid und Eifersucht gegenüber vom Glück scheinbar begünstigteren Zeitgenossen kommt daher bei mir erst gar nicht auf: Denn auch wenn jemand nach außen hin mit den gängigen „Glücksfaktoren“ glänzt – großes Haus, Auto, Status und Funktion – wer weiß, wie es mit der Bilanz im Bauch seines Schweines aussieht, und ob ich damit auch tauschen würde? Lieber das eigene Schweinchen liebevoll füttern, als auf das scheinbar fettere des Nachbarn zu schielen!
Wenn einem dann plötzlich die Autobatterie verreckt, der Hund den Lieblingsschuh zerkaut oder das Brot mit der Butterseite auf die frisch gewaschene Tischdecke klatscht, dann kann man lachen und sich sagen: Okay – heut ist eben mal wieder Einzahltag!