Narben einer Gesellschaft

Häusliche Gewalt ist in Rumänien Alltag

Georgiana wurde oftmals von ihrem Vater nachts im Wald an einen Baum gebunden. Er schlug sie regelmäßig mit Kabeln, Stöcken oder dem Hammer. Fotos: Cosmin Bumbuț/Teleleu.eu

Maria Ioniță war Mutter von neun Kindern. Ihr Mann Dumitru schlug sie 10 Jahre lang, bis er sie eines Tages zu Tode prügelte. Drei der Kinder waren dabei anwesend, danach beging er Selbstmord. Die Nachbarn haben nie eingegriffen. Mironeasa, Jassy/Iași.

Dass in Rumänien Männer ihre Frauen schlagen und ermorden, lesen, hören oder sehen wir immer wieder in den Medien. Verharmlosende Schlagzeilen wie „Aus Liebe ermordet“ beeindrucken niemanden mehr, im Gegenteil, man schaut den Beitrag nicht einmal mehr an, so viele davon gab es schon. Für die Medienkonsumenten scheint es kaum von Bedeutung zu sein, über ermordete Frauen zu hören, zumindest reagieren viele so. Doch was bewirken in uns professionelle Fotografien von den Opfern dieser Gewalt, die einfach in die Kamera blicken?

Ein Gesamtbild

„Cicatrice“/„Narben“ ist der Name einer Fotografieausstellung des Investigativjournalisten-Duos Cosmin Bumbuț und Elena Stancu in Kronstadt/Brașov, welche häusliche Gewalt in Rumänien unter die Lupe nehmen. Die beiden – Bumbuț ist Fotograf, Stancu schreibt – richten Linse und Stift nicht nur auf die Opfer oder Täter, sondern auch auf deren Familie, Nachbarn, Pfarrer, auf die gesamte Gemeinschaft. Somit zeigen sie mehrere Facetten häuslicher Gewalt: „Das Gesicht häuslicher Gewalt ist auch der Nachbar, der gehört, aber nicht eingegriffen hat, oder der Pfarrer, der von der Gewalt wusste, der Frau aber geraten hat, weiterhin bei dem gewalttätigen Mann zu bleiben; er hat sie dann letztendlich auch beerdigt! Das Gesicht häuslicher Gewalt ist auch das Kind, das zum Waisen wurde, nachdem der Vater die Mutter ermordet hat, und das diese Last sein Leben lang mit sich tragen muss. Es ist aber auch die Familie des Täters, die einen Sohn, einen Bruder hat, der im Gefängnis sitzt. Wir wollten zeigen, dass Gewalt nicht nur das Problem einer Familie, sondern einer ganzen Gemeinschaft ist.“

Im Gegensatz zu Statistiken lösen Fotografien eher Emotionen aus. Und die kurzen Erklärungen, die Elena Stancu zu jedem der 35 großformatigen Bilder der Ausstellung „Cicatrice“ schreibt, sind wie ein Stich ins Herz, wie eine Ohrfeige für die Seele: „Der Schmuck, den Mimi trug, als sie von ihrem früheren Freund, Iacob Sas, ermordet wurde. Rășinari, 2015“. Oder: „Die Frau im Bild trägt dieselben Kleider wie an dem Tag, an dem sie von zu Hause weggelaufen ist, weil ihr Mann versucht hat, sie zu verbrennen. Frauenschutzhaus des Vereins Atena Delphi, Klausenburg/Cluj-Napoca, 2016“. Oder: „Alexandra, 17 Jahre alt, eines der neun Kinder, die elternlos waren, nachdem der Vater die Mutter getötet und dann Selbstmord begangen hat. Mironeasa, 2014“. Oder: „Dan Aftenie, 41 Jahre alt, hat seine Freundin während eines Streits mit dem Kabel der Tastatur erwürgt. Gefängnis Aiud. 2015“. Bewundernswert an dieser Ausstellung ist, dass sie Porträts zeigt, wundervolle Porträts von einfachen Leuten, bei sich zu Hause oder im Gefängnis. Kein Blut, keine sichtbaren Wunden, keine blauen Flecken, keine Beulen. Die Wunden sind in den Seelen, die Narben sind im Herzen, die Probleme sind im Inneren. Die Geschichten kann man anhand der wenigen Informationen, die die Journalistin uns gibt, nur erahnen. Der Blick einer Frau mit Kind auf dem Schoß und einige Zeilen zu ihrer tragischen Geschichte – die auch vieles über dieses Land aussagt. Das macht diese Ausstellung so kräftig und so wertvoll. „Cicatrice“ muss gesehen werden – und zwar mit offenen Augen und Herzen! Auf jedem Porträt könnte ein Nachbar, eine Freundin von uns abgebildet sein, wenn nicht sogar wir selbst. Es ist eine Ausstellung über uns selbst.

Am Dorf und im Parlament

Im Idealfall sollte diese Ausstellung in den Dörfern gezeigt werden, in denen ihre Protagonisten und Protagonistinnen lebten. Das wäre der Wunsch der Autoren. Das könnte die Gemeinschaft sensibilisieren, „die Menschen würden die geschlagenen Frauen vielleicht nicht mehr so oft verurteilen, wenn sie versuchen, von zu Hause zu fliehen.“ Vielleicht könnte diese Ausstellung dazu beitragen, dass die Gemeinde die tägliche Tortur, die die geprügelten Frauen und deren Kinder ertragen müssen, versteht“, erklärt Stancu, die über Maria Ioniță aus dem Dorf Mironeasa im Kreis Jassy/Iași spricht. Maria Ioniță war Mutter von neun Kindern. Sie lebte in armen Verhältnissen. Die Gewalttaten ihres Mannes Dumitru, der sie regelmäßig fürchterlich schlug und mit der Zigarette verbrannte, waren der gesamten Gemeinde bekannt, Sozialarbeiter mussten die Frau mehrmals ins Krankenhaus bringen. Nachdem Dumitru ihr mehrere Knochen gebrochen und die Milz zerschlagen hatte, wurde sie in ein Frauenhaus gebracht, aber wegen des Platzmangels konnte sie ihre Kinder nicht mitnehmen, sodass sie nach Hause zurückkehrte. Die tägliche Routine von Gewalt und Demütigung ging weiter. Die Nachbarn hatten sich in den Jahren an die Schreie der gefolterten Frau gewöhnt, sich aber nicht in „deren Angelegenheiten“ eingemischt. Wenige Monate später prügelte Dumitru seine Frau zu Tode. „Wir dachten, er schlägt sie nur, wie immer“, war die Ausrede der Menschen aus der Gemeinde, die nicht eingegriffen hatten. Drei der Kinder waren während des Mordes anwesend. Dumitru nahm sich das Leben.

In den meisten Fällen von häuslicher Gewalt greift niemand ein. Man zieht es vor wegzuschauen, oder meint, es sei die Angelegenheit der Betroffenen, nicht etwa auch unsere. Doch das macht jeden und jede von uns zu Mitverantwortlichen. Durch die Ausstellung könnte die Gemeinde vielleicht mit der Frau, die es nicht mehr gibt, mitfühlen, wenigstens einen Krümel davon verstehen, was sie durchmachen musste, was ihre Kinder ihr Leben lang nun mit sich tragen müssen und der Gesellschaft möglicherweise unwillentlich zurückgeben werden.

„Diese Ausstellung soll auch im Parlament gezeigt werden! Dort müssen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt getroffen werden“, sagt eine Psychologin im Rahmen einer Diskussionsrunde, die im Vorjahr in Bukarest beim Festival für Dokumentarfilm und Menschenrechte „One World Romania“ stattfand, wo die Ausstellung zum ersten Mal präsentiert wurde. Zwar gibt es eine nationale Notrufnummer für häusliche Gewalt (0800 500 333), von der allerdings nur etwa ein Viertel aller Rumäninnen wissen, und ein Gesetz, das Opfer schützt – aber nur unzureichend. Die meisten Geschlagenen, die sich trauen, die Täter anzuklagen, ziehen ihre Anklage nach kurzer Zeit wieder zurück. Die meisten gehen auch wieder zurück zum dem Mann, der sie foltert. Es ist meist nicht die Liebe, die sie zurückkehren lässt, sondern der Mangel eines Auswegs, die Armut – oder, wie im Fall von Maria Ioniță, die Sorge um die Kinder. Viele der Frauen wissen nicht, wohin sie gehen sollen mit den Kindern, haben kein Geld, um diese zu versorgen; viele der Opfer haben auch einfach Angst, wegzugehen vom Angreifer, sie kennen nichts anderes. Der rumänische Staat bietet den Opfern häuslicher Gewalt, Frauen wie Kindern, nicht ausreichend Schutz.

Zu betonen ist, dass häusliche Gewalt nicht nur in armen Familien stattfindet, sondern in jeder Gesellschaftsschicht, erklären Bumbu] und Stancu, die vom Fall der Frau eines Polizisten aus Klausenburg sprachen, deren Porträt sie nicht in die Ausstellung aufnahmen, aus Angst, er könnte es entdecken und seine Gattin ermorden. „Gewalt ist überall, in armen und reichen Umgebungen, wir haben in beiden dokumentiert“.

Die Opfer werden zu Tätern

Die Kinder, die mit Gewalt aufwachsen, die ihre Eltern und Großeltern nur so erleben, kennen keine Alternative, nehmen Gewalt als gegeben und geben diese später oft weiter. Für sie ist das die einzige Realität, die sie kennen. So auch für Petrișor, dem sein Stiefvater schon mit drei Jahren bestialisch mit den Füßen die Zähne ausschlug. Auch wurde er öfter barfuß in den Schnee geworfen oder anders gefoltert. Vom kleinen lieben Jungen wurde er zum Schläger. Mit sieben ist er vor der Lage zu Hause weggelaufen und im Kinderheim aufgewachsen, wo er sehr glücklich war, mit fünfzehn wurde er zum ersten Mal wegen Körperverletzung eingesperrt. Elena Stancu und Cosmin Bumbuț lernten ihn in der Jugendstrafanstalt Craiova kennen. „Für Menschen wie ihn ist spezialisierte Hilfe nötig! Er ist jung, mit Hilfe könnte er gerettet werden!“ meint die Journalistin Stancu, die die mangelnde Hilfeleistung seitens des rumänischen Staates in dieser Situation kritisiert.

Gewalt ist normal

Offiziell werden in Rumänien 24 Prozent aller Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer häuslicher Gewalt, noch erheblich mehr Kinder erleben daheim Gewalt. Laut einer ausführlichen Studie der Organisation „Salvați Copiii“ (2013) geben 63 Prozent der Minderjährigen an, zu Hause geschlagen zu werden. Dabei sind Ohrfeigen noch das Mildeste, was Elena und Cosmin gehört haben. Georgiana, ein 17-jähriges Mädchen, erzählte den beiden aus ihrem eigenen Leben etwas, was eher aus einem Horror-Film zu sein scheint: Ihr Vater schlug sie mit Fäusten, Füßen, Kabeln, Stöcken oder dem Hammer und band sie manchmal nachts im Wald an einen Baum unter der Androhung, sie dort zu lassen. Georgiana floh mehrmals von zu Hause und lebte ab ihrem 13. Lebensjahr in einem Jugendheim, das sie wegen ihres Freundes verließ. Nachdem sie sich von ihm getrennt hatte, wurde sie vom Heim nicht mehr aufgenommen. Sie hat kein Zuhause mehr und arbeitet nun als Prostituierte.
Die Ausstellung „Cicatrice“ ist im Rahmen der ersten Auflage des Festivals für Dokumentarfilm und Menschenrechte „One World Romania la Bra{ov“ bis zum 29. November, täglich zwischen 10 und 22 Uhr, neben der Bühne im Coresi Shopping Resort zu sehen.
Auch auf der Homepage der Journalisten (teleleu.eu) sind einige der Porträts zu sehen, dazu erzählen die überlebenden Frauen ihre Geschichte.