Neuromarketing unter der Lupe

Oder wie man schweigend das Innere des Menschen erforscht

Ana Iorga probiert ein EEG-Gerät aus, einen der futuristisch aussehenden Apparate.

Eye-Tracking gilt als wissenschaftliche Methode und wird in mehreren Bereichen, unter anderem in Neurowissenschaften, Wahrnehmungs- und Werbepsychologie eingesetzt.
Fotos: Ana Iorga

Ein Werbeplakat für Shampoo stellt eine rothaarige, hübsch lächelnde, dem Zuschauer anscheinend direkt in die Augen schauende Dame auf der rechten Seite dar. Das Produkt mit Logo und Titel befindet sich auf der linken Seite.
Ana Iorga, Gründerin des ersten Neuromarketing-Forschungslabors  in Rumänien („Buyer Brain”) erklärt, wieso diese Werbung daran scheitert, ihr Ziel zu erreichen. Worin das Problem liegt und wie es mit Genauigkeit identifiziert werden kann, lässt sich mit Neuromarketing erklären: Eine neue Methode, die mit Hilfe von Technologien der bildgebenden Verfahren – früher ausschließlich in der Medizin genutzt – die Wirkung der Werbung auf die Konsumenten untersucht.

Ob Aufmerksamkeit erweckt wird und woran der Betrachter interessiert ist, ob einzelne Elemente der Werbung als positiv oder als negativ betrachtet werden – all das kann man erfahren, ohne dem Probanden eine einzige Frage zu stellen. Die oben erwähnte Werbung ist unwirksam, weil die Aufmerksamkeit des möglichen Käufers eher vom Gesicht der Frau angezogen wird und nicht von der Marke oder vom Produkt selbst, welches dann für den Betrachter fast nicht mehr existiert.
Die Lösung für dieses Problem ist recht simpel: Der Blick der Dame wird auf das Shampoo gerichtet. Dass die Frau ein wenig schräg guckt, fällt keinem auf: Es ist ein raffinierter Trick, der zu einer weit effizienteren Werbung führt. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird der Blickrichtung der schönen Frau entsprechend in dieselbe Richtung geleitet – zum Shampoo also. „Solche Kleinigkeiten spielen in der Werbeindustrie eine ungeheuer wichtige Rolle und ohne Hilfe von Neuromarketing wäre man nicht zu dieser Schlussfolgerung gekommen”, erklärt Ana Iorga, Wegbereiterin dieser neuartigen Marketingstrategie in Rumänien.

Frau Iorga entlarvt eine andere misslungene Werbung in dem Musikvideo einer amerikanischen Sängerin: eine Schleichwerbung für Wodka. Für die Firma, die den Wodka verkauft, ist das natürlich ein kostspieliger Fehler. Durch die Analyse der gesammelten Daten, die mittels Elektroenzephalografie (erstellt Elektroenzephalogramme, EEGs, die die elektrische Aktivität des Gehirns darstellen) und durch Messungen der elektrodermalen Aktivität (Galvanic Skin Response, GSR) gewonnen wurden, konnte man feststellen, dass der Wodka gar nicht bemerkt wurde – ihm gegenüber waren die Betrachter ziemlich gleichgültig. Hingegen genossen zwei andere Dinge die höchste Aufmerksamkeit der Betrachter – nämlich eine Katze und ein Laptop (keine Marke).

International ist Neuromarketing ein intensiv debattiertes Thema. Hauptgrund kann die Phase sein, in der sich das Neuromarketing befindet – es steckt noch in seinen Kinderschuhen, meint Frau Iorga. Neutral betrachtet ist Neuromarketing eine neue Methode für Marktforschung, die zu verschiedensten Zwecken benutzt werden kann. Manche betrachten es als Wissenschaft mit quantifizierbaren Ergebnissen und arbeiten hart daran, weitere Entdeckungen zu machen. Andere spekulieren auf Angst oder Begeisterung der Menschen und versprechen leichtsinnig den „Kauf-Knopf” des Konsumenten gefunden zu haben. Es ist also keine wirkliche Überraschung, dass Reaktionen weltweit zwischen euphorischer Begeisterung, undurchlässigem Skeptizismus und tiefem Unbehagen schwanken.

„Moş Costache“ im Forschungslabor

Hierzulande hat Neuromarketing erst seit Kurzem Fuß gefasst, scheint sich aber mit großen Schritten weiterzuentwickeln. Nachdem Ana Iorga ihr Medizinstudium an der Carol-Davila-Universität abgeschlossen hatte, entschied sie sich, sich neu zu orientieren. Die sachliche, schnell sprechende Frau erzählt, wie sie ein MBA (Master of Business Administration) in Marketing und Finanzen gemacht, die Werbeagentur „Lemon Studio” und letztendlich „Buyer Brain” gegründet hat. Neben diesen zwei Führungsstellen arbeitet sie auch an ihrer Doktorarbeit an der Bukarester Akademie für Wirtschaftswissenschaft (ASE) über „Paradigmenwechsel im Marketing”. Ab und zu hält sie Workshops oder Vorträge in diesem Bereich – im November wurde eine Werkstatt im Rahmen des einzigen rumänisch-deutschen MBA-Programms in Rumänien (an der ASE) organisiert und vor einem Monat wurde sie zum selben Zweck von der Markenagentur Kiesewetter in Freiburg eingeladen.

Frau Iorga erklärt, wie 90 Prozent der menschlichen Entscheidungen unbewusst getroffen werden. Das, dessen man sich nicht bewusst ist, kann man natürlich nicht zum Ausdruck bringen. Deshalb sei es schwer, für ein Produkt zu werben, wenn man nicht weiß, welche die Elemente eines Werbefilms sind, die in einem Interesse erwecken und welche nicht. Hilfreich wäre es auch zu wissen, ob diese dann eine positive oder eine negative Wirkung haben. Manche Dinge kann man durch die Befragung der Probanden nicht erfahren. Durch Neuromarketing gelangt man zu der Informationsquelle und zu den gewünschten Antworten auf diese Fragen.

Als sie vor ein paar Jahren einen Artikel über Neuromarketing gelesen hat, wurde ihr klar, dass sie durch diese neue Branche ihre akademische Vergangenheit (Medizin) mit ihrer heutigen Aktivität (Werbung) verknüpfen kann. So ist „BuyerBrain” entstanden. Verwendet werden komplexe Gerätschaften wie EEG- und GSR-Apparate, Eye-Tracking-Brillen (ermöglichen die Analyse der Blickbewegungen) oder funktionale MRT-Geräte (Magnetresonanztomografie), die in der Lage sind, mit hoher räumlicher Auflösung die Hirnareale darzustellen, die aktiviert werden, wenn der Proband Reizen ausgesetzt wird.
Für „Moş Costache“, ein Unternehmen, das Honig verkauft, wurden im Rahmen eines Versuchsprojekts die Verpackung des Produkts und die Online-Seite getestet. In zwei Wochen wurden 44 Probanden dem Test unterworfen, die Daten wurden analysiert und die Schlussfolgerungen gezogen: Erfahren wurde, welche Attribute die Konsumenten mit Honig assoziieren, was bisher in Rumänien nie untersucht wurde. „Die von den Kunden bevorzugten Eigenschaften des Honigs wurden auf diese Weise entdeckt. Das wird für die Firma zukünftig vorteilhaft sein“, sagt Frau Iorga. Jetzt weiß die Honigfirma ungefähr, wie sie ihr Produkt zu präsentieren hat.

Auf diese Weise werden viele übliche Hindernisse bei der Vermarktung eines Produktes vermieden: Das Produkt kann vorher getestet werden, Simulationen und Veränderungen sind also möglich, bevor es auf den Markt gebracht wird. Nicht nur die Werbung kann verändert werden, sondern auch das Produkt selbst, was eigentlich im Nachhinein viel Mühe und Geld sparen kann. Das Ziel sei es, dem Konsumenten genau das anzubieten, was ihn zufriedenstellt. Was den finanziellen Aspekt anbelangt, gibt Frau Iorga zu, dass diese Art Marktforschung zwar kostspieliger, aber aussichtsreicher als eine Fokusgruppe ist. Die Technologie wird im Moment am intensivsten in Australien und in den Vereinigten Staaten von Amerika benutzt. Google und Disney zählen beispielsweise zu den Unternehmen, die den Sprung zum Neuromarketing gemacht haben.

Den „Kauf-Knopf” drücken?

Der wissenschaftliche Wert des Neuromarketings ist noch ein heikles Thema. Den Mangel an Glaubwürdigkeit dieser (anscheinend) im Werden begriffenen Industrie erklärt Frau Iorga durch das Wirken mancher Unternehmen, die das Potenzial des Neuromarketings übertreiben. Sehr negativ seien unter dem Aspekt die Bücher des Erfolgsautors Martin Lindstrom, der sich als Marketingberater betätigt. Er ist nämlich kein Neurowissenschaftler, hat aber an groß angelegten Studien teilgenommen. Er habe behauptet, den „Kauf-Knopf” des Konsumenten gefunden zu haben. Eine solche Aussage hat keine wissenschaftliche Grundlage und entspricht nicht den tatsächlichen Ergebnissen, meint Frau Iorga. Über Dinge wie Gedankenlesen oder Suggestion zu sprechen, sei recht übertrieben, erklärt sie weiter. „Die Wissenschaftler, die zusammen mit Lindstrom an dieser Forschung teilgenommen haben, haben einen offenen Brief ausgearbeitet, um zu erklären, dass sie auf solche Schlussfolgerungen nicht gekommen sind und mit Lindstrom nicht solidarisch sind”, fügte sie hinzu. Die Glaubwürdigkeit des Neuromarketings sei aber in der letzten Periode angestiegen: Immer mehr Publikationen erscheinen und Forschungen aus diesem Bereich werden in Fachzeitschriften veröffentlicht.

Mittels Neuromarketing werden auch Filmvorschauen für amerikanische Filme mit großem Budget getestet – „Behalten wird nur das, was eine maximale Wirkung hat, was aber langfristig keine gewinnbringende Strategie ist“, meint Ana Iorga. Anwendung findet Neuromarketing auch in Bereichen wie Einzelhandel, Produktdesign, Webdesign, sogar Architektur: Will man ein umsatzstarkes Einkaufszentrum bauen, dann sollte man es erst mit Neuromarketingmethoden testen. So erfährt man vor der Errichtung des Gebäudes, welche Gestaltung des Baus dem Käufer am meisten Genüge tut. Die Kernfrage ist aber letztendlich ethischer Natur, denn es geht um eine gewisse Wirkung, die auf Individuen ausgeübt werden kann, ohne dass sie sich dessen bewusst sind. Politiker können beispielsweise ihre Reden prüfen lassen (in einigen Ländern machen sie das bereits) und sie optimieren, damit sie vor der Zuhörerschaft glaubwürdiger auftreten.

Das Gespräch nähert sich aber dem Ende. Die kuscheligen Stühle und kostbaren Möbelstücke sind außer Sicht, die tüchtige Diskussionspartnerin ist hinter den Türen verschwunden. Plötzlich meldet sich ein vage alarmierendes Gefühl, nun, da sich eine Menge neue Fragen auftun, denen Misstrauen zugrunde liegt und mit denen man sich alleine zurechtfinden muss: Wünscht man sich denn eine in die Privatsphäre eingreifende Wunderlampe Aladins, die die eigenen Wünsche erfüllt, sogar bevor man an ihr reibt? Und soll es in Ordnung sein, wenn man sich mancher Dinge über sich selbst nicht bewusst ist, währenddessen ein anderer diese Informationen schon ausnutzt?