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Minimale Unterstützung für rumänischen Dokumentarfilm, trotz enormer internationaler Anerkennung

Am Montag, dem 15. März, ist der rumänische Dokumentarfilm „Kollektiv – Korruption tötet“ (Originaltitel: „Colectiv“) für den diesjährigen Oscar in den Kategorien „Beste Dokumentation“ und „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert worden. Es ist die erste rumänische Produktion, die in der über 90-jährigen Geschichte der renommierten Preisverleihung nominiert wird, und es geschieht zum zweiten Mal überhaupt, dass eine Dokumentation eine doppelte Chance auf eine goldene Statue erhält. Dieser Film macht Geschichte. Unlängst erhielt Alexander Nanaus Film eine Nominierung für den Filmpreis der BAFTA (Britische Akademie der Film- und Fernsehkunst) als bester Dokumentarfilm, und 2020 hat er den Europäischen Filmpreis für den besten Dokumentarfilm erhalten, um nur die bedeutendsten Prämien zu nennen. Weltberühmte Kritiker haben den Film gelobt, „IndieWire“ (bedeutende amerikanische Webseite der Filmindustrie) nannten ihn einen der „besten Filme über Journalismus aller Zeiten“. Die „New York Times“ hält den Film für „meisterhaft“, „Variety“ für „explosiv“, die „Los Angeles Times“ für „hervorragend“, die Zeitschrift „Rolling Stone“ findet, „Colectiv“ sei „ein Meisterwerk“. Barack Obama, der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, hat ihn auf die Liste seiner Lieblingsfilme aus dem Jahr 2020 gesetzt, die er im Dezember auf Twitter veröffentlichte.

„Colectiv“ geht von der Tragödie aus, die im gleichnamigen Club in Bukarest Ende Oktober 2015 passiert ist. Damals sind 27 Menschen bei einem Brand während eines Konzerts ums Leben gekommen, weitere 37 starben später an eigentlich nicht lebensgefährlichen Verletzungen: Ihre Todesursache stellten multiresistente Keime dar, die sie sich bei der Behandlung in den Krankenhäusern zugezogen hatten. Wo doch die Regierung ausdrücklich versichert hatte, dass die Kliniken europäischen Standards entsprechen. Der Streifen zeigt „die Geschichte eines Staates, der seine Unfähigkeit und vor allem seine Inkompetenz durch Lüge und Manipulation deckt und das Leben der Menschen zerstört“, so der Regisseur.

„Colectiv“ läuft auf HBO GO und war im März sogar der meistgesehene Film der Plattform. Das ist eine Premiere. Auch in rumänischen Kinos war der Film bis März 2020, vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie, als die Kinos noch offen waren, meist ausverkauft.

„Colectiv“ ist aber nur die Kirsche auf der Torte: In den letzten Jahren erlebt der rumänische Dokumentarfilm einen Aufschwung, die Anzahl der Produktionen wächst, die heimische und internationale Anerkennung steigt, sogar etablierte Spielfilmregisseure wie der neulich in Berlin mit dem „Goldenen Bären“ preisgekrönte Regisseur Radu Jude oder  Corneliu Porumboiu widmen sich diesem Genre. Werke wie „Acasă“ (Zuhause) von Radu Ciorniciuc, „Distanța dintre mine și mine“ (Die Entfernung zwischen mir und mir) von Mona Nicoară und Dana Bunescu, „Vater unser” (Tatăl nostru) von Andrei Dăscălescu, Alexandru Solomons „Tarzans Eier“ (Ouăle lui Tarzan), wie auch „Lemn“ (Holz) von Monica Lăzurean-Gorgan, Michaela Kirst und Ebba Sinzinger (die ADZ berichtete im September 2020), Vlad Petri „București, unde ești?“ (Bukarest, wo bist du?), oder Alex Brendeas „Profu“ (Der Lehrer) sind nur einige der hiesigen Produktionen, die auf bedeutenden Filmfestivals gezeigt wurden, das Publikum anziehen und Preise erhalten haben. 

„Es erscheinen in letzter Zeit viele neue, tolle Stimmen, die etwas zu sagen haben und Dokumentarfilme zu sehr vielfältigen Themen und mit unterschiedlichen Herangehensweisen gestalten“, erklärt Mona Nicoară, Regisseurin, Mitveranstalterin mehrerer Dokumentarfilmfestivals und Filmprofessorin an der Kunsthochschule Tisch School of the Arts in New York. Auch die Nachfrage des Publikums ist um fast 15 Prozent gestiegen, zeigen die Online-Anbieter HBO und Netflix.

Im vergangenen Jahr hat daher Regisseurin und Produzentin Monica Lăzurean-Gorgan die Kampagne „Documentarul contează“ (Der Dokumentarfilm zählt) ins Leben gerufen, damit dem rumänischen nicht-fiktionalen Film mehr Vertrauen und mehr Finanzierung gegeben wird. In einem Treffen mit der Leitung des Nationalen Filmzentrums CNC verlangten die Vertreter der Branche die Verdoppelung des Budgets auf 20 Prozent vom Gesamtbudget des ohnehin kleinen Filmfonds, das 20.000.000 Lei (fast 4 Millionen Euro) beträgt. Bereits seit Jahren tragen Dokumentar-Filmemacher ihr Anliegen an die Behörden heran: 2013 waren rund ein Dutzend von ihnen bei einem Treffen mit dem damaligen Leiter des CNC, Eugen Șerbănescu. 

Doch alles scheint vergebens: Trotz der Versprechen der jetzigen Leiterin des CNC, Anca Mitran, die Summe zu erhöhen, „um zu sehen, was für Ergebnisse das habe“, ist es offensichtlich, dass dieses Genre weiterhin als Stiefkind der Filmbranche behandelt wird. Dafür steht auch die Entscheidung des CNC, bei der diesjährigen Finanzierungslinie dem Dokumentarfilm erneut nur 10 Prozent vom Gesamtbudget zuzuschreiben. Beim nach 14 Monaten Pause angekündigten Wettbewerb für öffentliche Gelder, der im März gestartet wurde, ist dem Dokumentarfilm noch immer fünfmal weniger Budget als dem Spielfilm zugeteilt worden (zwar sind auch die Produktionskosten für Dokumentationen kleiner, nichtsdestotrotz braucht es mehr Finanzierung), also knappe 2.000.000 Lei (rund 400.000 Euro). Für die Entwicklung der Dokumentationen wurden nur insgesamt 25.000 Lei bereitgestellt. Die Summen sind sehr gering, beklagen Regisseure und Produzenten. „Der Dokumentarfilm zählt, jedoch nicht für das CNC“, erklärte Regisseur Alexandru Solomon nach der Oscar-Nominierung von Nanaus Film. Trotz all den Erfolgen scheinen die Entscheidungsträger ihn nicht beachten zu wollen. Infolge des öffentlichen Drucks und vielleicht (hoffent-lich!) auch als Zeichen der Anerkennung hat das CNC am 18. März die Gesamtsumme für Film mit einer Million Lei ergänzt und dem Dokumentarfilm 12, statt 10 Prozent, also 520.000 Lei mehr als am 14. März, gewidmet. Es ist ein klitzekleiner Erfolg nach Jahren.  

Als Filmliebhaberin, aber auch als Person, die Dokumentarfilm gemacht hat und durch das Veranstalten von Filmfestivals und -abenden dieses wertvolle Genre unterstützt, muss ich sagen, dass diese Situation schmerzhaft ist für die Branche. Wäre es nicht selbstverständlich, dass dieses offensichtlich erfolgreiche Genre mehr Unterstützung vom rumänischen Staat bekommt? Was muss noch alles getan und gewonnen werden, damit sich Produzenten und Regisseure auf das Schaffen konzentrieren können, nicht so sehr auf das Einteilen der geringen Ressourcen und das mühsame Auftreiben von Geldern?!