Orbans Priorität und die vorgezogenen Wahlen

Korpsgeist und das Primat der persönlichen und Gruppeninteressen zuungunsten des Allgemeininteresses sind Konstanten des rumänischen politischen Lebens, die nach der Wende nicht mehr kaschiert wurden. Beide werden von den politischen Kommentatoren zunehmend beachtet, denn ohne sie kann man viele Scheinparadoxe des gegenwärtigen öffentlichen Lebens kaum noch erklären.
Da erleben wir dieser Tage das kollektive Aufbäumen des Korps der Diener der Justitia gegen die Streichung ihrer Sonderrenten (oder „Dienstrenten“, für die sie nie auch nur einen Ban eingezahlt haben), die in manchen Fällen höher sind als ihre Löhne. Als diese Renten eingeführt wurden (zusammen mit den unverhältnismäßig hohen Löhnen der Richter, Staatsanwälte, auch Gerichtsschreiber), wurde begründet, mit den hohen Löhnen wolle man die Schmiergeldanfälligkeit der Richter usw. stoppen, bzw. für mehr Gerechtigkeit in jenem Bereich sorgen, der für Gerechtigkeit zu sorgen hat…

Dreht man allerdings den Spieß rum, dann kann man´s auch so sehen: die Richter usw. lassen sich höchst offiziell und höchst legal schmieren, um gerecht für Recht im Rechtsstaat Rumänien zu sorgen. Oder: Alle Steuerzahler legen Leu für Leu zusammen, dass ihre Richter sie – gelangen sie vor den Kadi – gerecht behandeln.
Das Schmieren der Richter soll bleiben. So sehe ich die zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Beitrags angekündigten Proteste und Boykotte des Justizpersonals für ihre „gerechten Renten“.

In ähnlichem Korpsgeist reagierte der Karansebescher Chirurg Gheorghe Borceanu, Vorsitzender des Ärztekollegiums Rumäniens, als eine Patientin in Bukarest auf dem OP-Tisch wegen Schlampigkeit des Personals in Flammen aufging und starb. Oder die Lehrerschaft, als die Unterrichtsministerin bei einem unangekündigten Besuch in einer Schule eine Lehrerin zur Rede stellte, weil sie Schüler angebrüllt hatte (allerdings: Das macht man nicht vor der Klasse, sondern privat oder vor dem Lehrerkollegium).Persönliches (oder Gruppeninteresse?) trieb auch Premierminister Ludovic Orban, als er das Drängen von Präsident Johannis für vorgezogene Wahlen eigentlich nicht hintertrieb, es aber verschaukelte, wie auch andere Versprechungen der PNL, mit denen sie in die zwei Wahlgänge von 2019 ging. Zum Beispiel die Auflösung der Sonderabteilung zur Untersuchung der Straftaten der Staatsanwälte. Oder die vorgezogenen Wahlen. Oder die Rückkehr zur Wahl der Bürgermeister in zwei Wahlgängen. Orban hat sich in der kurzen Zeit, seit er Premierminister ist, zu einem Manipulierer von Aussagen gewandelt, indem er klare Antworten zu vermeiden sucht – etwa in seiner früheren Art, Forderungen auszusprechen, als er als Oppositionsführer sich sympathisch machte.

Was ihm aber dort, wo es um seinen Stolz geht, nicht so recht gelingt. Orban krallt sich auffällig unauffällig an den Premierministerstuhl und hintertreibt (bisher erfolgreich) die von Johannis gewünschten vorgezogenen Wahlen. Johannis erhofft sich von vorgezogenen Wahlen eine komfortable Parlamentsmehrheit für „seine Regierung“. Auch Orban hätte das gerne – nur ohne vorgezogene Wahlen, was voraussetzt, dass seine Regierung erst über einen oder mehrere Misstrauensanträge stürzt. Was Orban nicht so gern möchte. Daher sein Zögern, seine Verzögerungen, zweideutige Stellungnahmen. Hier ist dann nicht einmal mehr Korpsinteresse im Spiel, sondern ganz persönlicher Stolz, vielleicht auch ein bisschen Eigennutz. So lange die PNL (noch) auf dem Kamm der Sympathiewellen schwebt (mit rund 40 Prozent der mutmaßlichen Stimmen) wären vorgezogene Wahlen für seine Partei ein Vorteil. Für Orban auch?
Johannis ist durch seinen Wahlsieg demokratisch voll legitimiert. Er fordert vom nur teillegitimierten Orban etwas. Denn ein gelungener Misstrauensantrag ist kein Wahlsieg. Der Teillegitimierte bockt. Bisher.