Politkrise sorgt für Konjunkturkrise: „Der Standort Rumänien hat stark an Attraktivität für Direktinvestitionen eingebüßt“

ADZ-Gespräch mit Mircea Dascălu, Leiter der Rumänien-Vertretung des BVMW

Mircea Dascălu, Leiter der Rumänien-Vertretung des BVMW

Der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) ist bekanntlich Deutschlands stärkste Vertretung des Mittelstands und seit rund zwei Jahren nunmehr auch in Rumänien aktiv. Über die Vorhaben des BVMW hierzulande, über seine breite Palette an Möglichkeiten, kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) in Rumänien selbst in wirtschaftlich prekären Zeiten geschäftsfördernd zur Seite zu stehen sowie über die Auswirkungen der politischen Dauerkrise im Land auf die Realwirtschaft sprach ADZ-Redakteurin Lilo Millitz-Stoica mit Mircea Dascălu, Leiter der BVMW-Vertretung in Rumänien:

Die Rumänien-Vertretung des BMVW ist derzeit noch jung. Was bezweckt sie und inwiefern konnte sie sich gegenüber anderen Interessensvertretungen hierzulande bereits durchsetzen?

Rumänien war das erste Land, wo regulär Mitgliedsunternehmen dem BVMW e.V. in Deutschland beitreten konnten. Dazu gehören viele Unternehmen, die nicht nur ihre Geschäftsverbindungen nach Deutschland erweitern wollten (wir haben in Deutschland ein sehr effizientes Netzwerk, das aus mehr als 260 Geschäftsstellen besteht), sondern auch ihre Fühler zum Europaparlament ausstrecken wollen. Der BVMW ist wohl der stärkste KMU-Verband in Europa, in Deutschland auf jeden Fall, und nimmt deshalb mit Erfolg politischen Einfluss auf nationaler und europäischer Ebene, damit eine Mittelstandsorientierung in der Wirtschaftspolitik stattfindet. Hierzulande konnte sich die BVMW-Vertretung zu unserer Freude bislang überraschend gut, d. h. mit viel Erfolg durchsetzen.

Wer kann der hiesigen BVMW-Vertretung beitreten? Gibt es bestimmte Voraussetzungen für rumänische oder in Rumänien aktive Unternehmen?

Die Voraussetzungen sind einfach: Jedes kleine oder mittelständische Unternehmen in Rumänien kann bei uns um Mitgliedschaft ansuchen. Selektive Kriterien wie beispielsweise die Aufweisung von deutschem oder sonstigem westeuropäischem Stammkapital gibt es bei uns nicht. Die Firmen, die dem BVMW beitreten, wollen nicht zuletzt ihre Stimmen auch politisch bündeln, um Einfluss auf die Mittelstandsgesetzgebung zu nehmen. Und natürlich auch, um innerhalb des Netzwerkes, welches vom BVMW weltweit aufgestellt ist, agieren und sich austauschen zu können. Folglich werden untereinander eine Vielzahl von Geschäften vermittelt und getätigt, da die Solidargemeinschaft der Mitglieder verständlicherweise die „eigenen“ Unternehmen bevorzugt.

Welches sind die Vorteile, die der BVMW seinen Mitgliedern bietet? Genauer gesagt, was haben Sie im Angebot, was andere Interessensverbände nicht haben?

Erwähnt wurden schon die Netzwerke in Deutschland und weltweit. Das ist ein echtes Asset. Das Vertrauen der Mitglieder untereinander ist hoch. Dieses Vertrauen wurde durch die lokalen, persönlichen Ansprechpartner, die jedes Mitglied hat, gefördert – was an sich ein Alleinstellungsmerkmal sondergleichen ist. Das Netzwerk in Rumänien wird verzahnt durch Veranstaltungen, die jeder Leiter einer Region veranstaltet. Das beste Beispiel ist der bundesweite Unternehmertag M.U.T., der in diesem Jahr im Oktober in Leipzig stattfinden und an dem ich mich natürlich mit einer Delegation rumänischer Geschäftsleute beteilige, denen allen eine persönliche Betreuung zur Verfügung steht.

Darüber hinaus ist die Internationalisierung langfristig betrachtet und besonders aufgrund des europäischen Integrationsprozesses Rumäniens ein überlebenswichtiges Thema für fast jedes rumänische KMU. Die Durchführung einer allfälligen Internationalisierung stellt ein KMU vor viele Herausforderungen: chronisch knappe Ressourcen, zu geringe bis keine internationale Erfahrung, wenig konsequente Umsetzung der Internationalisierungsprojekte. Hier kommt der BVMW den rumänischen KMU entgegen - er unterstützt sie aktiv mit relevanten Informationen über die anvisierten Märkte, gibt wichtige Hinweise über marktspezifische Geschäftsgepflogenheiten, hilft bei der Identifizierung von geschäftsrelevanten Partnern, Spezialisten, Kunden, Behörden und anderen Institutionen, zu denen sodann Kontakte hergestellt werden. Aufgrund des Vertrauensvorschusses, den man als BVMW-Mitglied genießt, lassen sich Geschäfte zudem oft schneller und dadurch eben auch kostengünstiger durchführen.

Welches sind die Hauptanliegen, mit denen Ihre rumänischen Mitglieder an Sie herantreten? Genauer gesagt – wo hapert’s derzeit am meisten?

Obwohl die Anliegen unserer Mitgliedsunternehmen im Einzelnen unterschiedlich sind, gibt es einen gemeinsamen Nenner: Die Notwendigkeit der Erschließung neuer Möglichkeiten für die Geschäftsgenerierung.
Das Umfeld, in dem unsere Mitglieder agieren, wandelt sich immer schneller. Zum einen verschärft sich der heimische Wettbewerb aufgrund der steigenden Zahl von Anbietern, einschließlich ausländischen – man sieht sich dadurch mit immer professionell werdenden Geschäftsmethoden und erfahrener Konkurrenz konfrontiert. Der Zugang zu geschäftsrelevantem Know how und umfangreicher Expertise wird zu einem kritischen Erfolgsfaktor im Wettbewerb. Daher ist für viele unserer Mitglieder die Flucht nach vorn als richtiger strategischer Schachzug anzusehen. Das bedeutet, dass die Ausweitung der eigenen Aktivitäten ins Ausland beispielsweise mit einem Aufbau der Vertriebsinfrastruktur oder Eingehen von strategischen Partnerschaften eine prüfenswerte Alternative geworden ist.

Hierzu unterstützen wir aktiv durch Vermittlung von Kontaktmöglichkeiten über unsere fast 300 Geschäftsstellen in Rumänien, Deutschland und weiteren 30 Ländern. Die Kontakte zu Neukunden und potenziellen Partnern werden auf Veranstaltungen sowie über individuelle Schlüsselkundenakquise vermittelt. Weiterhin bietet der BVMW Geschäftsmöglichkeiten im Rahmen konkreter Projekte oder in Kooperationen.
Zum anderen sind wir auch Impulsgeber, da unsere Geschäftsstelle zur Drehscheibe verschiedenster geschäftsrelevanter Informationen geworden ist. Durch die systematische Auswertung identifizieren wir immer wieder neue Geschäftsmöglichkeiten, die wir unseren Mitgliedern individuell kommunizieren.

Womit konnte die rumänische BVMW-Vertretung ihren Mitgliedern bislang konkret helfen – gab es Geschäftsverträge mit ausländischen Geschäftspartnern, die dank Ihrer Mitwirkung zustande kamen?

Ja, wir haben erfolgreich Geschäfte für unsere Mitglieder vermittelt. Weiters konnten wir auch eine Vielzahl von Partnerschaften einleiten. Ich habe Arbeitsgruppen ins Leben gerufen – als Ergebnis ihrer Arbeit entstanden Geschäftsmodelle, die erfolgreich implementiert wurden und monatlich Einkommen generieren. Wir haben lokal Unternehmen zusammen gebracht, die Partnerschaften eingegangen sind. Wir haben rumänische Unternehmen nach Brasilien gebracht, in die Schweiz und nach Deutschland. Die vermittelten Kontakte vor Ort wurden von unseren Mitgliedern als hochqualitativ empfunden. Ich selbst habe eine Vielzahl von Mitgliedern bei der Kontaktanbahnung ins Ausland begleitet, wo  ich auf die Unterstützung und Expertise meiner BVMW-Kollegen vor Ort bauen kann. Erst letzte Tage begleitete ich ein BVMW-Mitglied aus Rumänien nach Deutschland, wo ein Vertriebsvertrag mit einem anderen deutschen BVMW-Mitglied unterzeichnet wurde.

Welche Projekte zur Unterstützung Ihrer Mitglieder verfolgt die Rumänien-Vertretung des BVMW für die nahe Zukunft? Westeuropa gehört schließlich zu den Hauptabsatzmärkten der heimischen Unternehmen, denen die Krise im Euro-Raum und die entsprechend zurückgehende Auftragslage natürlich zusetzen.

Ich erwähnte bereits als Beispiel den Unternehmertag M.U.T.  als eine der vielen BVMW-Aktivitäten, bei denen sich unsere rumänischen Mitglieder an den deutschen Markt herantasten können. Besagter Unternehmertag ist mehr als nur ein einfacher Konferenztag – es sind über 250 Teilnehmer dabei, unter anderem auch eine Delegation aus Brasilien, die gerade auf einer „Einkaufstour“ in Europa ist. Mit anderen Worten fördert der BVMW die Vernetzung weit über nationale und geografische Grenzen hinaus.

Wie sehr hat sich aus Ihrer Sicht die schwere politische Krise im Land auf die Wirtschaft ausgewirkt? Wie groß ist die Zurückhaltung der Auslandsinvestoren derzeit gegenüber dem politisch instabilen Rumänien?

Es ist zu früh, um sagen zu können, mit welchen Gesamtfolgen die rumänische Wirtschaft ufgrund der politischen Krise rechnen muss. Die komplexen Wechselwirkungen zwischen politischen und ökonomischen Krisen sind immerhin oft und tiefgründig analysiert und hinreichend dokumentiert worden. Daher kann man vorerst nur darauf hinweisen, dass die aktuelle politische Krise die bereits angeschlagene rumänische Wirtschaft schädigt. Wie schwer, wird sich zeigen. Dafür müssten ihre Auswirkungen auf die investitionsrelevanten Standortfaktoren genauer untersucht werden: die Effizienz und Unabhängigkeit des Rechtsystems, des Bankensystems, die Umsetzungsfähigkeit der Verkehrsinfrastrukturprojekte, die Bürokratie usw.

Um Rumäniens geschädigtes Image reparieren zu können, müssten ungeheure positive Energien freigesetzt werden – sowohl politische als auch gesellschaftliche. Und in der jetzigen Konstellation ist dies eher schwer vorstellbar. Daher gehen wir davon aus, dass der Standort Rumänien an Attraktivität für Direktinvestitionen stark eingebüßt hat. Es gibt zwar noch FDI und wird sie auch weiterhin geben, doch bleibt das große Potenzial Rumäniens derzeit nur geringfügig genutzt.

Normalerweise bekommen wir permanent Anfragen von verschiedensten Investoren aus aller Welt. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum sind diese in den letzten Monaten empfindlich zurückgegangen, auch werden wir inzwischen nach unserer Einschätzung bezüglich der Standortstabilität gefragt. Persönlich sehe ich zurzeit zwar noch kein erhöhtes Länderrisiko, sobald ich aber über das allgemeine Stimmungsbarometer gefragt werde, fällt meine Antwort anders aus. Wir können nämlich nicht umhin festzustellen, wie sehr sich Frustration unter den hiesigen Unternehmern breit macht. Und wir reden hier von einem Dauerfrust, nicht von einer konjunkturell bedingten schlechten Stimmung.

Die rumänische Wirtschaftspresse berichtet zunehmend über Kapitalflucht und den Abzug erster Großinvestoren aus Rumänien. Haben Sie ähnliche Beobachtungen gemacht?

Da die Kapitalflucht im Allgemeinen im Zusammenhang mit dem staatlichen Tun und Lassen erwähnt wird, liegt die Vermutung nahe, dass eine politische Krise des Ausmaßes, wie wir sie gerade in Rumänien haben, ein derartiges Phänomen auslöst. Ich würde gegenwärtig aber eher von einem Netto-Kapitalabfluss sprechen. Die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben sich schließlich durch die aktuellen politischen Missstände nicht über Nacht geändert. Im letzten Jahrzehnt wurden große Investitionen in der Realwirtschaft getätigt,  sie flossen hauptsächlich in Projekte, in Sachwerte, die sich nur schwer in Liquidität umwandeln lassen, um so einen Kapitalabzug zu ermögichen. Es mag sein, dass kleinere Investitionen gestoppt wurden, dass manche Investoren Rumänien inzwischen den Rücken gekehrt haben oder abgewandern wollen. Aber Kapital, das sich in ein paar Monaten abziehen lässt, war ohnehin nicht für langfristige, notwendige Investitionen gedacht.

An einen „spontanen“ Rückzug großer internationaler Investoren glaube ich im Moment noch nicht. Jede Großinvestition durchläuft einen komplexen Entscheidungsprozess, Risikomanagement wird intensiv betrieben, wobei Szenarien wie das jetzige in Rumänien im Vorfeld mitberücksichtigt werden. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass im Falle des Eintretens eines solchen Szenarios kein automatischer, sofortiger Kapitalabzug erfolgt – selbst wenn die Wirtschaftspresse unkt. Allerdings muss auch gesagt werden, dass eine politische Dauerkrise das Fass durchaus zum Überlaufen bringen kann. Ein Mix aus anhaltender europäischer Wirtschaftskrise, teilweise suboptimaler wirtschaftspolitischer Rahmenbedingungen vor Ort sowie die lokale Korruption können einen internationalen Großinvestor letztlich sehr wohl dazu bewegen, sich aus Rumänien zurückzuziehen.

Die aktuelle Regierung hat die Wirtschaft bislang kaum fokussiert, wirtschaftsfördernde Maßnahmen fehlen nach wie vor. Durch den Nachtragshaushalt wurden die Investitionen aus öffentlicher Hand noch mehr zurückgefahren – viele Unternehmer fürchten nun, dass es kein Geld mehr für die Ko-Finanzierung der mit EU-Mitteln geförderten Projekte geben wird. Wie wichtig ist aus Sicht des BVMW die Beibehaltung und Nutzung des einzigen Konjunkturpakets, über das Rumänien als armer Staat verfügt – nämlich die europäischen Fördergelder?

Die europäischen Fördergelder stellen eine einmalige Chance für Rumänien dar. Aus unserer Sicht ist und bleibt Mittelstandsförderung unabdingbar für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Rumänien. Die Befürchtung, dass die Kürzung der staatlichen Hilfen die Aufnahmefähigkeit der europäischen Förderung stark beeinträchtigen wird, ist leider berechtigt.

Mit welcher Konjunkturentwicklung rechnen Sie kurz- bis mittelfristig in Rumänien?

Ich befürchte, dass die gegenwärtige Krisenlage in Rumänien, die auch noch von der gesamteuropäischen Krise überlappt wird, jede Einschätzung bezüglich der Konjunkturentwicklung wie Kaffeesatzleserei aussehen lassen würde. Sollte ich eine Prognose abgeben, würde ich höchstwahrscheinlich schon morgen Erklärungen abgeben müssen, weshalb sie angesichts neuester Entwicklungen nicht mehr stimmt.