Randbemerkungen: Die „Mühen  der Ebene“

Mit dem (vorerst) Quasi-Sieg des Oppositionsbündnisses in Polen steht ein Regierungswechsel ins Haus. Aber erst, nachdem Präsident Andrej Duda alle konstitutionellen Schritte ausgelotet hat. Die erzkonservative, antieuropäische und antideutsche PiS (das ist „Prawo i Sprawiedliwosc“, etwa „Recht und Gerechtigkeit“) des erzkonservativen, stramm-katholischen Ex-Solidarnosc-(Mit-)Helden Jaroslaw Kaczynski hat zwar die Mehrheit der Stimmen und Sitze im Parlament und muss laut Verfassung die erste Option des Präsidenten für die Regierungsbildung sein. Doch fehlen ihr die ihr genehmen Koalitionäre und sie sitzt in einer Zwickmühle, denn: a) sie klammert sich krampfhaft – so behaupten unisono die Kommentatoren – an die Macht; und b) sie kann die Macht nicht mehr halten, weil sie in der Praxis – überwiegend von den Frauen und den Erstwählern - abgewählt wurde.
Kann also die Erstoption Dudas, Parteichef Jaroslaw Kaczynski (oder egal wer von der PiS) keine Regierungsmehrheit zusammenkratzen, könnte die PiS noch die Vertrauensfrage im Parlament stellen. Die sie, bei den neuen Mehrheitsverhältnissen, unmöglich überleben kann. Duda hatte seine Absicht, es erst mal mit der PiS zu probieren, gleich nach der Wahl öffentlich bekanntgegeben. Die PiS, ihrer Machtlosigkeit bewusst, machte nach der Wahl offene Avancen in Richtung der Bauernpartei PSL, um vielleicht doch noch zu einer Parlamentsmehrheit zu kommen. Deren Chef allerdings, Wladyslaw Kisoniak-Kamysz, erinnerte entschieden daran, dass seine Partei - 128 Jahre alt und seit 1989 ununterbrochen im Sejm - mit dem Wahlspruch angetreten sei, „Entweder ‘Dritter Weg‘ oder eine dritte Amtszeit für die PiS” – und dass das Letztere nun nicht mehr eintreffen könne.

Und übrigens habe die PSL mit stabiler Grundwählerschaft am Land ein Wahlbündnis mit der „Polska 2050” des ursprünglich parteilosen Szymon Holownia abgeschlossen. Der katholische Publizist und gute Redner Holownia hatte schon bei den Präsidentschaftswahlen zwischen Duda (PiS) und Rafal Trzaskowski („Bürgerplattform”), als Parteiloser, mit 13 Prozent der Stimmen mehr als einen Achtungserfolg errungen und sucht, zusammen mit der Bauernpartei PSL, einen „Dritten Weg” für Polen.

Nach dem voraussehbaren Scheitern der PiS vor dem neuen Parlament kann es Präsident Duda aber dann mit der „Bürgerplattform”, der Drei-Parteien-Oppositionskoalition unter Donald Tusk (derjenige, der sich „noch nie so über einen Rang zwei gefreut hat” wie nach dieser Wahl) mit der Regierungsbildung versuchen. Scheitert auch diese mit ihrem Regierungsvorschlag – etwa bei der Vertrauensfrage im Parlament, dem Sejm – dann kommt neuerlich Präsident Duda: er kann einen weiteren, einen dritten Kandidaten als Regierungschef vorschlagen. Fällt auch dieser durch, dann müsste der Präsident Neuwahlen ausschreiben.

Die Sitzverteilung im Sejm (460 Plätze), dem entscheidenden Parlamentsgremium Polens, sieht so aus: PiS – 194, „Bürgerplattform” KO – 157; „Dritter Weg”/”Trzecia Droga” – 65; „Lewica”/”Neue Linke” – 26, „Konfederatia” – 18. Das Oppositionsbündnis hat also mit 248 Sitzen eine regierungsfähige Mehrheit.

Das Spektrum der Tusk-Koalition ist aber zerreißbreit. Der „Dritte Weg” aus „Polska 2050” und PSL ist gemäßigt konservativ, christlich, wirtschaftsliberal und trotzdem ökologisch. Die „Neuen Linken” stehen davon ziemlich weit entfernt, denn da sind u.a. Postkommunisten und junge linke Bewegungen. Mittendrin ein Tusk mit seiner „Bürgerkoalition”. Holownia mit seinem „Dritten Weg” und 14,4 Prozent der Stimmen und die „Neuen Linken” mit 8,6 Prozent Stimmenanteil bei diesen Rekordwahlen (Wahlbeteiligung 74,38 Prozent – bisheriger Rekurd in Polen: 1989 mit 62,7 Prozent) haben ein wichtiges Wort in der möglichen Regierungskoalition. Deren Herkulesarbeit: acht Jahre radikalen Demokratierückbaus Polens rückgängig machen.