Randbemerkungen: Vom „Glück der Schuld“

Es gibt in der rumänischen Kulturszene und im Gedächtnis einer Vielzahl von Intellektuellen dieses Landes eine Reihe selbstgewählter Blindflecken, denen der seit 1990 ausstehende „Prozess des Kommunismus‘“ sehr entgegenkommt. So erklärt werden kann u. a. die Tatsache, dass in einem traditionsreichen und prestigevollen Monatsblatt, wie die in Neumarkt am Mieresch/Târgu Mureș herausgegebene „Vatra“ (= Herd- oder Feuerstelle) ein vehement antisemitischer Text eines „Philosophen“ – Dan Culcer, der sich längst als Sympathisant ultrarechter, souveränistischer und chauvinistischer Ideologien geoutet hat – erscheinen konnte und dass dies zwar heftige Reaktionen mancher Intellektueller Rumäniens (Andrei Cornea, Corina Șuteu u. a.) hervorrief, aber nur eine zögerliche (und auf Januar 2024 verschobene) Reaktion der Chefredaktion und (bis zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Kommentars) keine des Hauptfinanzierers des Blattes, des Kreisrats Târgu Mureș. Wütend reagierte der Vorsitzende des Schriftstellerverbands, Nicolae Manolescu, gehört die Zeitschrift doch zum Medienpool des Verbands. 

Fragen des Kollaborationismus mit den Kommunisten mit dem Preis der Belohnung mit außerordentlichen sozialen Vorteilen, aber auch antidemokratisch-profaschistischer (und nachhaltig uneinsichtiger) Haltungen von auch heute idolatrisierten rumänischen Intellektuellen – Mihail Sadoveanu, George Călinescu, Mihail Ralea, Mircea Eliade (und diese Schlange ist lang…) – werden eifrig ausgeklammert und Stellungnahmen zu solchen Fragen sind rar. Etwa 1992 ein langer Zeitungsbeitrag von Norman Manea unter dem Titel „Culpa fericită“ (Glück der Schuld) über den auch heute aufs Schild gehobenen Religionsphilosophen Mircea Eliade und dessen unveränderte pro-faschistische und betont antisemitische Sympathien bzw. Antipathien – der neben zögerlicher Zustimmung einen Entrüstungssturm auch dort verursachte, wo man es nicht erwartete – sogar bei der heute ebenfalls auf den Sockel gestellten Monica Lovinescu.

Culcer greift in seinem „Vatra“-Beitrag vehement drei rumänische Spitzenintellektuelle jüdischer Herkunft an: den Ethnologen, Anthropologen, Religions- und Mentalitätenhistoriker Andrei Oișteanu, den Schriftsteller Norman Manea und den Philosophen, Kunsthistoriker, Klassizisten (hat Platon neu übersetzt und herausgegeben) und Essayisten Andrei Cornea. Sie hätten kein Recht, „Werte und Mythen der Rumänen“ zu entmystifizieren, und – sie hätten überhaupt nichts in der rumänischen Kultur zu suchen. Manea wird sein Zeitungsbeitrag von 1992 zum Strick: er sei erst ein erfolgreicher Schriftsteller geworden, nachdem er einen „Kuhhandel“ („trocul“, im Original) als Jude abgeschlossen habe und dem Pro-Faschisten Eliade aufs Fell gerückt sei. (Unter uns: das erinnert frappierend an den Putin-Diskurs mit dem Krieg zur „Entfaschisierung der Ukraine“) Manea habe „aus Sicht jüdischer Dogmen die Legionärsbewegung zensuriert und kritisiert“. Jener Pressebeitrag sei das Startbrett für Maneas internationale Schriftstellerkarriere im Abendland („die Bedingung fürs Gesetztsein auf die ‘Nobelierungsliste’“) gewesen. Dass der „Philosoph“ Dan Culcer statt „evreu“/“Jude“ konsequent das herabwürdigende „jidov“ benutzt („Comunitatea mondial/istă/ a jidovilor“) sei nebenbei bemerkt. Inzwischen hat „Vatra“-Chefredakteur Iulian Boldea sich öffentlich entschuldigt und für die Januar-Ausgabe eine Erklärung versprochen, dafür, wie es zur Veröffentlichung kam. 

Das Gespenst des Antisemitismus ist schon bis in die Intellektuellenmedien gedrungen. Drüber zu schweigen heißt Schuld. Glück ist was anderes.

P.S. Neuerdings erscheint mein Name, als „Germanist“ und „Mitglied der verblichenen Aktionsgruppe Banat“ auf Listen der verabscheuungswürdigen Gegner des rumänischen Rechtsextremismus, Chauvinismus und Souveränismus. Das ist mir eine Ehre.