Reden ist Silber, Handwerk ist Gold

Initiative für duale Berufsausbildung schafft Perspektiven in der Region Kronstadt

Dipl.-Ing. Karl Hellwig vor der Berufsschule für Holzbearbeitung

Die Schreinerwerkstatt, einer der modernen Unterrichtsräume.
Fotos: Anna Brixa

„Wenn Sie sich, verkehrstechnisch gesehen, deutsch verhalten wollen, müssen Sie bis zur Tankstelle fahren, dort wenden und dann rechts zur Berufsschule abbiegen“, erklärt man mir am Telefon. „Oder Sie biegen gleich links ab. Das ist nicht erlaubt. Aber das machen wir immer so.“ Bereits in der Wegbeschreibung vermengen sich ein Quäntchen deutsches Ordnungsbewusstsein und ein Quäntchen rumänische Kreativität – eine Mischung, die zum Fundament der am 21. Oktober neu eröffneten Berufsschule für Holzbearbeitung in Reps/Rupea geworden ist.

Das strahlend weiß getünchte und neu gedeckte Gebäude an der Schnellstraße nach Schäßburg/Sighişoara lässt nur erahnen, wie viel Arbeit und Energie Dipl.-Ing. Karl Hellwig und sein Team in den letzten zwei Jahren hineingesteckt haben. Schritt für Schritt war aus dem ehemaligen Stallgebäude eine hervorragend ausgestattete und mit viel Liebe zum Detail eingerichtete Werkstatt geworden.

Als erstes Empfangskomitee springt mir eine weiße Mischlingshündin entgegen, sichtlich erfreut über die ungewohnte Besucherschar. Und da biegt auch schon Karl Hellwigs Wagen von der Straße ab – nach links natürlich. „Die Hindernisse waren groß, aber Wunsch und Wille waren stärker“, sagt er zur Begrüßung und wirft einen stolzen Blick auf „seine“ Berufsschule.

Die Idee dazu war bereits vor Jahren aufgekommen, nachdem durch den gemeinnützigen Verein ,,NOWERO“ aus Reps sowie seine Partner „TransSilvania e.V. – Partner für Rumänien“ und „Europas Kinder Pirna e.V.“ mit der Etablierung einer Näherei, einer Friseurschule und Kursen in EDV/Bürokommunikation berufliche Perspektiven für junge Mädchen aus dem örtlichen Kinderheim geschaffen wurden. Ihnen war nicht nur die Absolvierung einer Meisterlehre, sondern ebenso die Chance auf eine weitergehende Beschäftigung geboten worden.

Überzeugt vom nachhaltigen Erfolg des Projekts, sollten daraufhin auch Jungen aus dem Kinderheim in Stein/Dacia an einer Lehrwerkstatt ausgebildet werden – doch deren schwere Industriemaschinen waren für den Anfängerunterricht ungeeignet gewesen.

Landesweit würden viel zu viele Jugendliche selbst nach der Ausbildung ihr Handwerk nicht beherrschen, klagt Hellwig – weil sie keine Möglichkeit zum praktischen Lernen gehabt hätten. Von nun an steht dem örtlichen Lyzeum unter Leitung von Prof. Dr. Maria Antal endlich eine solche Werkstatt zur Verfügung; ein Partnerschaftsvertrag wurde bereits unterzeichnet. 56 Schüler werden hier künftig unter Anleitung des Meisters Csaba Molnár und eines unterstützenden Gesellen in zwei Berufsschuljahren zum Schreiner ausgebildet.

Berufsschule mit Modellcharakter

„Handlungsorientierter Unterricht“ heißt das Konzept, das in der dualen Berufsausbildung zum Tragen kommt. Dieses deutsche Modell steckt in Rumänien bislang noch in den Kinderschuhen und wird zuweilen kritisch beäugt. Doch der Vorsitzende der Kronstädter Industrie- und Handelskammer, Nicolae Ţucunel, bekräftigte in seiner Ansprache die Überzeugung, dass gerade dieses Modell für Rumänien das richtige sei. Es trage heute schon in Kronstadt Früchte. Weiter unterstrich Ţucunel den hohen Stellenwert der Holzindustrie für das waldreiche Land: Genug Material sei allemal vorhanden, nur werde es oftmals nicht richtig verarbeitet. Gerade deshalb sei es wichtig, Spezialisten heranzubilden, die der Industrie zu einem Aufschwung verhelfen könnten.

Der Bürgermeister von Reps, Ing. Flavius Dumitrescu, warnte hingegen vor allzu viel Optimismus. Zwar habe es diverse Schwierigkeiten während der Bauzeit gegeben, die großen Schwierigkeiten aber begännen erst jetzt. Es sei harte Arbeit, richtige Fachkräfte auszubilden – die nicht nur ein Diplom in der Tasche hätten, sondern wirklich praktisch geschult seien und sich im späteren Berufsleben durchschlagen könnten.

Im Grußwort von Thomas Gerlach, dem Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in Hermannstadt/Sibiu, wurde die Werkstatt als ein „bedeutender Schritt für die Fachkräfteausbildung im Kreis Kronstadt/Braşov und darüber hinaus“ gewürdigt. Von vielen Seiten werde das Fehlen gut ausgebildeter junger Leute beklagt, dem die Initiative aus Reps mit ihrem Modellcharakter sowie einer spürbaren Aufwertung des Handwerks entgegentrete.

Denn das Handwerk blickt in der Region auf eine jahrhundertelange Tradition zurück. Auch war Kronstadt einmal die nach Bukarest zweitwichtigste Industriestadt des Landes und damit eines der großen Zuzugszentren für Arbeitssuchende gewesen, bis es im Zuge der Privatisierung vieler Unternehmen in großem Umfang zum Verlust von Arbeitsplätzen kam. Erst durch die Abwanderung spezialisierter Kräfte und die massenhafte Auswanderung der Siebenbürger Sachsen war der heute existierende Fachkräftemangel entstanden.

Vonseiten der deutschen Sponsoren erging ein dringender Appell an die Wirtschaft vor Ort, das ihrige dazuzutun, damit die jungen Absolventen Perspektiven in der Region fänden. Lambert Lütkenhorst, Vorsitzender des Vereins „TransSilvania e.V.“ und Bürgermeister von Dorsten/Nordrhein-Westfalen, bekräftigte: „Wir sind davon überzeugt, dass junge Menschen in diesem Land nur eine Zukunft haben, wenn sie eine gute Bildung und Ausbildung haben. Wir brauchen die Unterstützung der Wirtschaft, wir brauchen eine gute Zusammenarbeit mit den Unternehmen hier in der Region.“

„TransSilvania e.V.“ engagiert sich schon seit über 20 Jahren unter dem Credo „Hilfe zur Selbsthilfe“ im Kreis Kronstadt und fördert neben Jugendprojekten u. a. auch Essen auf Rädern sowie den Betrieb eines Altenheims. Große Unterstützung für die Errichtung der Lehrwerkstatt hatte der Verein von Renovabis, dem Osteuropahilfswerk der Katholischen Kirche Deutschlands, erhalten. Die finanzielle Förderung des Projekts ist von Seiten der deutschen Sponsoren jedoch erst einmal begrenzt auf die nächsten vier Jahre, sodass man auch hier auf eine tatkräftige Unterstützung vor Ort setzt.

Damit man auch in Reps träumen kann

Karl Hellwig steht für den Grundsatz, nicht nur über die Dinge zu reden, sondern aktiv mit anzupacken – und nicht etwa eigene Interessen in den Vordergrund zu stellen. Die örtliche Verwaltung könne dem Projekt bereits im kleinen Rahmen helfen, etwa durch die Übernahme der Betriebskosten. Oftmals gebe es leider aber auch bürokratische Hürden zu überwinden, für die niemand die volle Verantwortung tragen wolle.

Die jungen Berufsanfänger vergleicht er mit Wandergesellen, die einmal in die große weite Welt hinausziehen werden, um Erfahrungen zu sammeln und dort ihr Glück zu machen. Ob nun im Kreis Kronstadt oder im Westen, ob vorübergehend oder für immer: Hauptsache, sie hätten ihr Handwerk gut gelernt. Und falls sie einmal zurückkämen, könnten sie hier vor Ort den Stier bei den Hörnern packen und auf eigenen Beinen stehen. „Handwerk hat goldenen Boden“, diesen Grundsatz hat sich die Berufsschule auf die Fahnen geschrieben. Und Hellwig ergänzt: „Es gibt viele Jugendliche, die träumen. Paris, München, Barcelona, Rom... vielleicht träume ich auch. Aber ich will, dass sie, falls sie in den Westen gehen, dort wenigstens auch etwas tun können.“

Was die angehenden Schreiner in der Lehrwerkstatt herstellen, ein Küchenbrett oder einen Hocker etwa, dürfen sie nach dem Unterricht mit nach Hause nehmen. Das steigert die Motivation bei der Arbeit und den Stolz auf das fertige Produkt. Der Faktor Mensch, so Hellwig, dürfe nie vernachlässigt werden, vielmehr solle eine Symbiose zwischen Ausbildendem und Auszubildendem entstehen. Auf diese Weise erfahren die jungen Handwerker von Anfang an eine ganz grundlegende Form der Wertschätzung – und vielleicht damit auch das Gefühl, in dieser Gesellschaft und hier vor Ort wirklich gebraucht zu sein.  
Gegen Ende der Eröffnungsfeier wurde scherzhaft der Wunsch nach einem Kreisverkehr laut. Doch wie immer auch die jungen Schreinerlehrlinge zu ihrer Berufsschule abbiegen, und welche Richtung sie mit dem Diplom in der Tasche einmal einschlagen – sie können davon ausgehen, auf dem richtigen Weg zu sein.