Rumänien: ein Land der (großen) Gegensätze

Faktoren, die unsere Lebensqualität beeinflussen, unter der Lupe

Arbeitslosenquote in Prozent auf Kreisebene | Daten: INS | Grafiken: Arthur Glaser

Durchschnittlicher Nettolohn pro Monat in Lei (Skala hell-dunkel: 3426 Lei - 6016 Lei) | INS

Erfolgsquote beim Abitur 2023 in Prozent (Skala: 51,9%-84,7%) | Bildungsministerium

Lebenserwartung in Jahren je Kreis (Skala: 73,2 Jahre - 81,2 Jahre) | INS

Seit 2011 hat die OECD den Lebensqualitätsindex ins Leben gerufen. Mit dem Indikator versucht die Organisation, regelmäßig die Lebenszufriedenheit der Menschen in unterschiedlichen Ländern zu messen. In die Berechnung des Indikators fließen Faktoren wie Einkommen, Beruf, Wohnverhältnisse, Bildung, Gesundheit, Zugang zu Dienstleistungen, Umwelt, Sicherheit sowie Zivilengagement ein. In den vergangenen Jahren landete Rumänien bei vergleichbaren Indikatoren innerhalb der EU oft auf den hinteren Plätzen.

Soziale Mobilität und eine Steigerung der Lebensqualität ist bei Weitem nicht für jeden unabhängig von seiner Herkunft und Bildung möglich. Dies gilt auch für Rumänien. Es ist ein Land der großen Gegensätze. Doch wie groß sind diese tatsächlich? Ein Blick auf visualisierte Daten, die Ende 2023 veröffentlicht wurden, ergeben ein genaueres Bild von den Faktoren Bildung, Arbeitslosenquote, Lebenserwartung sowie das durchschnittliche Nettogehalt. Es lohnt sich also ein Blick auf die Daten in den unterschiedlichen Kreisen in Rumänien. 

Lohnniveau steigt, Gegensätze bleiben konstant hoch

Mitte Februar gab das Nationale Statistikinstitut (INS) bekannt, dass das Netto-Durchschnittsgehalt in Rumänien auf Basis des Dezembermonats 2023 gegenüber dem Vorjahr um fast zehn Prozent unter der Berücksichtigung der Inflationsrate gestiegen ist. Das durchschnittliche Nettogehalt lag dabei bei 4584 Lei. Nur Bulgarien hat innerhalb der EU ein noch niedrigeres durchschnittliches Nettoeinkommen. Der landesweite Anstieg ist erfreulich, doch gibt es auf Kreisebene erhebliche Unterschiede.

Das höchste durchschnittliche Nettogehalt gab es Ende 2023 in Bukarest mit 6016 Lei. Dies sind zehn Prozent mehr als vor einem Jahr. Es folgen die Kreise Klausenburg/Cluj mit knapp über 5800 Lei. Die weiteren Plätze belegen Temesch/Timiș (5678 Lei), Hermannstadt/Sibiu (5035 Lei) sowie Ilfov (4880 Lei) Am anderen Ende der Skala liegen die Kreise Vâlcea (3615 Lei), Hunedoara (3588 Lei), Vrancea (3504 Lei) sowie das Schlusslicht Teleorman (3426 Lei).

Einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung Rumänien (FES) und Syndex România zufolge benötigt eine Familie 9978 Lei pro Monat für ein angemessenes Leben. Grundlage dieser Berechnung sind die hohen Inflationsraten bei Lebensmitteln, Bekleidung sowie Wohnkosten. Für Familienhaushalte mit nur einem Gehalt ist es somit enorm herausfordernd.

Arbeitslosigkeit: Süden und Osten fallen ab

Die Arbeitslosenrate ist ebenfalls ein Faktor für die Lebensqualität. Einer von drei rumänischen Arbeitnehmern lebt vom Bruttomindestlohn. In einigen Kreisen des Landes scheint es jedoch schwierig zu sein, selbst für den gesetzlichen Mindestlohn einen Arbeitsplatz zu finden. Im Dezember 2023 lag die Arbeitslosenquote in Rumänien bei 5,4 Prozent. Damit waren offiziell über 400.000 Rumänen ohne Erwerbstätigkeit. Bei der Arbeitslosenstatistik lassen sich vor allem regionale Disparitäten erkennen. Es herrscht ein Nord-Süd- sowie Ost-West-Gefälle. Ausnahmen im Süden stellen der Kreis Ilfov sowie die Hauptstadt dar.

Die höchste Arbeitslosenquote wies zum Ende des vergangenen Jahres der Kreis Teleorman mit 7,76 Prozent auf. Es folgen die Kreise Vaslui mit (7,49 %), Dolj (7,1 %) sowie Mehedinți mit 6,69 Prozent. 

Nicht überraschend verzeichneten vor allem wirtschaftsstarke Kreise, die bessere Berufschancen bieten, eine besonders niedrige Arbeitslosenquote. Zu den Landeskreisen mit geringer Arbeitslosigkeit gehören Ilfov mit 0,46 Prozent, Temesch (0,87 %), Klausenburg (1,16 %) und Arad (1,18 %). Bukarest kam dabei auf eine Arbeitslosenquote von 0,92 Prozent.

Blick auf die Lebenserwartung – mit Überraschung

Die Lebenserwartung hängt  wiederum von mehreren Faktoren ab. Wer sozio-ökonomisch besser gestellt ist, kann sich in der Regel auch gesünder ernähren und sich eine bessere medizinische Versorgung leisten. Natürlich spielen auch weitere Faktoren wie der Lebensstil, chronische Vorerkrankungen sowie Umwelteinflüsse eine entscheidende Rolle.

Mit einem Blick auf die visualisierte Karte kann man feststellen, dass es zwischen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Kreises und der Lebenserwartung gewisse Korrelationen gibt. In ärmeren Kreisen sind die Bewohner statistisch auch mit einer geringeren Lebenserwartung konfrontiert. Die niedrigste Lebenserwartung weist der Kreis Tulcea mit 73 Jahren und 3 Monaten auf. Tulcea liegt auf Kreisebene in der zweiten Hälfte der mit der höchsten Arbeitslosenquote und auf Platz 37 beim durchschnittlichen Nettolohn im Land. Auch in Giurgiu, Sathmar/Satu Mare, Olt, Ialomița, Călărași, Botoșani, Brăila und Bacău liegt die Lebenserwartung statistisch unter 75 Jahren, während sie in den Kreisen Teleorman, Vaslui, Hunedoara, Dolj, Buzău und Salasch/Sălaj knapp über 75 Jahren liegt.

Spitzenreiter beim Faktor Lebenserwartung ist etwas überraschend der Kreis Vâlcea mit 81,2 Jahren. Auf den nachfolgenden Platzierungen landen Bukarest (78,4 Jahre), Klausenburg (77,5 Jahre) und Kronstadt/Brașov (77,4 Jahre). Zu den besten zehn gehören auch noch die Kreise Hermannstadt, Temesch, Alba, Bistritz-Nassod/Bistrița-Năsăud und Jassy/Iași.

Innerhalb der EU gehört die Lebenserwartung in Rumänien zu den geringsten. Nur die Bulgaren haben statistisch eine noch kürzere Lebenserwartung.

Divergierende Ergebnisse im Bildungsbereich

Die Lebensqualität ist auch eng mit der Bildung verbunden. Doch die letzten Auswertungen der PISA-Tests zeichnen ein trauriges Bild. Die Teilnehmer aus Rumänien erreichten in nahezu allen geprüften Fächern weit unterdurchschnittliche Leistungen. Das rumänische Bildungssystem steht nicht erst seit den erschreckenden Ergebnissen des vergangenen Jahres in der Kritik. 

Betrachtet man die Statistiken der Bestehensquoten bei der nationalen Evaluation am Ende der achten Klasse sowie bei der Abiturprüfung, so diagnostizieren sie das Problemfeld Bildung.

Bei der nationalen Evaluation 2023, wurde in nur fünf Kreisen eine Bestehensquote von über 80 Prozent erreicht. Auf dem ersten Platz die Hauptstadt mit einer Bestehensquote von 88,9 %. Dahinter folgen die Landeskreise Klausenburg mit (87,4 %), Brăila (82,8%), Prahova (82,3%) und Galatz (80,1%). Am anderen Ende der Skala finden sich acht Kreise wieder, in denen die Erfolgsquote unter 70 % lag. Mehedinți (69,5), Arad (69,4 %), Dâmbovița (69,2 %), Ialomița (68,2 %), Botoșani (66,2 %), Vaslui (63,7 %), Călărași (63,2 %) sowie Teleorman (62,1 %).

An der Spitze der Erfolgsquotenliste beim Abitur steht der Kreis Brăila, wo 84,7 % das Abitur bestanden. Klausenburg (84,3 %) und Jassy (82,2 %) belegen Platz zwei und drei. Die weiteren Plätzen nehmen Bacău, Galatz und Alba mit einer Erfolgsquote von jeweils über 81% ein. Auf den letzten drei Plätzen liegen Giurgiu (61,3 %), Călărași (60,6 %) und Tulcea (51,9 %). Bukarest liegt in dieser Rangliste mit 78,8 % an neunter Stelle.

Bildungssystem und Erfolgsquoten zu hinterfragen

In den Statistiken sehen die Ergebnisse auf den ersten Blick ordentlich aus. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend, dass die Kreise mit hohen Quoten eine besonders gute Bildungspolitik machen. Erfolg oder Misserfolg bei den nationalen Prüfungen werden von vielen, teils komplexen Faktoren beeinflusst.

Beleuchtet man die Statistik der Schülerzahlen des Jahrgangs, der 2023 das Abitur abgelegt hat, so sticht der Schülerschwund auf dem Weg von der ersten Klasse bis zur zwölften Jahrgangsstufe hervor. Im Schuljahr 2011/12 starteten 206.055 Schülerinnen und Schüler in der ersten Klasse. Im Schuljahr 2019/20 besuchten nach der nationalen Evaluation noch 175.400 die neunte Klasse. Drei Jahre später wurden wiederum nur noch 147.500 in der zwölften Klassenstufe registriert, von denen 114.500 zur Abiturprüfung 2023 angemeldet wurden.

Der Schwund lässt sich teils auch auf die Arbeitsmigration vieler Eltern zurückführen, die Rumänien mit ihren Kindern verlassen. Als weit wichtigeren Grund verweisen Bildungsexperten jedoch auf das sogenannte „Brăila -Phänomen“: Dahinter steckt eine Strategie, die dafür sorgen soll, die Erfolgsquotenstatistik bei den nationalen Prüfungen deutlich zu erhöhen. Die Lehrer lassen dabei Schüler mit schlechteren Noten während der Schuljahre absichtlich nicht zur Teilnahme an den Abschlussprüfungen zur nationalen Evaluation zu. So treten eben nur Schüler an, die in erster Linie die besten Chancen auf einen Prüfungserfolg haben. Die Strategie ist erfolgreich: Der Kreis Brăila hatte bei beiden landesweiten Prüfungen eine Bestehensquote von über 80 Prozent.

Statistische Ausreißer

In den meisten Kreisen gibt es Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Faktoren. In drei Kreisen gibt es jedoch keine ersichtlichen Korrelationen zwischen Arbeitslosigkeit, durchschnittlichem Einkommen, Lebenserwartung und Bildungsergebnissen.

Obwohl Ilfov beispielsweise landesweit vergleichsweise gute Gehälter bietet und eine niedrige Arbeitslosenquote hat, liegt er bei der Abiturientenquote auf dem letzten Platz. Die Einwohner des Kreises Vâlcea haben zwar fast die niedrigsten Gehälter, aber die höchste Lebenserwartung im Land. Arad ist einer der Kreise mit den prozentual wenigsten Arbeitslosen, aber die Ergebnisse der Schüler bei der nationalen Evaluation sind die siebtschlechtesten mit einer Erfolgsquote von weniger als 70 Prozent.