Rumänische Weltpremiere auf Berlinale

Interview mit dem Regisseur von „Săptămâna Mare“, Andrei Cohn

Nicoleta Lefter als Sura, Doru Bem als Leiba und Mario Gheorghe Dinu als Eli | Foto: Mandragora/Shellac

Der einzige rumänische Beitrag der Berlinale, „Săptămâna Mare” (Karwoche) von Andrei Cohn, feierte bei 74. Ausgabe des Filmfestes seine Weltpremiere. Am Rande dieses Ereignisses ergab sich die Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Regisseur über die Dobrudscha als Drehort, die Vielfalt der rumänischen Sprache und erstaunliche Lesarten eines zutiefst menschlichen Werkes. Die Fragen stellte Gabriel Medrea.

Die Erzählung Caragiales „O făclie de Paște“, von der der Film inspiriert ist, spielt in der Moldau, als Drehort hast du jedoch die Dobrudscha gewählt.
Dafür gab es eine Reihe von Gründen, u.a. die relative Abgeschiedenheit dieser Region, die es uns erlaubte, die Zeit um 1900 zu inszenieren, ohne zu viele Elemente unserer heutigen Zivilisation ausblenden zu müssen. Dort fanden wir auch den perfekten Ort vor, um die Gaststätte zu konstruieren, in der die Figur des Leiba mit ihrer Familie und ihren Bediensteten lebt. Auch die geschichtliche Vielfalt dieser Gegend war ein Faktor. Die Dobru-dscha war multiethnisch, ein Handelsplatz mit unterschiedlichsten Glaubens- sowie Wertesystemen – und auch Sprachen.

In Săptămâna Mare sind viele Variationen der rumänischen Sprache zu hören. Die Schauspieler kamen aus allen erdenklichen Gebieten Rumäniens.
Üblicherweise arbeiten sie sehr hart daran, ihren Regionalkolorit abzulegen, um nicht auf einen bestimmten Rollentyp festgelegt zu werden. Dennoch fühlen sich die meisten in der eigenen Mundart am wohlsten, die Sprache kommt natürlich über die Lippen. Hiervon wollten wir profitieren und haben alle Akteure ihre regionalen Eigenheiten ausleben lassen.

Jiddisch ist allerdings nicht dabei.
Das hatte mehrere Gründe. Zum einen spreche ich es nicht, sodass ich bestimmte Nuancen nicht ausdrücken hätte können. Außerdem möchte ich gegenüber den Sprechern dieser Sprache sensibel sein. Zudem wollte ich Klischees vermeiden, wir sind ja alle durch bestimmte Darstellungsweisen konditioniert. Ich hingegen wollte eine frische Lesart anbieten. Es ging nicht um geschichtliche Akkuratesse oder darum, dass die Hauptfiguren jüdisch sind, sondern um den menschlichen Kern. Wobei ich niemals behaupten würde, mir sei es gelungen, diesen freizulegen. Ich habe lediglich den Versuch unternommen.

Auch der Verzicht auf Filmmusik fällt auf.
Ich arbeite nie mit Musik, die außerhalb der filmischen Welt stattfindet. Es ist ein Grundsatz des Realismus und auch eine Frage der Moral: Ich bin sehr zufrieden mit der Welt, wie sie ist und spüre nicht das Verlangen, der Wirklichkeit in dieser Weise etwas hinzuzufügen. Es gab einmal einen Werbeslogan einer Ketchup-Marke, der lautete: „Alles schmeckt besser mit Heinz“. So ist es auch mit der Filmmusik, sie ist sehr mächtig, kann eine Szene untermalen, dominieren, eine schauspielerische Leistung überdecken oder Regiearbeit retten. Ich sehe davon ab, sie einzusetzen, weil ich die Szenen und das Publikum so wenig wie möglich manipulieren möchte.

Die Figur des Leiba Zibal ist darum bemüht, ein moralisches Leben zu führen, ihr Motto scheint zu sein: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“ Ihre eigenen Grenzen wiederum werden von den Mitmenschen ununterbrochen übertreten. Im Rahmen der Publikumsdiskussion behauptete eine Zuschauerin jedoch, Leiba habe die Dorfbewohner die gesamte Zeit über provoziert. Hast du eine Erklärung für eine solche Lesart?
Jeder Mensch hat eine eigene Meinung, manche können nur sehr schwer eine andere Perspektive einnehmen, kommen mit einer Agenda ins Kino. Auch die aktuelle Situation mag hierauf einen Einfluss gehabt haben.
Für mich ist Leiba ein ängstliches, in die Enge getriebenes Wesen, das letzten Endes die falsche Entscheidung trifft. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist er ein Mensch. In Extremsituationen geht es um den Charakter eines Menschen. Das war mir wichtig: der menschliche Kern der Geschichte. Zu zeigen, dass wir alle unter bestimmten Umständen zu Fremden, Außenseitern, Minderheiten werden können, welche Effekte Einsamkeit und Marginalisierung potenziell entfalten.

Du hast dich bei der Fragerunde im Anschluss an die Filmpräsentation selbst als Menschenfreund bezeichnet. Der Film endet jedoch in einer sehr pessimistischen Weise, es wird klar, dass wir es mit einer Gewaltspirale zu tun haben. Das erscheint widersprüchlich. Was gibt dir Hoffnung, dass wir diesen Teufelskreis durchbrechen können?
Auch ich habe eine gute Portion Pessimismus in mir angesichts der scheinbar nicht enden wollenden Horrorszenarien. Der mögliche Ausgang politischer Wahlen in bestimmten Ländern trägt zu dieser düsteren Stimmung bei. Das alles macht mich traurig und es empört mich. Ich glaube, Optimismus kommt in der Notwendigkeit zum Ausdruck, Probleme klar zu benennen und sie sichtbar zu machen. Vielleicht kann das einen Effekt haben, zu einer Lösung beitragen. Daher ist der Film eher wütend als fatalistisch. Auf die Frage, wie man besagten Teufelskreis durchbricht, habe ich jedoch keine Antwort.