Schulanfang – und wie weiter?

Fragen und kaum Antworten im rumänischen Schulsystem

Sonntagabend 20.15 Uhr. Am Temeswarer „700“-Markt herrscht Eltern- und Kindergedränge. Viele versuchen, die Suche nach dem Blumenstrauß, bei dessen Anblick der Frau Lehrerin der Atem stocken soll, schon am Vorabend des Herbstevents, welches der Schulanfang immer ist, abzuhaken. Am Montag versinkt schließlich alles in Stau, Hektik und Stress. Der Schulanfang, der auf der finanziellen Richter-Skala für die Eltern so zwischen Nikolaus und Weihnachten angesiedelt ist, wird neuerdings schon mitten in den Ferien angekündigt. Mitte August haben die Supermärkte Hefte, Schreibzeug und Schultaschen im wallenden Überangebot, wo vielen Kindern und Eltern eigentlich der Sinn nach anderem (in Richtung Sommer, Sonne, Urlaub) steht. In der Woche vor Schulanfang und in der ersten Woche danach werden die Regale ratzekahl gekauft und die Halloween-Ware kann sich breit machen. Am ersten Schultag aber wird alles auf eine Karte gesetzt und die Eltern führen Regie in dem ersten Treffen der Kids mit der Lehrerin: vom Outfit bis zur Schultasche des Sprösslings muss alles den Wünschen und Portemonnaies der Eltern entsprechen. Schließ-lich soll man die schönsten Fotos haben.

Aber bis zuletzt zählt die Substanz. Und dann taucht die Frage auf: Wohin steuert unser Schulsystem?
Für drei Millionen Kinder in Rumänien hat am Montag die Schule begonnen. Wenn man Eltern und Lehrer hinzuzählt, kommt man auf eine ganz große Anzahl „Betroffener“. So ist das Interesse der Medien jedes Jahr um diese Zeit auf die Schule konzentriert. Und wie jedes Jahr erscheint ein Bildungsminister im Fernsehen und steht Rede und Antwort, spricht, verspricht und verspricht sich manchmal auch. Ein Unterrichtsminister, nicht der. Denn in Rumänien gab es Jahre, in denen sich gleich drei Profs auf dem Stuhl abgewechselt haben. Und weder dem Amt noch dem Beruf eine Ehre gemacht haben. Dabei sollte gerade der Bildungsminister unter den Regierungsmitgliedern derjenige sein, zu dem alle aufschauen. Und seit 25 Jahren wartet Rumänien noch auf eine Person und Persönlichkeit mit Vision, Autorität, Kompetenz, Managerqualitäten und „Schulnähe“, also Insiderwissen und Sinn für das, was die Schule heute in Rumänien ist und was sie werden sollte.

Wieder einmal werden Änderungen angekündigt. Viele Minister haben bis jetzt Änderungen im Pilot-Kugelschreiber-Stil angekündigt. Für die Leser, die keinen Kontakt zur Schule oder die Werbung noch nicht gesehen haben, sind es die japanischen Kugelschreiber, die schreiben und löschen, schreiben und löschen, sooft man es benötigt. Und die Sonne tut ihr Übriges: Wenn sie auf die Schrift scheint, dann verschwindet diese, wie von Geisterhand. In diesem Jahr sind es Änderungen am Schulkalender und dass die Sommerferien gekürzt werden, kann nur Unmut hervorrufen. Aber längere Winterferien sind auch nicht schlecht, denn die Feiertage setzen sich in Rumänien noch gut eine Woche nach Silvester fort und wenn zu Hause mal Ion gefeiert wird, steht einem der Kopf nicht nach Lernen. Und so kann auch gespart werden, denn gerade im Winter sind die Heizungs- und Stromkosten viel höher.

Fast jedes Jahr waren es die Zwölftklässler, die mit Änderungen am Abi zu rechnen hatten. Überhaupt ist das Abitur in Rumänien ein Patient, an dem lange, viel zu lange herumoperiert wurde. Das hängt eben mit dem Fehlen einer mittel- und langfristigen Vision ab. Laufende Kameras in den Prüfungssälen wurden ein Muss in unseren Schulen in der heutigen Gesellschaft und werden heute richtig gefeiert, alle Minister waren stolz darauf und dass nun die Reifeprüfung eine richtige Prüfung geworden ist. Aber eigentlich stellen die laufenden Kameras eine Schande dar, denn Jugendliche und Lehrer werden wie Kriminelle behandelt, die sich ohne Big Brother nicht beherrschen können. Und man kann sich nur die Fragen stellen: Wann, wie und warum ist alles ausgeufert? Und: Wird alles irgendwann wieder normal?

Und dann gibt es Dinge, die sich scheinbar nicht (bald) ändern werden. Jedes Jahr werden Themen angesprochen wie der große Prozentsatz der Schulen, die den Sanitätsnormen nicht entsprechen (in zwei Landeskreisen soll er in diesem Jahr bei über 50 Prozent liegen). Und woran das liegt und wer die Schuld daran trägt. Man erinnert sich kurz an Schüler, die einen weiten Weg über Felder und Berge zu Fuß zur Schule zu gehen haben. Und kommt dann wieder auf Tablets zu sprechen und die Notwendigkeit der Einführung dieser handlichen Computer in der Grundschule. Wobei das Geld nicht einmal für das Drucken neuer Schulbücher zu reichen scheint. Woran sonst liegt es, dass die Schüler aus alten Schulbüchern zu lernen haben?

Immer wieder taucht die Frage nach den Kosten auf. Ist das Schulsystem in Rumänien noch unentgeltlich? Die Frage ist aber: Kann es noch unentgeltlich sein, wenn der Staat verarmt? Auf jeden Fall werden die Kosten vom Ministerium zurückgeschraubt. Das kann man zum Beispiel daran ersehen, dass man vor etwa 15 Jahren zwei Fakultäten besuchen konnte, ohne dass irgendwelche Kosten für den Studenten entstanden. Heute muss der Student für die zweite Spezialisierung zahlen, und das sind ansehnliche Summen, wenn man sich auf den Durchschnittslohn bezieht.

Und dann spricht man noch von den Frühaussteigern aus dem System, die sich nicht für die Bücher interessieren lassen oder die Geld für den Unterhalt verdienen müssten. Und man spricht von Analphabetismus in einem EU-Land Anfang des 21. Jahrhunderts. Und dann merkt man, dass die Grundlagen modrig sind. Und man redet über Olympiade-Schüler, Preisträger, die in ein paar Jahren zu dem Brain-Drain-Stream gehören werden – mit wenigen Ausnahmen, die sich für das  Unisystem hier entscheiden, und Rumänien eine Chance geben. Und man merkt, dass es noch Lehrer gibt, die an Beruf und Berufung glauben. Große Sachen werden schließlich nur dann bewirkt, wenn man nicht aufhört zu glauben, zu hoffen und zu träumen. Und das tun dann diese Lehrer, die ihrem Beruf mit besonderer Hingabe nachgehen. Und die ihrer Gehälter wegen von einer Gesellschaft verspottet werden, die die Werte verloren hat und nun blind nach ihnen tappt.
Zwei Sachen bräuchte das Bildungssystem heute: Geld und Ärmel-Hochkrempeln. Wir investieren schließlich in unsere Kinder, in unsere Zukunft. Ist dies aber allen klar?